12. Dezember 2015

Phantom im Sandkasten

Der Shooter „Metal Gear Solid V: The Phantom Pain“ heizt die Atmosphäre des Kalten Krieges wieder an

Lesezeit: 6 min.

Dass die Metal Gear Solid-Reihe einen leichten Hang dazu hat, ihre storylastigen Schleich-Shooter mit einer Prise Trash zu würzen, ist im Prinzip nichts Neues. Auch der im September für PC, Playstation und Xbox erschienene neue Teil der Serie, Metal Gear Solid V: The Phantom Pain aus dem Hause Konami macht an dieser Stelle keine Ausnahme.

Auf der anderen Seite wäre Metal Gear Solid nicht Metal Gear Solid, hätten wir es nicht alle Nase lang mit leicht überzogenen oder zumindest etwas ungewöhnlichen Charakteren, Robotern und gelegentlich auch Cyberninjas sowie einem Hauptcharakter zu tun, der vor lauter Rauhbeinigkeit und -halsigkeit selbst Daniel Craig als James Bond oder Sylvester Stallone als Rambo alt aussehen lässt. Dass wir am Anfang die Wüste Afghanistans fast schon cowboyhaft mit einem Pferd bereisen, welches simpel „D-Horse“ genannt wird, ist da eigentlich nur noch eine Randnotiz. Gleichzeitig ist die Serie dafür bekannt, durchaus auch ernste und politische Themen in ihre Thriller-Welt einzubeziehen. So spielt der neueste Ableger insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Afghanistan-Feldzugs und des Bürgerkriegs in Angola in den 1980er-Jahren.

Zum Inhalt: Um die Handlung in The Phantom Pain gänzlich verstehen zu können, empfiehlt es sich zumindest, das dazugehörige Prequel Metal Gear Solid V: Ground Zeroes zu spielen, denn die Gesamtgeschichte der Metal-Gear-Reihe kann als durchaus verwirrend bezeichnet werden, zumal die vorherigen Titel des Genres nicht für den PC erschienen sind und Nicht-Konsolen-Spielern inhaltlich nicht unbedingt vertraut sein dürften. Die Handlung von The Phantom Pain schließt unmittelbar an das genannte, ebenfalls auf PC erschienene Prequel an, in welchem sich der Protagonist Snake, auch bekannt als Big Boss und Anführer der unabhängigen Söldner-Organisation „Militaires Sans Frontièrs“, Mitte der 1970er-Jahre in das abtrünnigen US-Gefangenenlager „Camp Omega“ auf Kuba einschleichen muss, um zwei Verbündete zu befreien.

Nach einem Hinterhalt durch die Geheimorganisation Cypher, der die Zerstörung von Big Bossʼ Hauptquartier zur Folge hat, wird er durch eine Explosion ins Koma geschleudert, aus dem er zu Beginn des Spiels im Jahre 1984 in einem Krankenhaus auf Zypern wieder erwacht – gerade rechtzeitig, um dank der Hilfe eines unbekannten Patienten knapp einem Angriff von Cypher zu entkommen, während er gleichzeitig von einer ominösen, brennenden Gestalt mit übernatürlichen Fähigkeiten verfolgt wird. Big Boss, der durch die Explosion sowohl den linken Arm verlor, als auch ein paar Metallsplitter im Gesicht zurückbehält, reist in das von der russischen Armee besetzte Afghanistan, um seinen dort gefangen gehaltenen alten Mitstreiter Kazuhira Miller zu befreien. Zusammen bauen sie eine neue unabhängige Militärorganisation auf, die Diamond Dogs, deren Hauptquartier, eine verlassene Bohrinsel, im Laufe des Spiels – genau wie im vorherigen Teil Metal Gear Solid IV: Peace Walker – zu einer gewaltigen Militärzentrale ausgebaut werden kann.

Im Folgenden bewältigt der Boss eine Vielzahl abwechslungsreicher Missionen in Afghanistan, später auch in Angola und Zaire, bei denen das Befreien von Gefangenen, das Belauschen von Wachen oder die Beschaffung von Ressourcen für die eigene Basis im Vordergrund stehen. Während sich Big Boss dabei anfangs noch alleine durch die Wildnis und um gegnerische Soldaten herum schleichen muss, stehen ihm später für seine Missionen auch Begleiter zur Verfügung, etwa „D-Dog“, welcher als Welpe von Big Boss in der Wüste aufgegabelt wurde, oder der flinke Roboter „D-Walker“, sowie die extrem wortkarge Scharfschützin Quiet. Warum diese allerdings beinahe nackt und nur mit ausgeleierter Unterwäsche sowie einem Gewehr bekleidet durch die Wüste rennt, dafür wussten selbst die Entwickler keine überzeugende Erklärung. Nach und nach befreit Big Boss Gefangene, sabotiert die gegnerische Infrastruktur oder „rekrutiert“ bewusstlose Soldaten für seine eigene Armee mittels Lasten-Ballon.

Derweil versucht er, der nach wie vor im Schatten agierenden Organisation Cypher auf die Schliche zu kommen und stößt dabei immer tiefer in ein Netz aus Verschwörungen, Doppelagenten und abtrünnigen Gruppierungen, was die Story auch mittels einiger übernatürlich wirkender Elemente wie etwa den Cyber-Soldaten des ominösen Skull-Kommandos immer surrealer, nichtsdestotrotz aber auch immer spannender werden lässt. Schließlich gelingt es dem Protagonisten, die Wahrheit zumindest ansatzweise aufzudecken, was für ihn – und damit für den Spieler – mit einem im Spielerjargon sogenannten „Brain-Fuck“ endet. An dieser Stelle sei jedoch weiter nichts verraten. Es wird jedoch dringend empfohlen, sich bei Interesse die Hintergrundgeschichte der Metal Gear Solid-Genres erst nach dem Ende von Metal Gear Solid V: The Phantom Pain auf Seiten wie der Wiki-Datenbank (Achtung: Spoiler!) der Reihe durchzulesen. Den groben Umriss der Story liefern im besten 80er Jahre-Style ansonsten auch mehrere Tonkassetten, welche Big Boss im Laufe des Spiels erhält und die er sich über seinen futuristischen Allround-Walkman, das sogenannte iDroid, anhören kann. In Verbindung mit dem zuvor genannten Prequel dürfte dies zunächst auch Neulingen genügen, um sich in der Serie zurecht zu finden.

Zum Gameplay: Es verwundert kaum, dass die Entwickler der erfolgreichen Assassinʼs Creed-Reihe auch als Fans des Metal Gear Solid-Genres gelten. So ließ sich in Assassinʼs Creed: Brotherhood beispielsweise im alten Rom als sogenanntes Easter-Egg einer jener Kartons finden, unter denen sich Big Boss gerne an unaufmerksame Gegner heranpirscht. Metal Gear Solid V: The Phantom Pain ist von seiner Steuerung her definitiv ein hervorragender Titel für Fans des gepflegten Schleichens und Infiltrierens, und selbst wenn man gelegentlich von einer Wache entdeckt werden sollte, so besteht in den meisten Fällen immerhin die Möglichkeit, den Gegner im Nahkampf oder mithilfe einer Betäubungswaffe außer Gefecht zu setzen, ohne ihn zu töten – die Vorplanung der Mission auf der Landkarte des iDroid und die diskrete und schnelle Erfüllung der Mission stehen bei diesem Spiel wesentlich mehr im Vordergrund als blindes Geballer.

Zwar stehen dem Protagonisten mit der Zeit eine ganze Reihe diverser, weiterentwickelbarer Waffen zur Verfügung, jedoch muss der Spieler auch damit rechnen, dass sich die KI-gesteuerten Gegner mit der Zeit an seine Taktik anpassen. Setzt er Wachen beispielsweise häufig mittels tödlichen oder nicht-tödlichen Kopftreffern außer Gefecht, so rüsten diese irgendwann mit Stahlhelmen auf. Andererseits erweitert sich im Laufe des Spiels auch das Arsenal des Hauptcharakters und ermöglicht die Erprobung von unbegrenzt vielen Angriffstaktiken. Ebenso lernt der Spieler mit der Zeit, das weite Gelände der Spiel-Karte und die hohe Bewegungsfreiheit zu seinen eigenen Gunsten zu nutzen. Letztendlich belohnt das Spiel vor allem diejenigen, die möglichst wenige Gegner getötet und Alarme ausgelöst haben.

Fazit: Metal Gear Solid V: The Phantom Pain ist sowohl eines der umfang- und abwechslungsreichsten Spiele des Jahres, im Hinblick auf seine Technik und seine Story im Kontext zur Serie sicherlich auch eines der besten. Es ist zugegebenermaßen (in manchen Sequenzen) brutal, blutig und atmosphärisch genau so extrem wie vielfältig – mal muss man unfreiwillig grinsen, wenn Big Boss mit dem Helikopter zu Musik aus den Achtzigern über die grafisch hervorragend dargestellte afghanische Wüste zur nächsten Mission fliegt, ein anderes Mal sieht man sich plötzlich mit den menschlichen Abgründen und den psychischen Wunden der Hauptcharaktere in einer teils sehr drastischen Darstellung konfrontiert. Gleichzeitig bietet Metal Gear Solid V: The Phantom Pain jedoch viele kleine Anekdoten sowie hier und da eine gute Prise Selbstironie, insgesamt also eine Mischung, die man erst einmal so hinbekommen muss.

Alles in allem wartet das Spiel mit einem technisch ausgefeilten Gameplay und einem hohen Grad an Freiheiten und Variationsmöglichkeiten auf. Die Geschichte zeigt echten Tiefgang, unerwartete Wendungen sowie trotz ihrer zuweilen etwas überzogenen Darstellung auf ihre Art glaubhafte Figuren, deren teilweise übernatürliche Fähigkeiten zum Glück vor dem Gesamthintergrund der Story eher in den Hintergrund treten. Somit sei das Spiel nicht nur jenen Fans bekannter Titel des Schleich-Genres wie etwa Assassinʼs Creed oder Deus Ex ans Herz gelegt, sondern generell allen, die sich für einen ausgefeilten Militär-Thriller mit Robotern und Cyber-Soldaten in einer alternativen Vergangenheit des Kalten Kriegs interessieren könnten – oder schon immer einmal der Boss im Sandkasten sein wollten.

Metal Gear Solid V: The Phantom Pain ∙ Konami ∙ PC, Playstation 3+4, Xbox 360+One ∙ ab 41,99 € (USK 18)

Metal Gear Solid V: Ground Zeroes (Prequel) ∙ Konami ∙ PC, Playstation 3+4, Xbox 360+One ∙ ab 11,99 € (USK 18)

Alle Bilder © 2015 Konami

 

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