10. Mai 2023 1 Likes

„Resident Evil 4“: Ein Remake sondergleichen

Modern, Furcht einflössend und treibend

Lesezeit: 7 min.

Als im Januar 2005 „Resident Evil 4“ für Nintendos Gamecube erschien, konnte vermutlich niemand erwarten, was aus Shinji Mikamis – dem Schöpfer der Horrorreihe – letztem großen RE-Titel werden sollte. „Resident Evil 4“ war nicht nur eine völlige Neuausrichtung der Reihe, dank der Über-der-Schulter-Kamera, Quicktime-Events und einem deutlich action-orientierterem Fokus, nein, es sollte gar den Survivalhorror und Third-Person-Shooter revolutionieren. „Resident Evil 4“ eroberte im Sturm die Welt und es hagelte Traumwertungen, die sonst nur Spielen wie „Red Dead Redemption“ oder einem „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ vorbehalten bleiben. Bis heute gehört „RE4“ zu dem Games, die die meisten Portierungen aufweisen können, denn es folgten Editionen für die PS2, PC, Wii, iOS, Zeebo, PS3, Xbox 360, Android, PS4, Xbox One, Nintendo Switch und gar Oculus Quest 2. Und nachdem Publisher und Entwickler Capcom uns die letzten Jahre mit fantastischen vollwertigen Remakes älterer „Resident Evil“-Games beehrte, war zur Freude aller Fans – und Interessenten, die es noch werden sollten – ein Remake zu „Resident Evil 4“ nicht fern.

Das Remake zu „Resident Evil 4“ erblickte am 23. März 2023 das Licht der Welt für den PC, die Xbox Series sowie Playstations 4 und 5. Und es offenbart sich erneut als ein Meisterwerk des Terrors der neuen Gaminggeneration. Die Story um Protagonist Leon S. Kennedy, der noch immer die Geschehnisse aus Raccon City in zweiten Teil der Reihe verarbeitet, setzt sechs Jahre später ein, und zeigt einen etwas gealterten, aber nicht minder coolen Leon auf der Suche nach der jungen Ashley Graham, der entführten Tochter des US-Präsidenten. Diese wurde von einem mysteriösen Kult ins ländliche Spanien verschleppt, wo die hiesigen Dorfbewohner ihr Leben Los Illuminados verschrieben haben – dem just genannten Kult – und von Las Plagas genannten Parasiten ergriffen und gesteuert werden. Was Leon und den Spieler nach Eintreffen im beseelten Dorf gleich nach den ersten Minuten erwartet, gehört zu den besten Eröffnungsminuten, die das Gaming je hervorbrachte, und prescht in einer bis zu 20-stündigen, gnadenlosen Kampagne brachial voran, die bis heute ihresgleichen sucht. Von Kettensägenkillern, gigantischen Monsterfischen, einem Heuschuppen-Kampf für die Jahrhunderte, über einen Tag-Team-Fight der Riesen, wörtlich explosive Minenachterbahnfahrten, ein Messerkampf der Ewigkeit, unheimlichen Schlössern und goldenen Eiern, Schätzen, Untergrundlaboren und einer militärischen Insel – von den ersten Minuten bis zur letzten explosiven Sekunde schießt, metzelt, sprengt und tritt sich Leon durch eine der tempogeladensten und abwechslungsreichsten Storyabschnitte, während „Resident Evil 4“ hier nichts in der Hinterhand behält.


„Tierlieb zu sein, lohnt sich in RE4! Das sollten nicht nur Veteranen wissen.“

Durch die neuen Shootermechaniken wie das gleichzeitige Zielen und Schießen, während der fließenden Bewegung – was im Original noch nicht möglich war – und einigen ausgeklügelten neuen Survivalanpassungen, fühlt sich Leon noch deutlich mobiler und agiler an. Altbekannte Waffen wie das Kampfmesser, Schrotflinte und Magnum kommen in diversen, sich deutlich unterscheidenden Ausführungen wieder zurück, allerdings stellt vermutlich das Kampfmesser in dieser Iteration das größte, mutigste und interessanteste Novum dar. Es nutzt sich mit zunehmendem Gebrauch ab und kann kaputt gehen – keine Sorge, es ist reparierbar, aber für die Zwischenzeit nicht einsatzfähig – kann im Gegenzug dazu aber beinahe alle gegnerischen Angriffe parieren, wenn man in der richtigen Sekunde die Waffe zückt.

Für Spielende, die hier die Zeit investieren wollen, gegnerische Muster und Angriffe sowie zeitlichen Abfolgen zu erlernen, bietet das Kampfmesser eine der vielseitigsten, munitionssparenden Alternativen an und macht Leon gar im Eifer des Gefechts zur Kampfmaschine. Gepaart mit den wenigen Quicktime-Angriffen, die es noch im Spiel gibt und die durch perfektes Parieren oder bei Treffern auf kritischen Körperteilen ausgelöst werden können, erhält Leon wichtige Überlebensmechaniken, von denen alle Spielende dringend Gebrauch machen sollten, wenn sie den Las-Plagas-Terror heil überstehen wollen. Ebenfalls wiederkehrend – und seit „RE4“ oft kopiert, aber nie wieder in der einmaligen Intensität erreicht – sind die einzigartigen Waffenupgrades samt des äußerst markanten Händlers, der für die wenigen Ruhepole zwischen dem Horror sorgt. So lässt sich jede Waffe für Geld, das Gegner liegen lassen, oder in Containern, Kisten und für den Verkauf von Schätzen zu finden ist, aufwerten in verschiedenen Kategorien, über Schusskraft, Munitionskapazität, Feuerrate und so weiter. Und wenn die Waffe dann an ihr Upgrade-Maximum gebracht wurde, enthüllt jede Waffe ihr einzigartiges Potenzial mit einem letzten großen Upgrade, das fünffache Chance für kritische Treffer, doppelten Schaden, doppelte Munitionskapazität, Unzerstörbarkeit oder auch penetrierende Durchschlagskraft mit sich bringt. So spielt sich jede Waffe spürbar anders – selbst wenn es sich um zwei Schrotflinten oder scheinbar ähnliche Snipergewehre handelt – und dies bringt das bis heute abwechslungsreichste RE-Arsenal mit sich und lädt unheimlich zum Experimentieren und Austauschen ein in weiteren neuen Runden der Kampagne.


„Das neue Messer ist nicht nur zum Parieren da, es stoppt sogar Kettensägen!“

Diese unterstützt natürlich auch das seit vielen Jahren bekannte „New Game +“-Feature, wo Waffen, Upgrades und Items aus dem vorherig abgeschlossenen Durchlauf direkt übernommen werden können und so für einen faireren Neustart sorgen. Was allerdings auch bitter nötig ist, wenn man auf den Gedanken kommen sollte, die höheren Schwierigkeitsgrade oder den Hardcore-Modus anzugehen – die nach Abschluss aber auch mit weiteren Sonderwaffen, Ausrüstung und Kleidung aufwarten. „Resident Evil 4“ zeigt hier erneut seriengetreu, wie gute Gamingprogression auszusehen hat und was Gamer dazu bewegt, Spiele immer wieder und wieder spielen zu wollen, gerade wenn es sich um Singleplayer-Projekte handelt. Es ist nicht nur die treibende, vielseitige Kampagne. Es sind äußerst sinnvolle und spaßige Unlockables – freispielbare Komponenten wie Waffen und Modi – und ein abwechslungsreiches Arsenal, das nicht nur zum erneuten Durchspielen einlädt, sondern Spielende geradezu neugierig darauf macht, wie man sich mit jenen Items schlagen würde – um dann zum Schluss endlich an die „unendliche Munition“-Upgrades, den Raketenwerfer oder an eine unzerstörbare Rüstung für Ashley zu kommen.

Es sind solche scheinbaren Kleinigkeiten, die viele Entwickler nicht erkennen, wobei es doch eigentlich auf der Hand liegen sollte. Auch einer der direktesten, aber äußerst erfolgreichen „RE4“-Klone, „Dead Space“, hat dieses Prinzip genau verstanden, woran aber ein „The Callisto Protocol“ leider kläglich scheitert. Allesamt Survivalhorror-Games, die 2023 erschienen sind, als Remake oder neu, und doch schickt sie das Remake eines beinahe 20 Jahre alten Games immer noch knallhart in die Seile. Dabei reichen bloße neue Modi, wie der Seasonpass von „Callisto Protocol“ zeigt, nicht aus, ohne dass ein Ansporn am Ende wartet. Die Mühe, sich der erneuten Erfahrung unter härteren Bedingungen gestellt zu haben, muss belohnt werden – gar möglichst kreativ. Und das hat „Resident Evil“, und der vierte Teil und das Remake besonders, immer haargenau verstanden. So werden aus reinen Singleplayer-Erfahrungen Millionen-Seller, ganz ohne Live-Service-Aspekt oder Mikrotransaktionen.


„Kritisch am Kopf getroffene Gegner geraten ins Straucheln, die man dann per brachialem Quicktime-Angriff zu Boden strecken kann.“

Grafisch punktet „RE4“ erneut mit einer aufgebohrten Version der RE Engine, die seit dem fantastischen „Resident Evil 7“ zum Tragen kommt. Im Vergleich zum Original wirkt das Remake hier deutlich düsterer und schauriger. Wenn der Regen im Dorf prasselt, es im Hintergrund blitzt und im flackernden Feuerschein rote Augen der infizierten Dorfbewohner glühen, die auf Leon zu schlürfen, macht das schon ordentlich Eindruck, auch wenn die Atmosphäre doch spürbar eine andere ist, als es Liebhaber des Originals noch kennen. Etliche Abschnitte wurden an moderne Sensibilitäten angepasst und umgemodelt, und auch einige Bosskämpfe abgeändert, entfernt oder hinzugefügt. Dem bahnbrechenden Pacing des Games tut das aber absolut keinen Abbruch und sollte nur alten Hasen auffallen. Und keine Sorge, auch der ikonische Laserpointer, der beim Zielen hilft, kehrt zurück, auch wenn er erst im Verlauf beim Händler gekauft werden muss. Ebenfalls neu sind einige Händler-Sidequests, wie das damals schon bekannte Zielschießen blauer Medaillen, die an verschiedenen Orten hängen, dem Meucheln von Ratten oder die Eliminierung bestimmter einzigartiger Gegner. Dafür winken erneut besondere Belohnungen – und es wirkt umso befriedigender, wenn beim Kopfschuss mit erhöhter kritischer Chance die Köpfe in rotem Schmodder zerplatzen. Ja, klingt äußerst morbide, aber die Initiierten hier wissen ganz genau, wovon ich rede. Vermutlich auch ein Grund, warum Quentin Tarantino immer noch so gut ankommt.

Als letztes Zusatzschmankerl gibt es noch seit dem 7. April den kostenlosen „Mercenaries“-Modus, der im Original seinerzeit in Deutschland noch aufgrund der damals herrschenden „Killerspiel“-Debatte unter das Schneidebrett fiel. Hier schlüpfen wir erneut in die verschiedenen Rollen von Leon, Luis, dem fantastischen Bösewicht Jack Krauser oder dem stummen Soldaten Hunk und müssen unter Zeitdruck die Killcombo im kleinen, abgegrenzten Level möglichst hoch schrauben, während hier jede Figur einzigartige Waffen und Kampfmoves aufweist sowie den besonderen „Kampfrausch“ - eine Leiste, die sich mit der Zeit und erledigten Zombies füllt und dann in einem besonders zerstörerischen Angriff ausgelöst werden kann. Das ganze macht erneut gewaltigen Spaß und kommt nicht nur mit weiteren freischaltbaren Charakteren und Stages daher, sondern bringt auch tatsächlich weitere Unlockables für die Hauptkampagne mit sich. Das nennt sich erneut eine lukrativ sinnvolle Verzahnung von Gameplay-Elementen.

Das Remake von „Resident Evil 4“ lässt eines der besten Videospiele aller Zeiten in neuem, düsteren Glanz erscheinen und darf in keiner Game-Sammlung fehlen. Selbst wenn man ein „Resident Evil“-Neuling sein sollte, kann man hier absolut bedenkenlos und frei von Sorge zugreifen, und den gewaltigen Actiontrip bis zum schweißtreibenden Finale durchstehen. Ein Meisterwerk für die Ewigkeit.

Resident Evil 4 • Capcom • Action/Horror • PC/XBox Series S&X/PS4/PS5

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