21. Juni 2016

A Runner’s Vision

„Mirror’s Edge Catalyst“ im ausführlichen Test

Lesezeit: 7 min.

Manche Games offenbaren vor allem mit ihren Nebenmissionen meist etwas mehr, als man auf den ersten Blick erwarten könnte. Mirror´s Edge Catalyst bietet als ein Musterbeispiel für diese These gleich mehrere Belege. Da flitzt man als umtriebige Runnerin Faith über die Dächer der dystopischen Hochglanzstadt Glass und erhält etwa den Auftrag, eine Blume oder eine kleine Figur als Liebesbeweis schnellstmöglich von einem Liebenden zum anderen zu transportieren. Was sich zunächst anhört, als würde man mit diesen Aktionen etwas Licht in eine offenkundig trostlose Welt bringen, entpuppt sich auf den zweiten Blick als entlarvendes Beispiel dafür, wie man mit einem nicht immer ganz durchdachten Gamedesign genau das Gegenteil von dem bewirkt, was man als Programmierer eigentlich möchte, nämlich Emotionen zu wecken und die Spielwelt im wahrsten Sinne mit Leben zu füllen. Der vielzitierte Hund liegt im Fall von Mirror´s Edge Catalyst nämlich oft genug (wenn auch nicht ausschließlich) da begraben, wo das eigentlich famose Gameplay-Konzept auf das Storytelling und damit an bestimmte Grenzen der Vereinbarkeit trifft. Denn wenn der florale Liebesbeweis in unter einer Minute an sein Ziel gelangen muss, um nicht unmittelbar nach Ablauf des gnadenlos runtertickernden Zeitlimits seinen Wert einzubüßen und sich weder die vorgegebene Zeitspanne noch die Wegstrecke in ihrer Stringenz erschließen lassen, will man als Spieler nicht unbedingt nachvollziehen, wie das storytechnisch zusammengehen soll.

Damit nicht genug: Manchmal ergeben die Missionen speziell im Zusammenspiel mit der Hauptkampagne grundsätzlich wenig Sinn. So etwa im Fall einer Eierlieferung für einen Gangsterboss, der sich neuerdings als Chefkoch seines eigenen Restaurants selbständig gemacht hat und nun offenbar keinen Fehler oder gar eine Verzögerung seiner angeforderten Ware verzeiht. Das wäre ja zu verschmerzen, wenn besagter Boss nicht in der Hauptstory eben noch dramatisch hochemotional den Kampf um die Freiheit des menschlichen Willens vor der Kontrolle durch das Konglomerat verteidigt hätte, der in der Story des Spiels eine entscheidende Rolle einnimmt. Das hier angedeutete Problem besteht nun darin, dass Mirror´s Edge seine Protagonistin Faith auf Biegen und Brechen immer genau das tun lassen möchte, was sie am besten kann, nämlich möglichst elegant durch die grafisch schick animierten Parkours zu gleiten. Doch wenn man eine Gameplay-Mechanik in den Vordergrund stellt, die abseits der Cutscenes nicht dazu geeignet ist, Storytelling stichhaltig zu motivieren, dann gerät die Gesamtbalance ins Wanken. So wirken die Nebenmissionen mit erzählerischem Unterbau merkwürdig aufgesetzt und könnten bei entsprechender Lesart fast schon als Ausweis der eigentlich von der Erzählung kritisierten Kälte und Lieblosigkeit einer vollständig ökonomisierten Welt durchgehen.

Dass Catalyst als Reboot des 2008 erschienenen Mirror´s Edge dennoch vieles richtig macht und zurecht den Anspruch erheben kann, die Serie gerade für die Zukunft auf einen guten Weg zu bringen, kann mit mehreren Aspekten leicht untermauert werden. Die eigentliche Geschichte beginnt mit der Entlassung der Runnerin Faith aus dem Gefängnis mit der nicht ganz freundlichen Vorgabe, sich innerhalb weniger Tage einen neuen Job zu suchen, da sie sonst als unproduktives Mitglied der Gesellschaft einschneidende bis akut lebensverkürzende Sanktionen befürchten müsste. Doch Faith denkt nicht daran, dem ökonomischen Geist des die Stadt Glass beherrschenden Konglomerats gerecht zu werden und findet mit der Hilfe ihres neuen Begleiters Icarus den Weg zurück zu ihrem geistigen Vater Noah, der eine Widerstandsgruppe gegen das mächtige Konglomerat anführt. Ohne zuviel von den Ereignissen vorweg zu nehmen: Die bereits zu Beginn mit einigen Rückblenden in Faiths Kindheit und einigen traumatischen Erlebnissen mit dem Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester mehr als nur angedeuteten Folgen für den weiteren Handlungsverlauf sind bis zum Finale weitgehend vorhersehbar und werden dramaturgisch ziemlich bieder aufbereitet. Grundmotive wie Isolation, Überwachung oder die Auseinandersetzung bezüglich humanistisch angemessener und letztlich vertretbarer Mittel im Kampf gegen ein diktatorisches Herrschaftssystem werden zwar konstant verhandelt, jedoch nicht mit aller Konsequenz zu Ende gedacht. So bleiben am Ende fast zu viele Fragen offen und eine echte Bindung an die Figuren findet kaum statt. Ein letztlich typisches Fortsetzungsende, das aber nicht unbedingt Appetit auf mehr macht.

Das Design der Stadt Glass und seiner Bewohner ist vor diesem Hintergrund zwiespältig zu bewerten: Einerseits hat kaum ein Titel mit seinen klaren Konturen, einem glänzenden Farbminimalismus und der bewussten Kontrastierung von Sterrilität und Dynamik eine so klare grafische Identität wie Mirror´s Edge, andererseits kann die konkrete Umsetzung dieses im Grunde löblichen Ansatzes nicht als Argument etwa für sehr unschöne Figurendarstellungen herhalten. Dass die Bewohner einer so strikt organisierten Gesellschaft wie dieser nicht vor Bewegungs- und Mimik-Animationen strotzen können, passt zwar zur Story; dennoch hätte auch hier eine zeitgemäßere Gestaltung dafür gesorgt, dass man sich speziell mit Figuren wie Noah als Repräsentanten einer eben nicht „durchsterilisierten“ Welt eher identifiziert und die ideologische Frontstellung auch so in ihrer Aussage greifbarer wird. Die Frostbite-Engine leistet aber abseits der Figurendesigns hervorragende Arbeit. Der Ausblick über die Dächer der weitläufigen Stadt nimmt oft genug fast erhabene Züge an, wenn man in vollem Speed zwischen den Häuserschluchten hin und her jagt. Speziell in den späteren, sehr opulenten Reichenvierteln wundert man sich dann allerdings wiederum über Kuriositäten wie seltsam aparte Bewohner, die es scheinbar nicht stört, dass eine fremde Runnerin durch ihre Wohnkomplexe flitzt.

Die Künstlichkeit des Stadtraumes und der sich hinter Schutzgläsern verschanzenden Reichen der Oberklasse kommt perfekt zur Geltung. Auch die überraschend abwechslungsreichen Schauplatzwechsel laufen butterweich. Neben den verschiedenen Stadtteilen, die sich hauptsächlich in arme und reiche Viertel unterteilen, warten Untergrund- und Tunnelpassagen ebenso wie gigantische Baugerüste oder Turmanlagen, über die man auf der Karte Schnellreisepunkte freischalten kann. Die bereits anzitierten Botenmissionen sind nicht die einzigen Aufgaben, um weitere Skillpunkte zu verdienen. Generisch bleiben die einzelnen Missionstypen allemal, da sie letztlich immer nur auf das Prinzip des „Time-Runnings“ hinauslaufen. Immer wieder stößt man in der Stadt auf viel Sammelbares, das sich ebenfalls in Punkten widerspiegelt, die wiederum in einem übersichtlichen Skillbaum für neue Fähigkeiten wie erhöhter Schaden bei Gegnern, neuen akrobatischen Moves oder einer aufgebesserten Lebensleiste eingetauscht werden können. Die Verwendung der Skills hat allerdings einen oder besser gleich mehrere Haken, da viele Fertigkeiten kaum echte oder zumindest wirklich relevante Auswirkungen auf das Spielgefühl nach sich ziehen. Speziell die wie schon im Vorgänger eher nervigen Kämpfe gegen die mit nur vier Gegnerklassen extrem spärlichen Gegner, welche schon nach wenigen der rund 12-15 Stunden andauernden Kampagne komplett auftauchen, werden durch den fast immer gleichen Verlauf schnell langweilig. Neue Moves könnten zwar theoretisch auch in die Kämpfe integriert werden, doch gibt die Praxis der Kämpfe das viel zu selten her. Denn hier heißt die Devise viel zu oft nur „Schlagen, ausweichen und wegrennen“. Dass Entwickler DICE diesen gewaltigen Kritikpunkt am Vorgänger nicht vollständig ausgemerzt und eventuell sogar komplett auf Kämpfe dieser Art verzichtet hat, hinterlässt einen faden Beigeschmack.

Ganz anders verhält es sich jedoch mit der Mechanik, die immer dann begeistert, wenn sich die Entwickler auf das wesentliche Element des flüssigen Parkour-Runnings in Ego-Perspektive fokussieren. Wenn man mit Faith richtig Fahrt aufnimmt, stellt sich zeitweise ein richtig rauschhaftes Gefühl totaler Körperkontrolle ein. Die Steuerung läuft stets geschmeidig und schafft es den schmalen Grat zwischen spielerischem Anspruch und aktivem Flow-Gefühl optimal zu vermitteln. Gerade im Kontext der Social-Gaming-Features wie den Wettrennen an selbst oder von anderen Usern gesteckten Strecken um Bestzeiten macht das Spielgefühl auch ohne jeden Story-Bezug viel Freude und motiviert ungemein. Denn Frust kommt aufgrund der griffigen und nie überladenen oder zu komplexen Steuerung (auch mit allen verfügbaren Moves) zunächst nicht auf. Erst gegen Ende der Kampagne fallen die immer häufiger auftretenden Situationen negativ ins Gewicht, in denen es regelmäßig hakelig wird. Aus unerklärlich peniblen Gründen stürzt Faith immer wieder in die Tiefe und gerade die nach absoluter Präzision schreiende Mission kurz vor Schluss, bei der man unter Zeitdruck mehrere Bahnschalter auslösen muss, wäre in dieser Form nicht nötig gewesen, da sie dem Spiel viel von seiner Dramatik zum Ende der Geschichte nimmt und man vor allem nach einem eher drögen Endkampf den Abspann aus den falschen Gründen herbeisehnt.

Fazit: Das Reboot von Mirror´s Edge hinterlässt einen ambivalenten Eindruck. Neben einem individuellen und in sich letztlich auch hinsichtlich der ideologiekritischen Aussage stimmigen Design sowie dem einzigartigen, sehr gut funktionierenden Parkour-Gameplay, verpasst es DICE leider gleich an mehreren Punkten, Faiths Abenteuer zu einem rundum gelungenen Spielerlebnis werden zu lassen. Story, Erzählweise und vor allem die redundanten Kämpfe schmälern nachhaltig den guten Gesamteindruck, den gerade das rasante Gameplay hinterlässt. Zu oft beschleicht einen das Gefühl eines formelhaften und manchmal arg aufgesetzten Missionsdesigns, das eher stört anstatt zu motivieren. Viele der Kritikpunkte sorgten schon beim Erstling dafür, dass sich der damalige Applaus für den innovativen Ansatz von Mirror´s Edge nach dem anfänglichen Hype letztlich in Grenzen hielt. Umso bedauerlicher (weil unnötiger), dass auch bei der Neuauflage nicht alle Erwartungen erfüllt wurden. Faith hätte es allerdings in jedem Fall verdient, in einer Fortsetzung eine weitere Chance zu erhalten, die Protagonistin eines Titels zu sein, der vollständig überzeugt und nicht zuviel Potenzial leichtfertig liegen lässt. Runner´s dreams can come true.

Mirror´s Edge Catalyst ist seit dem 9. Juni für PS4, XBox One und PC erhältlich.

Mehr Eindrücke gibt es im unten angefügten Story-Trailer zu sehen.

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