27. Dezember 2020

„Twin Mirror“: Mit Alter Ego auf Mörderjagd

Das jüngste Werk der „Life is Strange“-Macher entpuppt sich als solides Adventure-Häppchen

Lesezeit: 5 min.

Das ging aber mal richtig flott. Nachdem bereits vor ein paar Monaten das identitäts- bzw. genderpolitisch spannende Tell Me Why erschienen ist, fütterte uns die französische Spieleschmiede Dontnod bereits im Dezember mit einem weiteren Adventure, das sich ebenfalls wieder sehr darum bemüht, die mit Life is Strange kultivierten Adventure-Stärken des Studios auszuspielen. In Twin Mirror (für PS4, Xbox One und PC zum aktuellen Preis von rund 30 Euro; wir berichteten bereits) verschlägt es uns als Investigativjournalist Sam Higgs in unsere alte Heimat, ein ehemaliges Bergbauerstädtchen namens Basswood in West Virginia. Dort sind einige Leute nicht gut auf Sam zu sprechen, schließlich waren seine Recherchen u.a. dafür mitverantwortlich, dass der für die Region essenzielle Bergbau vorzeitig schloss und Menschen ihre Arbeit verloren.

Doch nicht nur deshalb fällt Sams Rückkehr nach zweijähriger Abstinenz ungemütlich aus. Denn der Anlass ist ein äußerst trauriger, da sein bester Freund Nick ums Leben kam und Sam ihm die letzte Ehre erweisen möchte. Erschwert wird dieses Unterfangen noch durch komplizierte Beziehungen wie zu Nicks kleinen Tochter oder zur Journalistenkollegin Anna, mit der Sam liiert war, ehe Anna und Nick nach Sams Weggang ein Paar wurden. Neben den privaten Belastungen seines Besuchs, erhärtet sich außerdem der Verdacht, dass es sich bei Nicks Tod eben nicht um einen tragischen Autounfall, wie im Polizeibericht dargestellt, handelt, sondern um ein perfides Verbrechen, das einer der Bewohner des Städtchens verübt haben muss. Angetrieben von Nicks Tochter und seiner Journalistenseele, nimmt Sam die Ermittlungen auf und stößt in der gut sechs Stunden dauernden Storykampagne auf einige düstere Überraschungen wie weitere Todesfälle und Drogenhandel.

Wie für Dontnods Adventures mittlerweile üblich, lebt auch Twin Mirror vor allem von seinen Charakteren, dem dialoglastigen Storytelling und einer besonders liebevoll inszenierten wie lebendigen Atmosphäre. In insgesamt 16 Szenen sind wir ausschließlich mit Sam unterwegs, der sich in meist eng begrenzten Arealen (manchmal auch inklusive Raumwechseln) mit Personen unterhält und nach mal mehr mal weniger relevanten Infos und Gegenständen sucht. In den Gesprächen stehen uns verschiedene Antworten ohne viel Zeitdruck zur Verfügung, wobei es meist nicht ganz klar ist, ob unsere Auswahl wirklich echte Folgen für den Fortgang der Story nach sich zieht. Beim Absuchen der Gebiete kommt es vor allem darauf an, auch ohne Zusatzhilfe möglichst alle Hinweise zu finden, um den nächsten Storypoint freizuschalten oder eines der relativ wenigen Rätsel im Spielverlauf zu lösen.

Ganz im Sinne des metaphorisch angehauchten Titels Twin Mirror, wird Sam streng genommen nicht ganz allein auf seine Nachforschungen geschickt. An seiner „Seite“ ist nämlich stets eine Art Alter Ego von ihm (mit Brille und glatterem Outfit), das ihm ebenfalls Hinweise eingibt und Sams Verhalten und Emotionen für ihn einordnet. Das Alter Ego gehört zu den spannendsten Elementen von Twin Mirror, da man im Grunde nicht sicher sein kann, ob dieses Hirngespinst eigentlich wirklich gute Hinweise gibt und man sich (durchaus berechtigt) die Frage stellen kann, ob man ihm vollends vertrauen sollte. Gerade in den Momenten, in denen man etwa mit anderen Charakteren wie Ex-Freundin Anna dramatische Entscheidungen zu treffen hat, stellt uns das Gameplay manchmal vor die Wahl, ob wir weiter Anna oder lieber unserem Alter Ego zuhören, was zu Konsequenzen für das folgende Geschehen führen kann.

Sams offensichtlich angeschlagene Psyche findet dazu in den nicht häufigen, aber markant in die Handlung eingewobenen Gedankenpalast-Passagen Widerhall. Gemeint sind damit spielerisch unterschiedliche, im Gegensatz zum normalen Gameplay sogar manchmal actionlastige Situationen in Sams Kopf, in denen unser Protagonist etwa in einem Hindernislauf vor seiner Angst buchstäblich wegrennen oder den Ausweg aus einem Labyrinth finden muss. Neben diesen Aufgaben können wir aber auch frühere Erinnerungen nochmal nacherleben und erhalten so tiefere Einblicke in Sams Leben und seine oft nicht ganz so einfache Vergangenheit.

Spielerisch vorwiegend gemächlich und alles andere als überfordernd, zieht das Geschehen nach einem weitgehend eher von zwischenmenschlichem Drama dominierten Plot gegen Ende etwas an, ohne nun wirklich zum waschechten Psychothriller zu mutieren. In Twin Mirror steht wie schon bei Tell Me Why eher das sich einfühlen in die Figuren und das Setting im Vordergrund, wozu viele kleine in der Spielwelt eingearbeitete Details wie Textinserts und zusätzliche Dialoge ihren Beitrag leisten. Auch mehrere Durchläufe sind dank verschiedener Zwischensequenzen möglich, wobei man allerdings bei einigen Szenarien nicht wirklich große Lust verspüren dürfte, das längere Absuchen nach Questmarkern und Hinweisen erneut abzuspulen (speziell bei der visuellen Rekonstruktion bestimmter Tatabläufe in einer Art Detektivmodus).

Irgendwie drängt sich leider das Gefühl auf, es hier mit einem zwar ganz ordentlichen, aber nicht wirklich sehr guten Adventure zu tun zu haben, das sein Potenzial eigentlich nie ganz ausspielt. Ob die eher simplen Rätsel, einige blasse Nebenfiguren oder Sams psychische Probleme – vieles plätschert gemütlich vor sich hin anstatt wirklich zu packen oder gar unseren Pulsschlag zu erhöhen. Und auch mit Twin Peaks und dessen Mysteryzauber hat das Ganze trotz einiger Parallelen leider nur sehr wenig bis nichts zu tun. Dazu können Elemente wie die Suche nach Hinweisen oder die steuerungstechnisch hakeligen Actionelemente im Gedankenpalast nerven; zumal es gelegentlich schlicht unpassend wirkt, dass sich Sam inmitten einer Situation plötzlich ganz selbstvergessen in seine Gedankenwelt zurückzieht und seine Umwelt komplett ausblendet.

Technisch sollte man ebenfalls keine Glanztaten erwarten. Die Macher präsentieren uns zwar mit Basswood eine stimmungsvolle wie abwechslungsreiche Location mitsamt Ausflügen in die umliegende Natur, doch sowohl Texturen als speziell die sehr kargen Charakterprofile oder viele Grafiknachlader belegen überdeutlich, es hier nicht mit einem wirklich zeitgenössischen Titel in technischer Hinsicht zu tun zu haben. Diesen Eindruck hinterlassen hingegen die sehr guten englischen Sprecher (mit wahlweise auch deutschen Untertiteln) und die Soundkulisse nicht. Auch die sehr filmische Inszenierung unterstützt die insgesamt solide Story angenehm adäquat und sorgt mit dafür, dass Fans gemächlicher Crime-Adventures und des typischen Dontnod-Flairs insgesamt noch gut unterhalten werden. Beim nächsten Titel dieser Art, wären nun allerdings wirklich mehr spielerischer Tiefgang und feinere Technik angebracht – es soll ja nicht wie bei Telltale enden, oder Dontnod?

Fazit

Eher gemächliches Detektiv-Adventure mit Psychoeinschlag, das zwar speziell bei Setting und Figuren punkten kann, jedoch spielerisch wie erzählerisch sein Potenzial nicht ausschöpft.

Twin Mirror • Dontnod • Adventure • PS4/Xbox One/PC

Abb. © Bandai Namco

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