22. September 2017 1 Likes

Die schönste Nebensache der Zeit

In jeder Beziehung ungewöhnlich - David Gerrolds Roman „Zeitmaschinen gehen anders“

Lesezeit: 3 min.

Zu den berühmtesten Werken des Amerikaners David Gerrold (im Shop) zählen das Drehbuch der Raumschiff Enterprise-Folge „Kennen Sie Tribbles?“ von 1967, in der sich ein paar pelzige Wesen rasant vermehren; und die 1995 veröffentlichte Novelle „Mein Kind vom Mars“, die den Hugo und den Nebula Award gewonnen hat und 2007 mit John Cusack in der Hauptrolle verfilmt wurde. Zwischen diesen beiden Wegmarken von Gerrolds Karriere als multimedial erfolgreicher Science-Fiction-Autor liegt noch der schmale, nichtsdestotrotz große Roman „The Man Who Folded Himself“ alias „Zeitmaschinen gehen anders“ (im Shop) von 1973, der immerhin ebenfalls für Hugo und Nebula nominiert war und den man mit Fug und Recht als einzigartigen Zeitreise-Klassiker bezeichnen kann.

Es gibt verschiedene Arten von Zeitreise-Romanen. Das dramaturgische und schwerpunktmäßige Spektrum zwischen „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells aus dem Jahre 1895, „Replay – Das zweite Spiel“ von Ken Grimwood (im Shop) aus dem Jahre 1986, „Die Jahre des Schwarzen Todes“ von Connie Willis aus dem Jahre 1992 (im Shop), „Die Frau des Zeitreisenden“ von Audrey Niffenegger aus dem Jahre 2003 und dem aktuellen Subgenre-Blockbuster „Zeitkurier“ von Wesley Chu (im Shop) ist breit. Ungeachtet dieser Vielfalt lassen der inhaltliche Ansatz und der introvertierte Fokus „Zeitmaschinen gehen anders“ von David Gerrold bis heute hervorstechen. Klar, Daniel Eakins erbt zu Beginn des Buches von seinem Onkel erst einmal einen Zeitgürtel und nutzt dieses technische Gadget unter anderem, um seine Finanzprobleme zu lösen. Aber das ist noch nicht mal die halbe Miete.

Denn jedes Mal, wenn Daniel den Gürtel einsetzt, erschafft er einen neuen Zeitstrang, eine neue Alternativwelt. Dort begegnet er zahlreichen anderen Versionen von sich selbst und probiert wirklich jede Interaktion mit den „Zwillingen“ und „Varianten“ aus. Sogar die schönste Nebensache der Welt, abgesehen von Zeitreisen. Und irgendwann wird’s psychologisch problematisch und logisch komplex, und da hebt sich Gerrolds Story dann endgültig von den meisten anderen literarischen Time Travelern ab. Darüber hinaus war das Verfassen des Buches für David Gerrold, der 1944 in Chicago geboren wurde, eine äußerst persönliche und lehrreiche Erfahrung, da er eigenen Aussagen zufolge viel über den Umgang mit seiner Homosexualität lernte, nachdem er sein Coming-out in den 1970ern anfangs hinter die Sorge um das Wohl seines Sohnes stellte. Gleichzeitig lernte er zusammen mit seinem Romanhelden viel über den menschlichen Umgang mit (nicht allein sexuellen) Möglichkeiten, und über die Verantwortung und die Konsequenzen aller Entscheidungen.

„Zeitmaschinen gehen anders“ ist alles, was man von einem SF-Roman erwartet, der mehr als Unterhaltung sein will: herausfordernd, provokant, querdenkend und faszinierend. Die vorliegende Neuausgabe innerhalb der Reihe Meisterwerke der Science Fiction enthält ein Vorwort von Sascha Mamczak und basiert obendrein auf einer jüngeren, erweiterten Ausgabe des Originals. An der angenehmen Kürze hat sich trotzdem nicht viel geändert, und irgendwo ist es beruhigend, dass tolle Einfälle und intensive Betrachtungen nicht immer auf Wälzer von sechs- oder siebenhundert Seiten hinauslaufen müssen. Der hiesige Markt dürfte schmale Bücher zwar noch weniger unterstützen als der englischsprachige, doch es müsste definitiv mehr Kurzromane geben, die der fantastischen Ideenliteratur wie im Fall von „Zeitmaschinen gehen anders“ auch nach fast einem halben Jahrhundert noch so gut zu Gesicht stehen.

 

David Gerrold: „Zeitmaschinen gehen anders“Roman • Aus dem Amerikanischen von Mary Hammer • neu durchgesehen und überarbeitet von Alexander Martin • Wilhelm Heyne Verlag, München 2017 • Taschenbuch • 176 Seiten • Preis des E-Books: € 8,99 (im Shop)

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