10. Mai 2021

Da muss doch was dahinterstecken, caramba!

Wie ich einmal beinahe jemanden von einer Verschwörungstheorie überzeugt hätte

Lesezeit: 5 min.

Neulich, eines frühen Abends, rief Georgie bei mir an: George Soros. Er sei gerade in der Gegend, Gladbeck, Recklinghausen, Wattenscheid, und würde, wenn´s passt, kurz vorbeischauen. Mit ein paar Kumpels, okay?

Er sagte nicht wirklich okay, er sagte: bone? Und ich antwortete: Kun plezuro! Denn wir reden, wenn wir unter uns sind, natürlich Esperanto miteinander, das ist bei ihm eine Familientradition, und da Esperanto eine wahrhaft globale Sprache ist, sprechen wir sie beide mit Leidenschaft (kun pasio) - hält doch das Esperanto so schöne Wörter bereit wie subakvigebla (U-Boot), freneza kokido (verrücktes Huhn),  futbala dio (Fußballgott) oder caramba (Caramba). Da aber noch nicht jede Leserin, jeder Leser von der Notwendigkeit eines zügigen Aufbaus der Weltregierung mit dazugehöriger Weltsprache überzeugt ist, übersetze ich zu deren Bequemlichkeit unsere Plauderei simultan ins Alltagsdeutsche.

Kam also Georgie vorbei, und wen brachte er mit? Er brachte wie üblich Timmy, Bill und Bezzo mit, vulgo Tim Cook, Bill Gates und Jeff Bezos, die übliche Clique. Außerdem hatten sie ein mannsgroßes, aufrecht gehendes Echsenwesen im Schlepp, das, mit seiner violetten Soutane, dem Bischofsstab und einem Sombrero, mir eher wenig glücklich getarnt schien, wenn Tarnung denn Sinn und Zweck dieses Aufzugs war. Georgie stellte mir die Erscheinung als Przybyslaw Krokodilski vor, ein Gast vom Aldebaran, der, wie Georgie mir zuraunte, mal sehen wollte, wie seine und seinesgleichen Aktien auf der Erde stünden.

„Przybyslaw Krokodilski?“, fragte ich und unterdrückte ein Schmunzeln. „Im Ernst jetzt? Ist das ein Pseudonym oder der echte Name?“

Der Echsenmann zwinkerte kokett mit den veilchenblauen Augen und sprach: „Ich sag nicht ja, ich sag nicht nein.“ Eine Floskel, die er sich, wie ich fand, besser für ein Verhör durch die CIA aufgehoben hätte. Im späteren Verlauf des Abends sollte ich immerhin erfahren, dass der Name die wortgetreue Übersetzung aus dem Aldebaranischen war, das für menschliche Ohren sonst wie eine Mischung aus Zikadengebell und Hundegezirp klingt – oder umgekehrt.

Timmy hatte wie üblich einen Rucksack voller iZeug dabei, irgendwelche Pads und Pods, und tat, als sei er der Weihnachtsmann in Spenderlaune. Ich bedankte mich wie üblich, weiß aber nie, wohin mit dem Kram. Manchmal bastele ich damit überlebensgroße Kartenhäuschen, meist benutzen wir sie in der Küche als Brett zum Karottenschneiden oder als Untersetzer für´s Abendbrot. 

Wir gingen ins Wohnzimmer. George schmiss eine Runde Trinkbeutel, in denen eine rote Flüssigkeit schwappte; sie schmeckte ein wenig herb nach Red Bull, fand ich, im Abgang bitter. Dann machte ich in der Küche ein paar Schnittchen, teils mit Salami, teils mit Mett, Zwiebel drauf und etwas Schnittlauch, und servierte sie auf einigen iPads. 

Als ich so ins Wohnzimmer zurückkam, war wohl was das Thema? Richtig - unsere gemeinsame Weltverschwörung! Georgie fand, damit ginge es, global betrachtet, gut voran. Das Chippen der Erdlinge würde bald starten; unklar nur noch, ob man in Los Angeles, Moskau oder, da man schon einmal hier war, in Gladbeck beginnen sollte; die Chips würden jedenfalls, von Timmys Leuten mundgeblasen und handbemalt, dann von Bezzos Amazon-Kurieren ausgeliefert. Wie wir sie verabreichen würden? Da, meinte Bezzo, gäbe es hundert Wege: eingebacken in Baguette, in Hustenbonbonsirup eingegossen, aufgelöst in Nasenspray oder als kleine Dreingabe in einem jener derzeit so beliebten wie begehrten Vakzine.

Und wenn es nicht für alle reicht?, fragte Bill, der alte Miesepeter.

Man könnte die Anzahl der Impflinge an die Anzahl der Chips anpassen, via Chemtrails, schlug Krokodilski vor. Der Vorschlag wurde mit 3 zu 1 Stimmen angenommen, bei einer Enthaltung. Die Enthaltung kam von mir. Ich bin ja nicht so für´s Fliegen, Düsenturbinen und diese Chemtrails, aber ich wollte die Stimmung auch nicht verderben. 

Krokodilski lobte meine Mettschnittchen. „Hast du da die Krusten abgeschnitten?“ Ich nickte. „Das schmeckt super!“, meinte der Echsemann und schlang eine weitere Stulle mit Bauarbeitermarmelade samt Zwiebelringen und Petersilienstreu herunter. 

Georgie schmiss noch eine Runde ominösen roten Saft aus Plastikbeuteln, dann kam die Frage auf: Was machen wir eigentlich, wenn wir erst einmal alle Macht an uns gerissen und die Menschen mit Mann und Maus unterjocht haben?

„Wir könnten sie alle nach unserer Pfeife tanzen lassen“, schlug Bezzo vor. „Buchstäblich. Über Alexa kommen die Flötentöne, und getanzt wird! Polonaise globale!“ Rechte Begeisterung erweckte die Idee nicht; sie wurde mit 4 zu 1 abgelehnt.

„Oder - wir stellen alle Menschen der Reihe nach auf!“, meinte Bill. „Oder noch besser: Sie müssen sich aufstellen - der Größe nach! Aber auf den Millimeter!“

Mäßig lustig, mit 3 zu 2 abgelehnt. 

„Sie müssen uns alles geben, was sie haben“, sagte Timmy. „Absolut alles! Geld, Gold, Grundstücke, Taschenuhren, Barbiepuppen, Unterhosen, Tennissocken, ihre Sammlungen von Panini-Bildern, ihre ganze Liebe und so weiter.“

„Und wo sollen wir damit hin?“, warf Bill ein. Zustimmendes Gemurmel. Geld und Gold gammelt ja jetzt schon in Unmassen bei uns zuhause rum. Am Ende ein sattes 0 zu 5 dagegen. 

Irgendwie, fand Georgie, sei es viel lustiger, die absolute Macht anzustreben, als die absolute Macht zu besitzen. Zustimmendes Gemurmel. Ich ging noch ein paar Schnittchen machen. Als ich zurückkam, hatte sich das Gespräch von der Weltverschwörungslogistik ab- und der Frage zugewandt, was eigentlich in letzter Zeit mit dem BVB los sei. „So viele hoch begabte Talente“, sagte Krokodilski, „und dann so eine Performance auf dem Platz. Hummels taucht ab wie ein subakvigebla, Reus hüpft herum wie ein freneza kokido, ich bitte euch. Das ist doch nicht normal! Da muss doch was dahinterstecken, caramba!“

Bezzo sagte: „Wieso? Der futbala dio ist eben eine launische Diva.“

Der Echsenmann starrte ihn an: „Der futbala dio? Echt jetzt? Glaubst du diesen Schmarrn, diesen finsteren Afterglauben, diesen konspirationstheoretischen Mumpitz?“

„Ich sage nicht ja, ich sage nicht nein“, erwiderte Bezzo. 

Krokodilski verdrehte seine veilchenblauen Augen, schnappte sich noch ein Mettschnittchen und schaute mich an: „Was machst du eigentlich mit den Krusten?“

Ich beugte mich zu ihm vor und raunte verschwörerisch: „Ich weiche sie in bayerisches Schwarzbier ein und verfüttere sie an nichts ahnende Passanten. Die werden danach süchtig, und voilà - sind sie meine Sklaven!“

Krokodilski sah mich für einen Moment sprachlos an, dann lachte er schallend auf. Er lachte und lachte, er prustete, bis ihm die Krokodilstränen über die geschuppten Wangen liefen. „Du Aluhutmacher!“, rief er japsend. „Fast hätte ich dir geglaubt!“

„Aber nur fast“, sagte ich verschmitzt.

Es wurde spät. Schließlich war es Georgie, der mit einem Hinweis darauf, dass er wegen einer wichtigen Aktienmarktmanipulation, Stichwort Börsencrash 3.0, morgen sehr früh raus müsse, die ganze Gesellschaft zur Tür trieb. „Bonan nokton!“, rief er mir noch zu und winkte. 

Ich schloss die Tür. Die iPads waren ratzeputz leergegessen, kein einziges Schnittchen hatte überlebt. Ich ging in die Küche, warf die iPads in den Müll, öffnete eine Flasche mit bayerischem Schwarzbier, goss den Inhalt in eine Schale und legte die Krusten ein.

 

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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