18. Januar 2023

Et voilà ...

Einige Ideen, mich betreffend, für das frisch angezapfte Jahr 2023

Lesezeit: 4 min.

Man muss sich, denn darauf kommt es an, im Leben Ziele setzen. Ob man sie erreicht oder nicht, ist eher zweitrangig. Mehr oder weniger Schokolade zu essen, könnte so ein Ziel sein. Beides scheint machbar. Sich endlich eine Modelleisenbahn zulegen und knallhart entscheiden: Märklin, Roco oder Fleischmann? Oder, wegen Platzersparnis, Minitrix oder doch Fleischmann piccolo? Sich die sündhaft teuren Alpakastrümpfe gönnen oder zwecks Abhärtung barfuß durch den kühlen Andenwinter stapfen?

Entscheidungen, Entscheidungen!

Neulich, vor ein paar Monaten, ich schalte den Fernseher ein, zappe hierhin und dorthin, da gerate ich in eine Sendung über die Wahl des französischen Präsidenten. Guck mal da, staune ich: Frankreich wählt einen Präsidenten! Wer hätte das gedacht? Aber warum auch nicht!? Unsere Nachbarn haben ein Faible fürs Monumentale, man denke an den Eiffelturm (oder Tour Eiffel) mit dem Turmrestaurant Le Jules Verne (der Michelin verleiht einen Stern, ein À-la-Carte-Menü gibt es für 135 Euro) oder an die nach New York verfrachtete Freiheitsstatue, bekanntlich eine Kolossalstatue des großen Kolmarer Bildhauers Frédéric-Auguste Bartholdi, über die seinerzeit die New York Times jubelte: „Kein wahrer Patriot kann bei der aktuellen Lage unserer Finanzen irgendwelche Ausgaben für bronzene Frauen gutheißen.“ Ach ja, die Patrioten. Warum wohl Mutter Sprache diesem wunderlichen Stamm Reimwörter an die letzten Silbe geheftet hat wie Bruchpilot, Rettungsboot, Rauchverbot, Helden- oder mausetot, Taubenkot und Käsebrot? Man weiß es nicht; die Linguisten hüllen sich in Schweigen.

Jedenfalls kam mir der Gedanke: Französischer Präsident zu sein, das wäre fein! Und die Wahl erst! Milliarden Französinnen und Franzosen, die nägelkauend an den flimmernden Bildschirmgeräten sitzen und bangen: Schafft er es, schafft er es nicht? Dazwischen Auftritte von Mireille Mathieu, Zinédine Zidane, Asterix und Isnogud, dem Großwesir, Michel Bras und was sonst in der gallischen Kultur Rang und Namen hat.

Natürlich würde ich das eine oder andere Konkurrentchen mein eigen nennen. Denn das Dasein als französischer Staatspräsident ist ein schönes: Man erhält pro Jahr ein Gehalt von 240.000 Euro (brutto) - das genügt für zwei warme Essen pro Tag bei Le Jules Verne. Man kann jederzeit kostenlos in der Ersten Klasse der Air France fliegen. Neben dem Bischoff von Urgell ist man einer der beiden Ko-Fürsten des Fürstentums Andorra. Eine Amtsenthebung via Enthauptung („Guillotine“) ist rechtlich so gut wie ausgeschlossen.

Deswegen meine Frage: Was muss man mitbringen, als Kandidat und dann hoffentlich auch als Präsident? Zunächst: Man muss über achtzehn Jahre alt sein, das ist leicht. Ich bin alt genug für dreieinhalb Präsidentschaften, stehe gut im Futter und habe einen Führerschein.

Natürlich werden jedem Bewerber kleinere, zeremonielle Hürden in den Weg gelegt, sonst wären der Bewerber wohl auch zu viele: Jeder Kandidierende muss von fünfhundert gewählten Mandatsträgern unterstützt werden, die dreißig verschiedene Départements beziehungsweise Überseegebiete vertreten und so weiter patati und patata. Für einen Herzblutpolitiker wie mich sind das Kinkerlitzchen, allenfalls Petitessen, Peanuts, ganz kleine Knollen Knoblauch. Mit dem Wahlvolk könnte ich gut, wir würden uns mit Händen und Füßen verständigen, Französisch spreche ich ja nicht, dafür ein wenig Holländisch. Etwas Dingsbumserei, etwas Popowackeln im TV-Duell, gute Miene zum guten Spiel machen – et voilà!

Allerdings kennt mich in Frankreich kein Mensch. Gut oder schlecht? Ob man, um ins Gespräch zu kommen, vorher vielleicht Bundeskanzler werden sollte? Programmdirektor bei ARTE? Bildhauer zu Kolmar, wo man die monumentalsten Statuen errichten könnte? Ich spiele mit dem Gedanken, mich der Dienste einer Werbeagentur zu versichern, Schibulski & Rosenroth haben in Fachkreisen einen guten Ruf.

Vielleicht klappt es aber auch ohne.

Bis dahin blättere ich in alten Fallerkatalogen, sichte und suche mir Modellhäuser aus für meine zukünftige Eisenbahn: das legendäre Rundcafé, die schmucke Kapelle vom Falzarego-Pass, den drolligen Fliegenpilz-Kiosk - die Kennerin und der Kenner wissen, wovon ich rede. Auch will genau überlegt sein, welchen Bahnhof man auf die Erdenscheibe stellt: Es muss ja ein TGV dort halten, wegen Präsidentschaftswahlkampf in Paris. Dazu werden sich etliche Miniaturfigurensets gesellen: Bahnhofspersonal, Gleisbauarbeiter, Passanten, das Set „Film- und Fernsehteam“, versteht sich, eine Tiroler Trachtenkapelle, Schuhplattler, Köche, Nonnen, Vogelscheuchen sowie das Set „Am FKK-Strand“ für eventuell wünschenswerte Skandale.

Im Modellfigurensortiment werden auch Einzelfiguren von Weltbedeutung angeboten: Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Präsident Obama und die First Lady.

Eine Figur „Erster deutsch-französischer Präsident“ fehlt bislang.

Aber das Jahr ist ja noch jung.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier

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