1. August 2022

Kreuzfahrt mit Kafka

Von Pelikanen, schwimmenden Schweinen und Gelassenheitstapsern - wer eine Reise tut, erlebt wirklich was

Lesezeit: 5 min.

So. Da haben meine Schwester und ihre Tochter also hinter meinem Rücken eine Kreuzfahrt unternommen. Es wurden allerlei Fotos geschossen, auch pikante Filme gedreht, und zwar mit dem treuen Familiensamsung.

Anflug aus Paris (an der Seine) nach Miami über das bewährte Bermuda-Dreieck. Die Motoren setzen wie auf‘s Kommando aus; abgehackte Wortfetzen aus dem Cockpit, dann nur noch Knistern und Rauschen aus den Lautsprechern; hohe, spitze Schreie der Stewardessen hinter dem Vorhang; die Maschine sackt ab. Die Passagiere erinnern sich der Gebete ihrer Kindheit. Wenig später: Die bewährten Rolls Royce-Turbinen springen wieder an, der Kapitän meldet sich bester Laune aus dem Kanzel und verkündet: Alles nur Spaß! Haha.

Miami. Hotel. Ein paar Tage Aufenthalt. Fahrt zu den Keys. Da, ein Pelikan! Key Largo, Key Biscayne, da, noch ein Pelikan! Nein, jede Menge Pelikane. Drei. Vier. Fünf. Key West. Pelikane am Strand, Pelikane am Hafen auf allen Pollern. Die Pelikane stolzieren über die Straßen, als ob die Stadt ihnen gehört.

Abfahrt aus Miami. Das Kreuzfahrtschiff heißt Symphony of the Caribbean. Zur Ausfahrt aus den Docks tutet das Schiffshorn der Symphonie, und es klingt wie der langgezogene Furz des höchsten Höllenfürsten. Auslaufsong: „Road to Nowhere“ von den Talking Heads.

Gut durchdachte Kabine, weitgehend pelikanfrei. Balkon seeseitig. Die Handtücher werden vom indonesischen Kabinenpersonal zu Tierfiguren geknotet und gefaltet: mal ein Faultier, mal ein Kapuzineräffchen, mal – logisch - ein Pelikan.

Jeden Tag ein Landgang. Schiffskärtchen? Eingepackt. Vorsicht, vor Ort gilt immer eine andere Zeit als on board. Der gewiefte Kreuzfahrer trägt zwei Uhren an den Handgelenken, um die örtliche, mexikanisch-honduranisch-bahamaische Zeit und die Bordzeit abzulesen.

Bekanntlich sehen alle Möwen aus, als ob sie Emma hießen. Alle Faultiere sehen aus, als ob sie Hubert hießen. Alle Klamaukäffchen aber sind die Lehman Brothers des Tierreichs, sie mopsen, stibitzen und stehlen, als gäbe es kein Morgen. Bevor man in Roatán, Honduras, ins Klauaffengehege steigt, sollte man sämtliche Wertsachen, Börsen, Ohrringe, Halsketten, Diademe und den Intimschmuck in einen eisernen Spind sperren und den Schlüssel dazu gut verwahren, verstecken, am besten verschlucken.

Der Klabauteraffe, der dann über das goldene Haar und das Haarband meiner Schwester herfiel, nannte unter anderem den Pfropfen eines Parfümflakons aus der Manufaktur des französischen Glasmachermeisters René Lalique sein eigen, ferner eine Bauchkette, vergoldet und antiallergisch, und last but not least einen Absinthlöffel aus Zink mit ausgestanzten Löchern in der Fläche. Weiß der Teufel, woher er das ganze Zeug hatte.

Im Wasser Marke Kristallklar tummeln sich neben den Schnorchlern von der Symphony of the Caribbean Rochen, Muränen und Schildkröten; ab und an schlendert ein Walhai vorbei.

Begegnung mit den Faultieren. Ohrringe, Halsketten, Diademe, Intimschmuck aller Art ausdrücklich erlaubt. Zwar würden die Tiere auch gerne klauen, sind aber zu langsam, ach, so langsam! Sie fühlen sich ein bisschen nach Rauhaardackel an und sind geruchsneutral.

Faultiere heißen auf Englisch Sloth, was nicht wesentlich schmeichelhafter klingt, auf Französisch immerhin Paresseux, was zu Deutsch aber auch nur so viel wie „arbeitsscheu“ oder „Faulpelz“ bedeutet. Ich weiß ja nicht, ich würde diese liebenswerten Kreaturen „Geduldstiere“ nennen, „Bedachtsamhängler“ oder „Gelassenheitstapser“.

Wer einmal ein solches Tier auf dem Arm gehalten hat, weiß, was ich meine. Überhaupt sollte man sich in solchen oder ähnlichen Fällen immer fragen: Was hätte Kafka getan?

Da erklingt schon der symphonische Höllenfürstenfurz, man hat auf die falsche Uhr gestarrt, zurück auf‘s Schiff und auf die „Road to Nowhere“.

Nächster Stopp, Bahamas. Der Kenner weiß, dass auch Drag Queen Anastarzia Anaquway alias Jermaine Aranha von den Bahamas, nämlich aus der Hauptstadt Nassau stammt. Der sympathische Inselstaat fristet sein Dasein unter der altersweisen Diktatur von Queen Elisabeth II. mit Gurken, Zwiebeln (Export) und Touristen (Import); auch wird Fisch gefischt, Meersalz gewonnen, und durch pfiffige Steuervermeidungsgesetzte behaupten die Bahamas einen vorderen Platz auf der Schwarzen EU-Liste der rastlosesten Steueroasen und Geldwaschparadiese.

Begegnung mit den schwarzen Schweinen. Der Schweinehirt lockt: Wer wolle und könne, dürfe mit ihnen um die Wette schwimmen. Der smarte Liam aus North Dakota – „The Drinking State (Adults drinking excessively: 24,7%; Alcohol-related driving deaths: 46,7% - the highest; Drunkest metro area: Fargo)“ - tönt, von einigen Cuba Libres beflügelt: „Das Schwein zieh ich ab!“

Ins Wasser, ins Wasser! Wer ist schneller, Liam oder das Schwein? Das Schwein ist schneller und zieht Liam ab. Eine andere Sau plantscht unterdessen mit meiner Schwester und tritt sie (denn Schweine sind Paarhufer) gegen die Hüfte. Abends beim Captain‘s Dinner: Schweineragout mit Mango Chutney.

Zum Abschluss noch einmal auf‘s Boot, auf‘s Propellerboot in den floriden Everglades. Warum heißen die Everglades Everglades? Keine Ahnung. Der Skipper und Master of Propeller Arts Banana Joe (wohl ein Künstlername) sitzt hoch zu Ross auf dem Steuermannssitz und gibt auf keine Fragen Antwort; er zeigt auf seine Ohren, bedeutet: Der Propeller tost einfach zu laut. Die Passagiere halten nach Alligatoren Ausschau (Füttern verboten!); die Mückenschwärme halten nach Swamp-Boat-Passagieren Ausschau; die Alligatoren sehnen sich nach Ruhe und Weltfrieden, caramba.

Meine Nichte und Tochter meiner Schwester meint, dass „Caramba“, und zwar in der Form „Car-amba!“ ein prima Name für eine Autovermietung wäre. Ich lasse das mal so stehen.

Übrigens kann man im Mitbringselshop vom Gator Park für ein paar Yankee-Dollars Alligatorenschädel erwerben, ein immer wieder gern gekauftes und bestauntes Reisesouvenir. Leider sind Ausfuhr oder Einfuhr oder beides sowie das Mitführen des Schädels als Handgepäck im Flieger verboten. Dann eben nicht. Man muss nicht alles haben. Ich persönlich kenne viele Menschen, die sich durch‘s Leben schlagen, ohne einen einzigen Alligatorschädel an der Wand ihrer Gästetoilette oder auf dem Küchenregal oder sonstwo.

Von Miami ist es dann über Paris nach Hause gegangen. In Paris hatte der Anschlussflug allerdings Verspätung. Na ja - Paris, la ville de les Paresseux!

Sonst lässt sich über diese Reise nichts Gegenteiliges verlauten.

Bald, da sind die Kreuzfahrtschiffsbauer sicher, wird so eine Kreuzfahrt emissionsfrei verlaufen. Bienenfleißige Sonnenkollektoren an Deck, aerodynamische Metallschwingen, die bis zu achtzig Metern ausgefahren werden können und das alte Segelsystem ersetzen, kinetische Böden, die, wo die Passagiere tanzen, hüpfen oder im Fitnessstudio auf Laufbändern unterwegs sind, bei jedem Schritt Strom erzeugen, dazu üppiggrüne Bordgärten mit schattigen Nischen sind die Zukunft der Kreuzschifffahrt - Schweröl und Treibhausgase ade! Dann müssen für eine prächtige CO2-Bilanz nur noch die Kreuzfahrer selbst in den schönsten Momenten, ein Faultier auf dem Arm oder ein Äffchen in der Frisur, den Atem anhalten.

Ahoi.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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