Als die Marsianer doch nicht die Erde einnahmen
Schrill, schräg und bunt: „Die Sirenen des Titan“ von Kurt Vonnegut jr.
Zigaretten, die versehentlich Sterilisation verursachen; kleine papierdrachenartige Lebewesen auf dem Merkur, die sich von den Gesängen des Planeten ernähren, und eine Invasion vom Mars, deren einziger Erfolg in der Erstürmung einer Metzgerei in Basel besteht – es ist ein hübsch durchgeknalltes Panorama, das Kurt Vonnegut jr. in seinem rasanten Klassiker aus dem Jahre 1959 entfaltet. Mitten im Geschehen befindet sich ein Mann, der die meiste Zeit kaum mitbekommt, was um ihn herum passiert, um den es aber letztlich überhaupt nicht geht. Nun hat der Heyne-Verlag Die Sirenen des Titan (im Shop) in der zeitlosen Übersetzung von Harry Rowohlt neu herausgebracht.
Malachi Constant, ein stinkreicher US-Amerikaner, der sein Vermögen einer ganz besonders unintelligenten Anlagestrategie verdankt, wähnt sich im Glück. Er ist der erste Mensch, der eine Einladung zu einer Materialisation von Winston Niles Rumfoord eingeladen wird, einem ebenfalls hochvermögenden Zeitgenossen, der mit seinem Raumschiff in eine Anomalie geraten ist und seither nur als Wellen-Phänomen existiert, das alle 59 Tage Gestalt annimmt. Rumfoord kennt die Zukunft, und er hat eine erstaunliche Nachricht für Constant – dieser werde in Kürze den Mars, den Merkur, dann wieder die Erde und schließlich den Titan besuchen, wo ihn verführerische Frauen – die titelgebenden Sirenen – erwarten. Vorher allerdings würde er mit Mrs. Rumfoord einen Sohn zeugen; der Name steht bereits fest.
Constant ist zwar geschmeichelt, weil er sich schon immer für einen Auserwählten gehalten hat, denkt aber keineswegs daran, zum roten Planeten zu fliegen. Das braucht er allerdings auch nicht, da ihn zwei Rekrutierungsoffiziere der marsianischen Armee kurzerhand entführen, um Constant – mit gelöschtem Gedächtnis und als „Onkelchen“ – der Truppe einzugliedern. Man plant eine Invasion auf der Erde. Die misslingt auf ganz einzigartige Weise, was jedoch Rumfoords Plänen entspricht: Ihm geht es darum, eine neue Religion zu begründen, die „Kirche des durchaus Gleichgültigen Gottes“, bei deren Errichtung Constant eine Schlüsselrolle zukommt. Aber was das alles mit Rumfoords Freund Salo auf Titan zu hat, dem Botschafter von Planeten Tralfamadore, wird erst im Schlusskapitel klar – und rückt die Rolle der Menschheitsgeschichte in ein völlig neues Licht.
Während Vonnegut mit seiner Dystopie Player Piano (1952; dt. Das höllische System) in erster Linie ein Anerkennungserfolg gelang, wurde sein zweiter Roman The Sirens of Titan stärkere Beachtung zuteil; dazu gehört auch, dass das Buch 1960 für den Hugo nominiert wurde. Voll irrlichternder Einfälle und mit hohem Tempo erzählt, ist Vonnegut ganz bei sich selbst angekommen; nur Slaughterhouse Five (1969; dt. Schlachthof Fünf) wird über die Jahre noch erfolgreicher werden.
Die Sirenen des Titan lässt sich als eine umgestülpte und parodistische Version einer Space Opera beschreiben, die auf die britische Komikertruppe Monty Python und das Werk von Douglas Adams vorausweist. Obwohl es an Seitenhieben auf Militarismus und Konsumkult nicht fehlt, ist der Roman in erster Linie eine Religionssatire; schließlich lautet das Motto von Rumfoords Kirche: „Kümmert euch um die Angelegenheiten der Menschen, und Gott der Allmächtige wird sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.“ Mit der nachfolgenden Bemerkung, dass das Schicksal „nicht aus Gottes Hand“ komme, positioniert sich Vonnegut als Skeptiker, der allen Heilsversprechungen misstraut. Tatsächlich erlauben es ihm die Möglichkeiten der SF, jede angebliche „Zielgerichtetheit der menschlichen Existenz“, wie Denis Scheck in seinem Vorwort schreibt, „ad absurdum führen zu können“. Ebendies ist das Anliegen des Romans. Das Resultat liest sich heute genauso erfrischend wie vor sechzig Jahren und sollte unbedingt neu besichtigt werden.
Übrigens: Wer mehr über Vonnegut wissen möchte, kann zu dem entsprechenden Band von Stefan T. Pinternagel in der Reihe SF Personality greifen.
Kurt Vonnegut jr.: Die Sirenen des Titan • Roman • Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt • Vorwort von Denis Scheck • Heyne Verlag, München 2023 • 351 Seiten • Erhältlich als Paperback und Ebook • Preis des Paperbacks: 16,00 € • im Shop
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