1. Februar 2022 1 Likes

„Der Hinterhalt“ von Ian Rankin

Ein Tech-Thriller-Frühwerk des Bestsellerautors erstmals auf Deutsch

Lesezeit: 4 min.

Seit Jahren kennt und feiert man Ian Rankin (im Shop) als Meister der schottischen Krimiliteratur und hier vor allem als Schöpfer des bärbeißigen Ermittlers John Rebus. Zu Beginn seiner Karriere probierte Mr. Rankin aber verschiedene Genres aus und legte mit „Westwind“ z. B. einen Tech- bzw. Spionage-Thriller vor. Ursprünglich kam das Werk 1990 in die Läden, ziemlich genau zwischen den ersten beiden Rebus-Romanen von 1987 und 1991. Allzu viel Staub wirbelte „Westwind“ nicht auf, das Buch verschwand nach den seinerzeit üblichen Zyklen für Hardcover und Paperback schnell wieder vom Markt. 2019 sah Rankin sein spannungsliterarisches Frühwerk für eine Neuausgabe durch, und jetzt kann man das Buch als Der Hinterhalt“ (im Shop) erstmals auf Deutsch lesen.

Mit Ende 20 siedelte Rankin seine ab 1987 entstandene Geschichte in einer Parallelwelt an: Berlin ist noch geteilt, doch die US-Truppen ziehen sich bereits aus Europa zurück. Darin liegt eine verblüffende Parallele zu unserer Gegenwart mehr als 30 Jahre später – immerhin sehen wir gerade, was für einen Dominoeffekt der amerikanische Truppenabzug aus Afghanistan hat. In „Der Hinterhalt“ nutzen die Briten ihren für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Überwachungssatelliten Zephyr, um ihre Insel und den Rest der Erde im Blick zu behalten. Martin Hepton arbeitet als Analyst im Kontrollzentrum, wo die Bilder des britischen Auges im All einlaufen und ausgewertet werden. Eines Tages verlieren Martin und die anderen Mitarbeiter allerdings für mehrere beängstigende Minuten den Kontakt zu Zephyr. Martins junger Kollege Paul beobachtet in dieser Zeit gar etwas Seltsames. Als Martin sich später die Daten ansehen will, ist Paul verschwunden, sein Computer kaputt. Außerdem wird die Welt der internationalen Beziehungen vom Absturz eines Space Shuttles mit einer amerikanisch-britischen Crew erschüttert, den einzig der englische Astronaut Mike Dreyfuss überlebt. Martin beginnt nachzuforschen und kriegt in Sachen Zephyr schnell gefährlichen Gegenwind zu spüren, da er einer Verschwörung zu nahe kommt …


Ian Rankin. Foto © Hamish Brown, courtesy of Orion Publishing Group

Ian Rankin ist der auflagenstarke König des Tartan Noir, also des schottischen Krimis (angeblich entstand der Begriff bei einem Zusammentreffen von Rankin und James Ellroy: Rankin stellte sich dem amerikanischen Krimi-Gott als Fan und selbst Autor von Tartan Noir vor, und Ellroy machte Rankin in einem Blurb daraufhin zum King of Tartan Noir. Jedenfalls will es so die Legende). Allein Rankins rund zwei Dutzend Bände umfassende Serie um den Ermittler John Rebus samt Mitstreitern und Gegnern fesselt seit mehr als drei Jahrzehnten und liefert seit den späten 1990ern internationale Bestseller. Zuletzt durfte der 1960 geborene, mit allen wichtigen Krimi-Preisen ausgezeichnete Rankin sogar einen unveröffentlichten Prequel-Roman zur fundamentalen „Laidlaw“-Serie von William McIlvanney (im Shop) vervollständigen, dem Vater des modernen Tartan Noir. Aber wo anfangen? 25 Romane einer Serie können trotz Sammelbänden (im Shop) einschüchternd und abschreckend wirken, und manchmal dauert es ein paar Bücher, bis die Maschine richtig läuft. Vorne anfangen geht selbstverständlich immer. Kürzlich habe ich einer Freundin dennoch guten Gewissens empfohlen, einfach den 21. Rebus-Roman „Ein kalter Ort zum Sterben“ (im Shop) zu lesen, der den Haudegen aus dem Ruhestand holt und alles hat, was ein guter Rankin/Rebus braucht – und sich dabei vorbildlich zugänglich präsentiert. Im Sommer steht mit „Ein Versprechen aus dunkler Zeit“ (im Shop) indes der neueste Rebus-Roman auf Deutsch an.

Als Rankin damals „Der Hinterhalt“ schrieb, konnte er von solch einem anhaltenden Erfolg und so einer großen Karriere nur träumen. In seinem sympathischen Vorwort zur englischsprachigen Neuauflage bzw. deutschsprachigen Erstausgabe, für das er auf seine Tagebücher zurückgegriffen hat, erzählt der Schotte von seinen schriftstellerischen Anfängen, verschiedenen Genre-Testballons und allerhand Umschreibungen, bis „Zephyr“ das erste Mal herauskam, ohne viel Wind zu verursachen oder einen Begeisterungssturm zu entfachen. Was soll’s, Rankin hatte nach all den Jahren sicher einen Haken dran gemacht (Autoren müssen ohnehin stets nach vorn schauen). Doch Fans und Sammler suchten das Frühwerk ihres Lieblingsautors, gaben oft viel Geld für eine alte Ausgabe aus. Deshalb ließ sich Rankin dazu überreden, den Roman aus einem anderen Abschnitt seines Lebens und Schaffens noch einmal zu lesen – und fand ihn nicht so schlimm wie befürchtet (noch so ein Autorending). Nach ein paar kleineren kosmetischen Änderungen kam es 2019 schließlich zur Neuedition.

Diese Geschichte über einen Satelliten, ein Space Shuttle, tote Astronauten und allerhand Verschwörer mit den Rebus-Hardboiled-Glanzstücken eines erfahrenen Schriftstellers auf der Höhe seines Schaffens zu vergleichen, wäre natürlich müßig. „Der Hinterhalt“ muss viel mehr als Zeitreise zum Anbeginn von Ian Rankins Autorenlaufbahn sowie in eine andere, simplere Ära des Tech-Thrillers und des digitalen Zeitalters gesehen werden. Der erste und einzige Rankin im Regal oder Reader sollte „Der Hinterhalt“ so oder so nicht sein.

Ian Rankin: Der Hinterhalt • Roman • Aus dem Englischen von Rainer Schmidt • Goldmann, München 2022 • 400 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 13,00 • im Shop

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