Das Monster und wir
Science-Fiction in der Schulkindbetreuung
Neben meiner Tätigkeit als Redakteur und Autor für diezukunft und andere Medien arbeite ich seit vielen Jahren mit geflüchteten Kindern in der Asylunterkunft an meinem Wohnort Hochdorf, einem kleinen, idyllischen 5000-Seelen-Dorf am Rand der schwäbischen Alb. Vor einem Jahr hatte ich beschlossen, diese Tätigkeit auf die Schulkindbetreuung der örtlichen Grundschule in Form eines Teilzeitjobs auszuweiten, den ich im April dieses Jahres während der Betreuung in den Osterferien erstmals so richtig mit meiner tiefen Liebe zum Schreiben und zur Literatur verknüpfen konnte. Zusammen mit fünf Kindern der ersten und zweiten Klasse wurde eine illustrierte Geschichte entwickelt, Genre natürlich Science-Fiction: „Das Monster in der Scheune“.
Erzählt wird von zwei Hasen, Konstantin und Millie, die in Hochdorf bei einem Mädchen und ihrer Tante leben, und eines Abends in einer alten Scheune auf ein Monster mit grünen Augen treffen. Doch die Schreckensgestalt entpuppt sich als traurig, weil es von den Eltern (die, was angedeutet wird, aus dem Weltraum kommen) zurückgelassen wurde. Die Hasen und das Monster, das Fluffy heißt, freunden sich an und treffen sich fortan regelmäßig zum Spielen, allerdings nur in der Abenddämmerung, denn Fluffy hatte zuvor schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht.
Ganz dem medialen Zeitgeist entsprechend wurden bewusst Hintertürchen für eine Fortsetzung gelassen und in den Sommerferien ergab sich dann die Gelegenheit für noch viel mehr: Eine Kollegin und ich boten den Kids (erneut erste und zweite Klasse), dieses Mal 14 an der Zahl, eine Buchwoche an, die sich an den ersten zwei Tagen mit dem Buch als solches befassen sollte. An den restlichen drei Tagen stand dann die Produktion der Fortsetzung auf dem Programm (die große Vision ist eine fortlaufende Serie, die in den Ferienbetreuungen fortgesetzt werden soll).


Ich war gespannt. Vor allem vor dem Hintergrund, das in den Medien derzeit mal wieder fast durchwegs Schwarzmalerei betrieben wird, wenn es um den Nachwuchs geht, und die gesellschaftlichen Debatten dementsprechend ausfallen. Selbst die Jüngsten hängen Tag und Nacht am Smartphone, können sich nicht mehr konzentrieren, lesen nicht mehr. Buch pfui, Tiktok hui.
Würden sich die kleinen Digital Natives also dafür interessieren wie zum Beispiel eine Buchseite hergestellt wird?
Und wie!
Los ging es am Montag mit grundsätzlichen Fragen: Konnten alle Menschen früher lesen und schreiben? Auf was wurde früher eigentlich geschrieben? Zur Veranschaulichung konnte ein Reispapier mit japanischen Schriftzeichen organisiert werden. Jeder durfte mal anfassen – die Möglichkeit wurde von allen mit großen Augen und spürbarer Ehrfurcht wahrgenommen.
Dann wurde es konkreter: Was braucht man, um ein Buch herzustellen? Anschließend zeigten wir einen kurzen Film über Papierproduktion.
Bereits in dieser frühen Phase war die Begeisterung für das Thema mehr als deutlich und es war erstaunlich, was für ein Wissen die Kinder bereits mitbrachten. Die Begeisterung wurde in der folgenden Phase noch größer, denn nun kam ein praktischer Teil, sprich: Es konnte ordentlich zerfetzt und auch ein wenig gemantscht werden – die Herstellung eines eigenen Blatt Papiers stand an!
Zuerst durften die Papiermacher ein paar Kisten gesammeltes Papier zerreißen. Danach wurde heißes Wasser drüber gegossen und alles mit einem Pürierstab zu einem Brei verarbeitet, der bei zwei Kindern Erinnerungen an Milchreis weckte. Nach dem Abkühlen durften sich die Teilnehmer mit Schöpfrahmen dann eine Schicht herausschöpfen, aus der mit einer kleinen Rolle das Wasser herausgepresst wurde, so dass die Fasern sich zu einer Seite verbinden konnten. Das war nicht immer ganz einfach und erforderte etwas Geduld, aber die Kinder waren mit Hingabe bei der Sache und ließen sich von Fehlschlägen nicht entmutigen. Schlussendlich hatte jeder seine ganz eigene Seite Papier.
Am folgenden Tag wurden zuerst die Tätigkeiten von Tag 1 rekapituliert, die inzwischen getrockneten Werke von gestern begutachtet und ein neues Thema aufgemacht: Schreibwerkzeuge. Die Frage lautetet: Mit was könnte früher wohl geschrieben worden sein?
Zur Veranschaulichung gab es Pinsel, Feder und Stempel. Nach einem weiteren kleinen Film, dieses Mal über die die Erfindung des Buchdrucks, bestand für die Teilnehmer die Möglichkeit mit Stempeln ein Wort oder gar einen ganzen Satz zu stempeln. Ein Kind wollte außerdem ausprobieren, wie es ist, mit einer Feder zu schreiben und fand ganz offensichtlich großen Gefallen dran.
Nun sollte das Monster in den Mittelpunkt rücken: Die Geschichte vom April wurde vorgelesen und stieß auch bei den neuen Kindern auf Begeisterung. Mit der Aufforderung, sich Gedanken über die Figuren zu machen und sich bis zum nächsten Tag schon mal zu überlegen, wie es denn weitergehen könnte, wurden die Kinder aus der Betreuung entlassen.
Der Mittwoch fing mit einem zentralen Punkt an: Zuerst sollten die Hauptfiguren gestaltet werden, wie sehen diese aus, was für Eigenschaften haben sie. Das Aussehen wurde eigentlich bereits im ersten Teil festgelegt, aber da es mit derart jungen Künstlern natürlich nur schwer möglich ist, Konsistenz zu erzeugen und es mir eh lieber ist, dass die Kids ihrer Fantasie freien Lauf lassen, statt sich an Vorgaben zu halten, ist die Gestaltung des Projekts bewusst locker gehalten.


Um eine angemessene Arbeitsatmosphäre zu schaffen, hatte ich unseren Raum zuvor in den „Raum des Fantasie“ umbenannt und versucht ihm mit einen Sternenhimmel- und einen Nordlichtprojektor eine gewisse mystische Atmosphäre zu geben. Der Plan ging nicht ganz auf, da das Zimmer nur schwer abdunkelbar ist beziehungsweise die Projektoren nicht stark genug sind, um dem Tageslicht komplett zu trotzen. Dennoch, es war okay, und die Kinder waren so begeistert, dass ein paar von ihnen beim Aufbau am drauffolgenden Tag sogar an der außen angebrachten Kletterwand hochklettern, um möglichst als Erstes einen Blick in den Raum der Fantasie zu werfen und ein Mädchen am letzten Tag sogar einen kleinen Projektor in Form eines Nachttischlampe mitbrachte.
Aber wieder zurück zum Mittwoch: Die Kinder wurden in drei Gruppen unterteilt, jede Gruppe bekam die Aufgabe sich um eine der Hauptfiguren zu kümmern. Im ersten Schritt sollte jedes Gruppenmitglied zeichnen, wie es sich die Figur vorstellt, danach musste jede Gruppe einen Kompromiss aus allen gezeichneten Motiven finden und zusammen eine Figur zeichnen, in der Vorstellungen von allen auftauchen. Ich hatte ehrlicherweise – zumindest etwas – Zank befürchtet, war dann aber überrascht, dass das unheimlich gut klappte und wirklich zauberhafte Bilder dabei herauskamen.
Der Donnerstag begann mit einer kleinen Wanderung durch Hochdorf, bei der die Kinder sich während kurzer Stops immer wieder überlegen sollten, welche Plätze Konstantin, Millie und Fluffy aufsuchen und was sie in Hochdorf so alles erleben könnten. Im Raum der Fantasie wurde anschließend festgelegt, wohin konkret die Reise für unsere Helden gehen sollte (die Hochdorfer Eisdiele war die häufigste Nennung) und wie die Geschichte in Grundzügen aussehen soll. Anschließend wurden noch diverse Szenen überlegt, die die Kinder am letzten Tag der Buchwoche malen sollten. Die Fertigstellung liegt nun in meinen Händen und wird demnächst erfolgen. Für die Kinder wird es eine Papierversion geben, für alle anderen eine digitale Version – Link wird an dieser Stelle bekannt gegeben. Bis dahin kann man ja mal in Teil 1 (Download) abtauchen
Insgesamt war es jedenfalls eine schöne, erfüllende Woche für alle, die Kinder haben beim gemeinsamen Abschlussgespräch gestrahlt und bestätigt, dass ihnen das Thema Buch viel Freude bereitet hatte und natürlich sind alle tierisch auf die Fortsetzung zu „Das Monster in der Scheune“ gespannt!
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