22. August 2013 1

Selbstmystifikation

„Robert A. Heinlein“ – Eine Biografie

Lesezeit: 9 min.

In der Geschichte der Science-Fiction-Literatur nimmt Robert Anson Heinlein zweifellos eine herausragende Stellung ein. Nicht nur hat er jene Phase der US-amerikanischen SF entscheidend mitgeprägt, die gemeinhin als Golden Age bezeichnet wird und die das Selbstverständnis des Genres bis heute bestimmt, er gilt auch als erster SF-Autor, dem es gelang, die Pulp-Magazine hinter sich zu lassen und Geschichten in renommierten Publikumszeitschriften zu veröffentlichen. Mit »Stranger in a Strange Land« schließlich schuf er einen Bestseller, der zum Hippie-Kultbuch avancierte und heute zu den unbestrittenen Klassikern des Genres zählt.

Zugleich war und ist Heinlein ein Autor, an dem sich die Geister scheiden. Diskussionen zum 1959 erschienenen Military-SF-Roman »Starship Troopers« (und Paul Verhoevens Verfilmung von 1997) arten regelmäßig in hitzige Streitereien aus, bei denen fast unweigerlich der Faschismusvorwurf fällt. In den Augen seiner Kritiker erscheint Heinlein als erzkonservativer Macho und Militarist. Tatsächlich ist die Realität komplexer, und obwohl »Starship Troopers« ein erstaunlich dummes Buch ist, zielt der Faschismusvorwurf daneben. Heinlein war kein Faschist, sondern ein typischer Vertreter des Libertarianismus, einer vor allem in den USA populären extremen Spielart des Liberalismus, bei der die Selbstbestimmung des Einzelnen über allem steht. Mit dem traditionellen Links-Rechts-Schema ist diese Ideologie nur schwer zu fassen. Geht es um Fragen der persönlichen Lebensweise – etwa Religion, sexuelle Ausrichtung oder das Recht auf Abtreibung –, nimmt der Libertarianismus typisch linke Positionen ein, rückt dagegen die Rolle des Staates für das Gemeinwesen in den Vordergrund, finden Libertäre oft mit der äußersten Rechten zusammen (wie es sich auch bei der Tea Party zeigt).

Heinlein ist somit zweifellos eine Figur, die reichlich Material für eine lesenswerte Biografie böte. Leider macht William H. Patterson wenig aus dieser vielversprechenden Ausgangslage. Seine autorisierte Biografie weist gleich mehrere Defizite auf. Zum einen nimmt Patterson seinen Protagonisten viel zu wichtig. Dass Heinlein für die SF eine bedeutende Rolle gespielt hat, dürfte, wie bereits gesagt, unbestritten sein. Wenn Patterson in der Einleitung den Tod Heinleins im Mai 1988 aber allen Ernstes auf eine Stufe mit der Ermordung John F. Kennedys und den Anschlägen des 11. Septembers stellt, vergreift er sich gleich um mehrere Größenordnungen. Das fehlende Maß zeigt sich auch im Umfang seines Buches: Fast 500 Seiten Text und noch einmal 100 Seiten Anmerkungen, und damit ist lediglich die erste Hälfte von Heinleins Leben bis 1948 abgedeckt. Die vier Jahrzehnte bis zu seinem Tod, der Zeitraum, in dem fast alle als Klassiker geltenden Bücher entstanden sind – aber auch der Film Destination Moon, an dem Heinlein maßgeblich beteiligt war –, sollen in einem zweiten Band behandelt werden.

Das zweite Manko betrifft Pattersons Fähigkeiten als Autor. Der Biograph ist ein ausgewiesener Heinlein-Kenner; er ist Herausgeber des Heinlein Journals, Mitarbeiter bei der Virginia Edition, einer Gesamtausgabe der Schriften Heinleins, und Mitbegründer der Heinlein Society, die den Nachlass des Schriftstellers verwaltet. Tatsächlich ist die vorliegende Biografie nicht bloß durch die Society respektive durch Heinleins 2003 verstorbene Witwe Virginia autorisiert, sondern ist vielmehr in deren Auftrag entstanden. Pattersons Zugriff ist somit ein wohlwollend-bewundernder, allzu Kritisches oder gar Abschätziges wird man bei ihm nicht finden. Das wäre an sich noch kein Unglück, denn davon gibt es wahrlich genug. Weitaus mehr ins Gewicht fällt, dass Patterson kein sonderlich mitreißender Erzähler ist und zudem eine veraltete Vorstellung davon zu haben scheint, was eine Biografie zu leisten hat. Über weite Strecken beschränkt sich »Learning Curve« darauf, getreulich auch den kleinsten Schritt seines Protagonisten zu rekapitulieren. So erfahren wir als Leser von jedem einzelnen Hafen, den die USS Lexington, auf der Heinlein Dienst leistete, ansteuerte. Mitunter ist es durchaus beeindruckend, mit welchen obskuren Details Patterson aufwarten kann, der Stolz auf die Detektiv-Arbeit scheint aber oft zulasten einer sinnvollen Gewichtung der Fakten zu gehen.

Seine Rolle sieht Patterson offensichtlich als die eines Chronisten. Weder ist er daran interessiert, tiefer gehende Bezüge zwischen Autor und Werk herzustellen (der Inhalt der Erzählungen wird oft nur knapp angerissen), noch versucht er in einer spekulativeren Herangehensweise Heinleins Innenleben zu ergründen. Was zählt, sind die Fakten, und damit handelt er sich bei Heinlein ein gewaltiges Problem ein. Dieser war nämlich peinlich darum bemüht, sein Bild in der Außenwelt zu kontrollieren. Mehrfach vernichtete er große Mengen an Briefen und persönlichen Notizen – Patterson beschreibt eine dieser Aktionen nach Heinleins Trennung von seiner zweiten Frau Leslyn –, und auf Nachfragen zu seiner Person, die ihm nicht passten, konnte er mit äußerster Heftigkeit reagieren. (So beschrieb einmal Alexei Panshin, der mit »Heinlein in Dimension« die erste Monografie über Heinlein verfasst hat, wie er aus unklaren Gründen Heinleins Zorn auf sich zog, als er Ende 1964 mit der Bitte um Unterstützung bei seinem Projekt an diesen herantrat. Heinlein verweigerte nicht nur die Mitarbeit, was sein gutes Recht war, sondern untersagte unter Androhung von Klage zudem jegliche Nutzung von Text- oder Bildmaterial. Die Folge war, dass Panshins Buch nicht in der ursprünglich geplanten Form erscheinen sollte. Fast zehn Jahre später war Heinleins Groll noch immer nicht verklungen, und er verwehrte Panshin den Zutritt zur Heinlein-Sammlung an der University of California in Santa Cruz.) Ein großer Teil der heute verfügbaren Quellen zu Heinlein sind somit jene, die er selbst als genehm erachtete.

Eine regelmäßig wiederkehrende Figur im Heinlein’schen Œuvre ist die des kompetenten Mannes, der immer den Überblick über die Situation hat, der stets weiß, was zu tun ist, und der oft – allzu oft – als Sprachrohr des Autors fungiert. Heinlein sah sich selbst wohl als kompetenten Mann – oder vielmehr: Er wäre es gerne gewesen und bemühte sich nicht nur darum, diesem Ideal nachzukommen, sondern wollte auch einen entsprechenden Eindruck nach außen vermitteln. Doch nicht selten machten ihm die Umstände und vor allem sein Körper einen Strich durch die Rechnung. Schon als Jugendlicher versuchte er, sein Stottern in den Griff zu kriegen und sich seine Kurzsichtigkeit abzutrainieren (Letzteres natürlich vergeblich). Zu Beginn waren seine Bemühungen auch von Erfolg gekrönt. Dank seiner Beharrlichkeit und guten Beziehungen wurde er 1925 an die Marine-Akademie von Annapolis zugelassen. Eine Karriere bei der Navy war Heinleins Traum, und mit dem Abschluss seiner Ausbildung im Jahre 1929 wäre sein weiterer Lebensweg eigentlich vorgezeichnet gewesen – wäre ihm nicht sein anfälliger Körper in die Quere gekommen: Die Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung zwangen ihn 1934, sich von der Marine zu verabschieden. Später, nach Kriegseintritt der USA, bemühte er sich nach Leibeskräften, wieder für den aktiven Dienst zugelassen zu werden, seine Krankheitsgeschichte verhinderte dies.

Der Schluss, dass Heinlein in Romanen wie »Starship Troopers«, der die harte Armee-Ausbildung glorifiziert, sein eigenes Versagen zu kompensieren suchte, wurde schon oft gezogen. Patterson unterlässt derartige küchenpsychologische Deutungen, er verpasst es aber auch, auf die in diesem Zusammenhang wirklich interessanten Fragen einzugehen: Was haben diese Niederlagen – denn als solche muss er sie wohl empfunden haben – bei Heinlein ausgelöst? Mehrfach richtete er seine ganze Energie auf ein Ziel, das sich dann als unerreichbar erweisen sollte (auch später, unmittelbar nach Ende des Krieges, als er sich mit großem Engagement für eine internationale Kontrolle von Atomwaffen einsetzte). Doch gerade dann, wenn Heinleins Seelenleben am turbulentesten ist, gewährt uns Patterson kaum Einblicke. So deutet er zwar mehrfach an, dass Heinlein und Leslyn eine offene Ehe führten, wird aber nie konkret. Man kann das wohlwollend als Diskretion auslegen, es mag an den fehlenden Quellen liegen, aber es bleibt unbefriedigend zu lesen, dass die Ehepartner wahrscheinlich regelmäßig Affären hatten und auch von diesen wussten, ohne zu erfahren, was dies für ihre Beziehung bedeutete.

Nach seiner Entlassung von der Navy versuchte sich Heinlein in verschiedenen Metiers und endete schließlich als Wahlkampfhelfer für den sozialistischen Schriftsteller Upton Sinclair, der für die Demokraten als Gouverneur von Kalifornien kandidierte. Dieser Abschnitt gehört zu den interessantesten in Pattersons Buch. Er beleuchtet nicht nur einen bislang weitgehend unbekannten Abschnitt im Leben Heinleins, sondern illustriert zudem, dass dieser eben keineswegs bloß ein kriegsdurstiger Rechter war. Vielmehr sah er sich damals als Sozialist – aber auch als vehementen Anti-Kommunisten. (In der Darstellung Pattersons erscheint Heinleins politische Entwicklung mehr oder weniger bruchlos. Isaac Asimov dagegen zeichnet in seiner Autobiografie »I, Asimov« ein anderes Bild. In den nicht sonderlich schmeichelhaften Passagen zu Heinlein legt Asimov nahe, dass sich dessen politische Ansichten nach der Heirat mit Virginia unter deren Einfluss radikal verändert hätten – er sei vom »burning liberal« zum verbissenen kalten Krieger mutiert.) Nicht zuletzt werden hier die massiven Verschiebungen sichtbar, welche die US-Politik seither durchgemacht hat. Sinclair führte eine EPIC (= End Poverty in California) genannte Bewegung an, die vor allem die Basis mobilisierte und diesbezüglich durchaus mit den heutigen Grassroots-Kampagnen auf beiden Seiten des politischen Spektrums vergleichbar ist. EPIC wurde zwar von den Republikanern heftig bekämpft, und auch das demokratische Establishment unter Roosevelt konnte sich nicht zu einer Unterstützung Sinclairs durchringen, dennoch war es Mitte der 1930er-Jahre für einen erklärten Sozialisten noch grundsätzlich möglich, ein hohes politisches Amt zu erobern. Knapp zehn Jahre später wäre dies bereits undenkbar gewesen.

Sinclair scheiterte, nicht zuletzt an der beispiellosen Schmutzkampagne seiner Gegner. Heinleins kurz darauf folgende Kandidatur als Abgeordneter für die kalifornische Legislative war ebenfalls erfolglos. Auch hier fragt man sich, was diese Misserfolge bei Heinlein ausgelöst haben mögen. Zumindest eine indirekte Folge ist in diesem Fall bekannt: Heinlein wurde SF-Autor.

Gemäß einer oft kolportierten Anekdote stieß Heinlein 1939 zufällig auf einen in Astounding ausgeschriebenen Kurzgeschichtenwettbewerb und verfasste daraufhin seine erste Erzählung »Life Line«, die vom Herausgeber John W. Campbell prompt angenommen wurde. Mit einem Schlag, gewissermaßen aus dem Stand, war der SF-Schriftsteller Heinlein geboren. Es ist eine schöne Geschichte, die eines kompetenten Mannes von Heinleins Geschmack würdig wäre, sie hat bloß einen Schönheitsfehler: Sie hat sich so nie zugetragen. Es gab keinen Wettbewerb, und bereits vor »Life Line« schrieb Heinlein den Roman »For Us, The Living«, der ein Ausfluss seiner politischen Tätigkeit war und die von ihm propagierte Idee des Social Credit illustrieren sollte. »For Us, The Living«, der deutlich in der utopischen Tradition steht und stark von Autoren wie H. G. Wells und Edward Bellamy beeinflusst ist, fand keinen Verlag und wurde erst posthum veröffentlicht. Doch es scheint, als habe Heinlein beim Verfassen dieses Buches, das noch primär politisch motiviert war, sein Talent zum und seine Freude am Scheiben entdeckt.

Patterson beschreibt die Entstehung von »For Us, The Living« und kann auch belegen, dass es den von Heinlein erwähnten Wettbewerb in dieser Form nicht gegeben hat. Dennoch wiederholt er den Ausspruch, den Heinlein angeblich getätigt haben soll, als er vom Gewinn des Wettbewerbs erfuhr (»How long has this racket been going on?«). Dass er damit die Beschreibung eines Ereignisses zitiert, das nie stattgefunden hat, scheint ihn nicht weiter zu stören. Hier und an zahlreichen weiteren Stellen kann sich Patterson nicht recht dazu entschließen, Heinleins offensichtliche Selbstmystifikation zu hinterfragen. Das zeugt nicht nur von einem mangelnden kritischen Bewusstsein, sondern ist auch erzählerisch eine vertane Chance – es wären doch gerade solche Widersprüche, die seinem Buch die Würze verleihen und Heinlein als komplexen Charakter erscheinen lassen würden.

In den folgenden Jahren konnte sich Heinlein erstaunlich schnell als erfolgreicher SF-Schriftsteller etablieren, und wir begegnen neben John Campbell auch Isaac Asimov, Fred Pohl, L. Sprague de Camp, L. Ron Hubbard – der offensichtlich schon damals windige Geschäfte betrieb – und zahlreichen anderen bekannten Exponenten des Golden Age. Nach wie vor sollten aber Geldnöte und – nicht zum letzten Mal – gesundheitliche Probleme Heinleins Alltag prägen. Wer die 1990 veröffentliche Briefsammlung »Grumbles from the Grave« kennt, dürfte bereits einen guten Eindruck davon haben, mit was sich Heinlein in dieser Zeit herumschlagen musste. 1948 ließ er sich dann von seiner zweiten Frau Leslyn scheiden, mit der er zeitweise in einer fast symbiotischen Beziehung gelebt hatte, die aber zunehmend an psychischen Problemen und Alkoholsucht litt. Patterson beendet den ersten Band seiner Biografie mit Heinleins Vermählung mit Virginia, die bis zu seinem Tod seine engste Vertraute und Mitarbeiterin sein sollte.

Was bleibt als Fazit? Patterson hat eine enorme Fülle an Fakten zu Heinleins Leben zusammengetragen, diese aber oft nicht kritisch hinterfragt und auch kaum zweckmäßig gewichtet. Dies mag zu einem nicht unbeträchtlichen Teil an der Quellenlage liegen sowie an der Tatsache, dass Patterson mehr oder weniger pro domo schreibt. Auf mich hatte »Learning Curve« aber den seltsamen Effekt, dass ich nun zwar sehr viel mehr über Heinleins Leben weiß, da Patterson aber weitgehend das von diesem entworfene Selbstbild reproduziert, ist er mir als Mensch nun fremder als zuvor.

William H. Patterson Jr.: Robert A. Heinlein: In Dialogue with His Century - Vol. 1: Learning Curve (1907-1948) • Tor Books, New York 2010 · 623 Seiten · $ 19,99

Kommentare

Bild des Benutzers Johann Seidl

Danke für die Rezension und den biografischen Schnelldurchlauf :)

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