31. März 2022 2 Likes

Sandman Slim kehrt aus der Hölle zurück

Die kultige Romanserie von Cyberpunk-Pionier Richard Kadrey als Neuausgabe

Lesezeit: 4 min.

Ende der 1980er wurde Richard Kadrey (im Shop) als einer der Helden des ersten Cyberpunk-Booms innerhalb der Science-Fiction gefeiert und zelebrierte in seinem Roman „Metrophage“ die Poesie des Zerfalls am Beispiel Los Angeles. Zudem verfasste er ein paar Genre-Storys mit Titeln wie „Das Klo war voller Nietsche“ – darf man sich ruhig mal einen Moment auf der Zunge zergehen lassen. Heute lebt der 1957 geborene Kadrey als freier Autor in San Francisco, früher arbeitete er auch als Fetisch-Fotograf und als Journalist für „Wired“ oder den „San Francisco Chronicle“ und berichtete über Kultur, Technologie, Kunst und Sex. Außerdem schrieb er einige Comics, zuletzt z. B. für die „Lucifer“-Reihe nach Neil Gaiman, für die er sich mit Holly Black zusammentat. Seit 2009 veröffentlicht Kadrey außerdem mit anhaltendem Erfolg die düsteren Krimis seiner Urban-Fantasy-Serie „Sandman Slim“. Darin kehrt Antiheld und Ich-Erzähler James Stark nach einem Jahrzehnt als Auftragskiller und Gladiator in der Hölle zurück, um sich in Los Angeles an all jenen zu rächen, die ihn verrieten, in die Verdammnis schickten und seine große Liebe umbrachten. Bei Blanvalet startete mit Höllendämmerung“ (im Shop) gerade eine Neuausgabe der Bestseller-Serie (Leseprobe), nachdem auf Deutsch vor über zehn Jahren lediglich die ersten beiden Bände bei Rowohlt bzw. Feder & Schwert herausgekommen sind.

Wie aus einem Cyberpunk-Pionier ein Urban Fantasy-Bestsellerautor wurde? „Da draußen gab es einfach Leute, die besseren cpunk produzierten als ich“, sagt Richard Kadrey im Interview. „Neben Metrophage hatte ich ein paar cpunk-Kurzgeschichten geschrieben, von denen ich glaube, dass sie ganz gut funktioniert haben, wie zum Beispiel Surfing the Khumbu. Aber ich war nicht zufrieden mit der Richtung, in die ich ging, und so brauchte ich ein neues Betätigungsfeld. Mein zweiter Roman, Kamikaze L’Amour, war mehr eine Mischung aus Ballard und magischem Realismus aus Südamerika, versetzt in die US-Medienlandschaft. Das war eine Art Übergang, auf halber Strecke zwischen Science Fiction und rein imaginärem Material.“ Von diesem Sachen konnte Kadrey aber nicht leben. „Das ist für Autoren weit geläufiger, als die meisten Leute denken. Tatsächlich war Sandman Slim meine letzte Chance, einen Roman zu schreiben. Hätte ich ihn nicht verkaufen können, hätte ich in die echte Welt mit ihren echten Jobs zurück gemusst und nur noch gelegentlich eine Kurzgeschichte raushauen können. Ich wäre fast verhungert, und du kannst eben nur mit einer gewissen Menge Räumungsklagen leben, bevor alles etwas verrückt wird.“

Verrückt und finster sind auch die Abenteuer von James Stark. Trotz aller Fantastik fängt Kadrey die Wirklichkeit von Los Angeles ein, wie er sie sieht und selbst kennengelernt hat. „L. A. ist ein sehr klassenbewusster Ort“, sagt er. „Du bist in der Oberliga, oder du bist gar nichts. Basta. Allerdings gibt es einige große Ligen, in denen man sein kann. Film. TV. Musik. Porno. Verbrechen. Politik. Sei an der Spitze von irgendeiner davon, und du bist Teil der Schickeria. Doch L. A. ist auch voller armer, abgebrannter Menschen, die gerade so etwas zusammenkratzen. Meine alte Nachtbarschaft bestand aus Junkies, Illegalen, Drag Queens und echten Hobos. Ich hab ein Messer getragen, wenn ich nachts ausging. Und manchmal hab ich noch andere, noch illegalere Dinge dabei gehabt. Das war bloß gesunder Menschenverstand. Das ist L. A. Ein Ort voller Gegensätze.“


Richard Kadrey. Foto © Addicted Image

Apropos Gegensätze. Auf Kadreys „Sandman Slim“-Büchern über Stark, der seinen Namen übrigens Krimi-Gott und Parker-Erfinder Donald E. Westlake alias Richard Stark verdankt, finden sich bis heute wohlwollende Blurbs von SF-Giganten wie William Gibson und Cory Doctorow. „Wahrscheinlich sagt es mehr über die Lesegewohnheiten dieser Autoren als etwas über meine Bücher aus“, meint Kadrey. „Die meisten erwarten nicht, dass Gibson oder Doctorow die Art von Sachen mögen, die ich mache, da die Leute Autoren in Schubladen stecken und tech-orientierte SF-Writer nicht in der Lage wähnen, die Art blasphemischer Crime-Comedy zu lesen, die ich schreibe. Ich bin allen Autoren dankbar, die etwas über meine Bücher sagen, und schätze mich glücklich, dass sie sich die Zeit nahmen, einen Blick in sie zu werfen.“

Inzwischen kann man dreizehn Bände begutachten, nach fünf Büchern landete „Sandman Slim“ 2012 erstmals auf der berühmten Bestsellerliste der „New York Times“. Über eine Verfilmung wird schon länger gesprochen, bereits Anfang der 2010er sicherte sich die Firma von Dino De Laurentiis die Rechte am Stoff. Aktuell soll Stunt-Genie und Regisseur Chad Stahelski („John Wick“) an einer Adaption arbeiten. Aber auch ohne Film ist „Sandman Slim“ ein großer Erfolg für den Cyberpunk-Wegbereiter. Dabei begann alles ganz simpel: „Die gesamte Reihe entstand aus zwei Sätzen in verschiedenen Notizbüchern“, erinnert sich Kadrey. „Der erste Satz war: Auftragskiller aus der Hölle. Der zweite: Name für einen Charakter: Sandman Slim. Das war’s. Danach galt es nur noch, logisch dem nachzugehen, woher er kam, wohin er ging und was er wollte.“

Die Antworten, die Richard Kadrey fand, gibt es im Serienauftakt „Höllendämmerung“.

Richard Kadrey: Höllendämmerung (Sandman Slim Bd. 1) • Roman • Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt • Blanvalet, München 2022 • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis des TBs: € 11,00 • im Shop

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