30. Oktober 2021

„Something is Killing the Children“

Über den Monster-Comic von James Tynion IV & die Substack-Perspektive des Mediums

Lesezeit: 4 min.

„Something is Killing the Children“ ist eine unabhängige Horrorcomic-Serie von US-Autor James Tynion IV („Batman“) und dem italienischen Zeichner Werther Dell’Edera („Waisen“). Im Original erscheint sie seit September 2019 beim Verlag Boom! Studios, auf Deutsch seit letzten Oktober bei Splitter. Von Anfang an haben Tynion und Dell’Edera in Sachen Story, Figuren und Bilder viel richtig gemacht – es fühlte sich auf Anhieb so an, als würde man das Debüt einer neuen Buffy für die nächste Generation miterleben. Darum geht’s in „Something is Killing the Children“, grob übersetzt: Irgendetwas bringt die Kinder um. Erica Slaughter, die junge Frau mit den großen grünen Augen, dem hellen Haar, der finsteren Zahn-Maske und dem gruseligen Oktopus-Stofftier, ist eine Monsterjägerin. Denn ja, Monster gibt es wirklich, und nur Kinder sowie die Mitglieder des Ordens St. George, dem Erica angehört, können die Bestien sehen. Erica hat jedoch Beef mit der Gruppierung, die für das Bewahren des Geheimnisses zu ruchlosen Methoden greift, darum zieht unsere Antiheldin lieber auf eigene Faust los. In Archer’s Peak, einer typischen Kleinstadt mitten im amerikanischen Herzland, sorgt ihr Kampf gegen blutrünstige, kinderfressende Ungeheuer für Aufsehen, Tod, Leid und Terror – und viel Lesevergnügen zu z. B. Halloween.

Nach dem superben ersten Band schien es im zweiten Teil ein wenig so, als würden Tynion und Dell’Edera es mit dem Plot um den Orden der Monsterkiller übertreiben. Doch im dritten Buch bzw. E-Book kriegen sie gut die Kurve und lösen den ersten Storybogen ihrer für den Eisner Award nominierten Serie gekonnt auf. Der unterhaltsame Sammelband schließt sozusagen die erste Season des Comics ab, dessen Macher auf viele doppelseitige Panel-Zeilen setzen. Im nächsten Band gibt es dann die Origin – die allseits beliebte Herkunftsgeschichte – von Erica Slaughter. In den USA startete überdies just das von Tynion, Co-Autor Tate Brombal und Zeichner Chris Shehan gestaltete Spin-off „House of Slaughter“. Unterdessen arbeitet Regisseur Mike Flanagan, der Stephen King und den Rest der Welt vor Kurzem mit der Netflix-Horror-Miniserie „Midnight Mass“ begeisterte, an einer Netflix-Serien-Adaption von „Something is Killing the Children“, auf die man sich mindestens so freut wie auf die nächsten Kapitel des Comics. Splitter kündigte für Mai 2022 zudem Tynions und Martin Simmonds „The Department of Truth“ an, das sich auf interessante Weise mit dem Topic Verschwörungstheorien auseinandersetzt.

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Von James Tynion werden wir in Zukunft übrigens definitiv noch mehr eigenständige Comics lesen als bis dato ohnehin schon – Creator Owned-Comics, über die er und seine jeweiligen Mitstreitenden die volle inhaltliche, rechtliche und ökonomische Kontrolle haben. Der 1987 geborene Bestsellerautor aus New York, in den letzten Jahren eine der wichtigsten Lenker bei DC und in der Welt des Dunklen Ritters, hat nicht nur die „Batman“-Hauptserie abgegeben, sondern wird DC vorerst ganz verlassen (die dort begonnene Horrorserie „The Nice House on the Lake“ aber vermutlich noch irgendwann 2022 beenden). Der Grund: Wie so viele andere Comic-Kreative hat sich Tynion von Autorenkollege Nick Spencer („Spider-Man“, „Captain America“) überzeugen und zu Substack locken lassen. Der 2017 gegründete Newsletter-Provider bietet Autoren, Journalisten, Künstlern und neuerdings eben Comic-Schaffenden eine Plattform irgendwo zwischen Kickstarter und Patreon, die von Fans direkt mit gestaffelten Abos finanziert wird – dazu gibt es wohl fürs erste Jahr einen saftigen Antrittsgeld-Vorschuss von Substack, wie es in der Szene des grafischen Erzählens heißt. Die Macher verschicken ihre Comics fortan also regelmäßig häppchenweise oder sonst wie serialisiert per Newsletter und laden obendrein Zusatz-Content und exklusive Goodies für ihre verschiedenen Follower-Gruppen hoch. Print-Zweitverwertungen der zunächst digitalen Comics bei Verlagen wie Image sind weiterhin möglich, gewollt und zu erwarten.

Neben Tynion folgten noch dessen Mentor Scott Snyder, Jeff Lemire, Donny Cates, Ryan Stegman, Chip Zdarsky, Skottie Young, Saladin Ahmed und einige mehr dem Ruf von Substack. Adrian Tomine wird gar der erste Artist in Residence. Allerdings fahren viele der aus dem Superhelden-Metier stammenden Fanlieblinge fürs Erste noch zweigleisig und veröffentlichen auch weiter Titel bei Marvel oder DC (Tynions „Something is Killing the Children“ erscheint im Original weiterhin bei Boom). Ein paar Superstars, darunter Brian Michael Bendis, Ed Brubaker und Sean Phillips, haben den Substack-Deal bisher abgelehnt und wollen vorerst ihren etablierten eigenen Modellen folgen. Andere, wie etwa die Comic-Eheleute Kelly Sue DeConnick und Matt Fraction, überlegen noch. Übrigens sind Buchautoren wie Salman Rushdie oder Chuck Palahniuk inzwischen ebenfalls bei Substack. Kleine Ironie am Rande: Neuerer Warren Ellis, der ewig einen der Newsletter der Branche verschickte und über neue Comic-Formate fabulierte, ist nicht dabei. Früher wäre er ein sicherer Kandidat gewesen, doch seine Verfehlungen im Umgang mit weiblichen Comic-Schaffenden haben den Engländer weit ins Aus katapultiert.

Mal sehen, inwieweit der Newsletter-Service als neues digitales Monster die Comic-Szene verändern wird und ob something eines Tages doch die klassischen Strukturen und Verlage killen wird, oder ob es sich nur um eine Blase und einen Hype handelt. Es wäre nicht das erste Mal – obwohl man natürlich sagen muss, dass Susbtack schon nach dem richtigen Modell für die gegenwärtige Netz-, Fan- und Comic-Kultur klingt. Ob es die Franchise-Maschinen um Batman und die Avengers kratzt oder am Ende nur die Image-Paperback-Verkäufe torpediert, wird die Zeit zeigen. Und die vergeht bekanntlich ziemlich schnell, während das Neue zur neuen Normalität wird. Wobei über das Internet verbreitete Comics konzeptionell gesehen jetzt auch nur bedingt revolutionär sind, wie ein zurecht genervtes Heer langjähriger Webcomic-Schaffender weiß und in den Sozialen Medien erklärt. Aber Substack scheint für den Augenblick zugegebenermaßen eine andere Dimension zu haben, was Geld und Prominenz angeht – und deshalb die Schlagzeilen und die Aufmerksamkeit.

Abb.: Image Comics/dt. Ausgabe beim Splitter-Verlag

James Tynion IV & Werther Dell’Edera: Something is Killing the Children Bd. 3 • Splitter, Bielefeld 2021 • 144 Seiten • Hardcover: 19,80 Euro

 

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