28. März 2013

Fiebertraum in der Wüste

„Jim Hensom’s Tale of Sand“ - aus dem Nachlass des Muppets-Schöpfers

Lesezeit: 6 min.

Jim Henson (1936–1990) hat der Welt viel hinterlassen, indem er mit seiner Firma, seinen Trickeffekten und seinen Visionen mehr als eine multimediale Generation Filme, Fernsehshows und sogar Werbespots geprägt hat. Mit den Muppets und den Bewohnern der Sesamstraße schuf er in den Siebzigerjahren darüber hinaus einige denkwürdige Ikonen der Popkultur, die bis heute kaum etwas von ihrer Beliebtheit eingebüßt haben.

Bevor Henson sich jedoch Kermit, Samson und Co. zuwandte, kreierte er in den Sechzigern einige mindestens so experimentelle wie durchgeknallte Kurzfilme. Etwa The Cube oder Time Piece, für das es sogar eine Oscarnominierung gab. In der Folge machten sich Henson und sein Langzeit-Kollaborateur Jerry Juhl einige Gedanken über einen ähnlich getakteten Spielfilm, der die Stärken, Themen und Verrücktheiten von Time Piece aufgreifen und fortspinnen sollte. Juhl war ursprünglich als Autor und Puppenspieler zum Team um Jim Henson und Frank Oz dazugestoßen, verlegte sich bald aber ausschließlich aufs Schreiben und wirkte später nicht nur an vielen Folgen der Serien-Hits Muppet Show oder Die Fraggles mit, sondern schrieb auch an den Drehbüchern zu einigen der Muppet-Spielfilmen.

Das Filmscript zu Tale of Sand, das in den Jahren vor diesen großen Erfolgen entstand und von Henson und Juhl bis 1974 noch dreimal überarbeitet wurde, sollte allerdings nie realisiert werden. Der Aufstieg der Muppet Show sorgte schließlich für eine deutliche Verlagerung der Interessen, zumal Hensons Agent mehrfach erfolglos versucht hatte, das Filmdrehbuch zu verkaufen. So blieb Tale of Sand das einzige vollständige Filmscript, das Henson zeit seines Lebens als Autor abschloss – und wanderte lautlos in die Archive der berühmten Jim Henson Company, die Henson bereits 1958 gegründet hatte und die inzwischen Niederlassungen in New York, Los Angeles und London besitzt.

Als die gegenwärtige Firmenarchivarin Karen Falk das verschollene Drehbuch ausgrub, sei das »wie das Finden eines Schatzes gewesen«, schreibt Hensons Tochter Lisa, heute Geschäftsführerin der Jim Henson Company, im Nachwort zum Comic, der Anfang 2012 bei Archaia in englischer Sprache erschienen ist, adaptiert und gezeichnet vom kanadischen Künstler Ramón K. Pérez, der für seine geniale Umsetzung des Filmscripts als Comic völlig zurecht mit dem Eisner Award – dem Comic-Oscar – ausgezeichnet worden ist.

Denn es ist schlichtweg grandios, wie der Kanadier das Script mit dem Segen von Hensons Erben als surrealen Graphic-Novel-Trip umgesetzt hat. »Mit der Anfrage, ob ich den Comic machen möchte, bekam ich die ersten zehn Scriptseiten«, erzählt Pérez. »Ich war sehr aufgeregt und fragte nach dem Lesen, ob ich mehr vom Script sehen könnte. So kam ich in den Genuss der ganzen Lektüre. Es war eine bizarre Story«, beschreibt der 1973 geborene Künstler seinen ersten Leseeindruck. »Allerdings war es auch durch und durch Henson, und es fühlte sich richtig an. Mein Bauchgefühl riet mir vorzusprechen, und das tat ich.« Lisa Henson und Archaia-Chefredakteur Stephen Christy trafen schließlich ihre Wahl, und damit konnte der Spaß beginnen und Pérez loslegen.

»Als ich aufwuchs, war ich ein großer Fan der Muppet Show«, erzählt Pérez über seine erste Berührung mit dem Werk von Jim Henson. »Der schräge Sinn für Humor und die Mätzchen der Charaktere haben immer in mir nachgehallt. Fozzie Bär, Sweetums und Beaker waren meine Lieblinge, und Gonzo fand ich einfach ulkig. Die Sesamstraße mochte ich genauso, mit Oscar, Grobi und dem Krümelmonster. Das sind alles Sachen, denen ich bis zu einem gewissen Grad meine merkwürdige Vorstellungskraft zu verdanken habe.«

Genau diese merkwürdige Vorstellungskraft brauchte es am Ende wohl auch, um Tale of Sand als Comic umzusetzen. Dank der abgefahrenen Story kann Pérez zeichnerisch alles auffahren, was er etwa an Star Wars oder Wolverine sowie seinem witzigen Webcomic Butternutsquash bisher nicht zeigen konnte. Dabei brach Pérez das Drehbuch nicht erst Seite für Seite oder Panel für Panel in ein Comicscript um, sondern adaptierte die Vorlage direkt. Der Storyboard-Prozess hat Pérez zufolge ungefähr fünf Tage in Anspruch genommen, dazu kamen diverse Überarbeitungen. »Wir mussten die Seitenzahl reduzieren, da ich ursprünglich auf 170 Seiten gekommen war! Meine Hauptsorge war jedoch, den Schöpfern der Geschichte gerecht zu werden. Ich wollte der vibrierenden Stimme von Jim Hensons Arthouse-Filmen in der Durchführung treu bleiben. Es war ein fantastisches Erlebnis, meine eigene Erfahrung als Geschichtenerzähler zu nehmen, um einen Mann zu kanalisieren, der zwanzig Jahre zuvor schon eine Inspiration für mich gewesen ist.«

Doch worum geht es im Comic eigentlich? Jim Henson’s Tale of Sand ist eine abgedrehte, schwer durchschaubare Hatz durch eine Wüste, die auch ohne Disney-Einfluss vor Leben nur so summt und brummt – so sehr, dass sich die bunte Realität ständig verbiegt, während sie sich Hensons und Juhls entfesselter Vorstellungskraft beugt. In der von Pérez visuell zum Leben erweckten Sandlandschaft gibt es zwar auf den ersten Blick keinen gar so straffen roten Faden oder allzu viele Erklärungen; dafür aber haifischverseuchte Swimmingpools, gefährliche femmes fatales, Löwen in Limousinen, schräge alte Ladys mit Golfcaddies, monströse Footballspieler, orientalische Krieger, Eiswürfel-Lieferanten, Gebrauchtwagenhändler, Filmsets und die eine oder andere gesellige Zusammenkunft, die sich hinter unscheinbaren, wurmlochartigen Türen durch den Raum verbirgt. Das Absurde kennt und akzeptiert in der quicklebendigen Wüste einfach keine Grenzen – Terry Gilliam würde sich hier zweifellos ausgesprochen wohl fühlen und mit Grant Morrison einen Tee trinken!

Peréz selbst bezeichnet die faszinierende Geschichte mit einfacher Oberfläche und so viel mehr in der Tiefe sogar als Rorschach-Test für den Leser, der sieht, was er sehen möchte, und hineininterpretiert, was er will.

In der optisch alles andere als staubtrockenen Wüste trumpft Pérez dann auch ganz groß auf, zumal sich die relativ textarm adaptierte, rasante Geschichte in ihrer Comic-Umsetzung stark auf sein grafisches Storytelling verlässt und dabei nicht ein einziges Mal baden geht. Oft wird die Handlung sogar auf extrem dynamischen Doppelseiten erzählt, die im großformatigen US-Hardcover entsprechend gut zur Geltung kommen und zur Faszination der innovativen Lektüre zwischen den fantastischen Genres beitragen. Obwohl es nur wenige Sprechblasen gibt, verweilt man entsprechend lange auf den famosen Seiten, auf denen es stets viel zu entdecken gibt. Vor lauter Staunen und Vielseitigkeit kann man da auch schon mal das Umblättern vergessen.

Wenig Text, viel Surreales – Jim Henson’s Tale of Sand liest man nicht nur ein einziges Mal, und letztlich liest man nicht, sondern betrachtet und folgt staunend und mit offenen Mund. Dieser in überwältigenden Bildern und Seitenkompositionen eingefangene Fiebertraum ist nämlich auch ohne trickreiche Puppen kurios und ganz und gar außergewöhnlich.

Natürlich muss man den über mehrere Dekaden hinweg entstandenen Sandsturm aus wild zusammengewürfelten Elementen, Wendungen und Haken keineswegs auf Anhieb verstehen oder Henson und Juhl am fiktiven Panel-Set in der Wüste sofort erkennen, um zu durchschauen, dass die Comic-Realisierung des unkonventionellen Drehbuchs in erster Linie eine Hommage an Jim Henson ist – an diesen unermüdlichen, innovativen Pionier der Unterhaltungsindustrie, dem die Grenzenlosigkeit der Vorstellungskraft so viel bedeutet hat.

»Während der Arbeit sagte man mir oft, dass Jim über unsere Schulter blicken würde«, rückt letztlich auch Pérez die intensive Arbeit an seiner bis dato wichtigsten und erfolgreichsten Comic-Arbeit ganz in diesen huldigenden Kontext. »Ich glaube, er hatte recht – und dass Jim und Jerry stolz auf uns wären.«

Da kann der sympathische Pérez beruhigt sein – Jim Henson hätte diesen durch und durch fantastischen Comic geliebt.

Ramón Pérez/Jim Henson/Jerry Juhl: Jim Henson’s Tale of Sand • Archaia, Chicago 2012 · 160 Seiten · $ 29,95

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