21. Februar 2025

Genre auf der Berlinale

Nicht nur außerhalb des Wettbewerbs der Berlinale finden sich inzwischen Genrevariation

Lesezeit: 4 min.

Eine Welt, die fast so aussieht wie unsere, nur wenig deutet darauf hin, dass es sich um eine Dystopie handelt. Doch die alternde Hauptfigur Tereza ist in Sorge: Sie hat keinen Wert mehr für die Gesellschaft und soll bald in die Kolonie abgeschoben werden, zusammen mit all den anderen Alten. Doch Tereza hat noch Wünsche und so macht sie sich alleine auf den Weg, abseits der offiziellen Transportwege, denn um diese zu benutzen, bräuchte sie die Zustimmung ihrer Tochter, die zwangsweise als ihr Vormund bestellt wurde. Auf abgehalfterten Booten fährt sie über die weitverzweigten Arme des Amazonas, um ein letztes Mal richtig zu leben.

Was sich wie die moderne Version eines Scince-Fiction-Klassikers wie „Flucht ins 23. Jahrhundert“ anhört, den man vielleicht auf dem Fantasy Filmfest erwarten würde, heißt „Der blaue Pfad“ und fand sich in diesem Jahr tatsächlich im Wettbewerb der Berlinale. Die findet dieses Jahr zum 75. mal statt und zum ersten Mal unter der Ägide der neuen Leiterin Tricia Tuttle. Schon deren Vorgänger, der in vielem glücklose Italiener Carlo Chatrian, hatte im Wettbewerb, der traditionell eher dem sogenannten anspruchsvollen Kino vorbehalten ist, den Dramen mit offensichtlich wichtigen Themen, den neuen Werken der Autorenfilmer, des öfteren Genrefilme oder zumindest Filme mit Anleihen am Genrekino gezeigt.


Der blaue Pfad. © Guillermo Garza/ Desvia

Vermutlich weniger aus persönlichem Interesse an den oft für zu leichtgewichtig gehaltenen Experimenten mit Science-Fiction oder gar Horror, sondern als logische Reaktion auf eine grundsätzliche Veränderung des internationalen Kinos. Dass etwa letztes Jahr Coralie Fargeats Body-Horror-Film „The Substance“ im Wettbewerb von Cannes gezeigt wurde, wäre vor vielleicht zehn Jahren undenkbar gewesen. Auch ihre offensichtliche Inspiration David Cronenberg lief in den 80ern ja nicht mit „Die Fliege“ auf großen Filmfestivals, sondern erst dann, als er sich gediegeneren, oberflächlich betrachtet „anspruchsvolleren“ Themen widmete und das Blut deutlich weniger wenn überhaupt noch spritzte.

Zugegebenermaßen geht es auch in einem lose Science-Fiction affinen Film wie dem oben erwähnten „Der blaue Pfad“ eher beschaulich zu, das Genrekonstrukt dient am Ende dann doch dem Versuch, etwas tiefgründiges über die Gesellschaft zu erzählen.

Was auch die Intention des deutschen Regisseurs Frédéric Habalek ist, der es gleich mit seinem zweiten Langfilm „Was Marielle weiß“ in den Wettbewerb schaffte und sich – um mal ein bisschen hoch zu greifen – als deutsche Antwort auf Yorgos Lanthimos empfiehlt. Ähnlich wie der Grieche setzt auch Habalek ein extremes Konstrukt ein, um im folgenden mit spitzen, satirischen Dialogen eine Familie zu sezieren, vor allem ein Ehepaar. Dieses hat eine Tochter namens Marielle, die auf einmal (man muss das natürlich schlucken) alles was ihre Eltern reden, hören kann. Eine Form der sozialen Kontrolle, die das Verhalten der Eltern fundamental ändert, denn all die kleinen Ungenauigkeiten oder Unwahrheiten, mit denen man den Alltag und den Umgang mit anderen Menschen gestaltet, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, werden nun offenbar und sind Anlass von Diskussionen. Ein bemerkenswerter Film, der bald auch regulär in den deutschen Kinos zu sehen sein wird.


Was Marielle weiß © Alexander Griesser

Weniger erfolgreich war der Eröffnungsfilm, der zum ersten Mal seit 25 Jahren tatsächlich ein deutschsprachiger Film war: Regisseur Tom Tykwer hatte sich das letzte Jahrzehnt im Fernsehen in „Babylon Berlin“ mit dem Berlin zum Ende der Weimarer Republik beschäftigt, in „Das Licht“ geht es um das Berlin der Gegenwart, die in Momenten wie eine sanfte Zunkunftsvision wirkt. Zumindest der Regen, der in praktisch jeder Szene plätschert, scheint anzudeuten, dass der Klimawandel schon weiter vorangeschritten ist. Eine typische bürgerliche Patchwork-Familie steht im Mittelpunkt des mit 160 Minuten ausufernden Dramas, keine Krise der Gegenwart wird ausgelassen, eine syrische Haushälterin dient als Katalysator der Probleme, es wird viel gesungen und getanzt, Animationssequenzen gibt es auch, dazu Bilder aus einem VR-Spiel. Alles ein bisschen viel und stark esoterisch aufgeladen, wie man das von Tykwer inzwischen kennt.


Mickey 17 © Warner Bros. Entertainment Inc

Konsequenter in seinen Genrestrukturen verhaftet blieb schließlich Bong Joon-ho in „Mickey 17“, sein erster Film seit seinem Welterfolg „Parasite“ und ein neuer Versuch, auf Englisch zu drehen. Eine Entscheidung, die dem hohen Budget geschuldet sein dürfte, so wie bei „Snowpiercer“ und „Okja.“ Aus diesem scheinen die lustigen Kreaturen übernommen zu sein, die einen fernen Schneeplaneten bevölkern. Dieser soll kolonisiert werden, denn die Erde wird zunehmend unbewohnbar. Ein Politiker, der überdeutlich an Donald Trump erinnert, hat eine Mission auf den Weg gebracht, die vor allem seinem eigenen Profit dienen soll. Und als Experimentierfeld für sogenannte Expendables, geklonte Menschen, die sterben können und dann problemlos neu ausgedruckt werden. Mickey heißt das Exemplar auf der Mission und wird von Robert Pattinson gespielt, der viel Spaß mit den unterschiedlichen Inkarnationen seiner Figur hat, die je nach Version mal schüchtern, mal vertrottelt, mal selbstbewusst agieren. Hübsch anzusehen ist das, alles andere als subtil, aber doch eine willkommene Abwechslung gegenüber den oft allzu halbgaren Versuchen mit Genremustern zu spielen, ohne sich wirklich auf das Genre und seinen Möglichkeiten einzulassen.

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