28. Mai 2014 1 Likes

The Two Jakes

In „Enemy“ spinnt Denis Villeneuve sich was zurecht

Lesezeit: 6 min.

Der Doppelgänger ist ein zentrales Element im Motiv-Kanon der Romantik. Als Ausdruck der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität, der Illusion einer ganz unverrückbaren Individualität und der prinzipiellen Austauschbarkeit der eigenen Person in der Welt steht es im Mittelpunkt zentraler Werke von E. T. A. Hoffmann, Jean Paul, Edgar Allan Poe und natürlich Robert Louis Stevenson. Freud nennt den Doppelgänger in seinem Aufsatz Das Unheimliche (1919) ganz explizit als Ausdruck des ver-rückten Selbst, als den verdrängten Teil des Ichs, der zum Schreckbild wird. In seinem Roman Der Doppelgänger (2002) entwirft José Saramago eine moderne Version dieses schattenhaften Stellvertreters, der sich zum Martyrium des Protagonisten entwickelt. Die Geschichte des vom Leben gelangweilten Geschichtslehrers Afonso, der eines Tages in einem Film zufällig sein Ebenbild entdeckt, Kontakt zu ihm sucht und damit eine Kette obsessiv-erotischer und psycho-aggressiver Ereignisse in Gang setzt, an deren Ende Tod, Wahnsinn und noch mehr Doppelgänger stehen, hat der frankokanadische Regisseur Denis Villeneuve nun unter dem Titel Enemy verfilmt.

Und das ist ein echtes Ereignis – denn nicht nur schafft es Villeneuve, seinen massivst gelungenen Vorgänger Prisoners (der eigentlich erst nach Enemy entstand) noch einmal in punkto Intensität und Atmosphäre zu übertreffen, sondern auch den stilistischen Besonderheiten von Saramagos Roman, die narrativ auf die Zerstörung einer epischen Illusion zielen und mithin etwas akademisch daherkommen, eine Bild-, Ton- und Motivsprache entgegenzuhalten, die sich in ihrer radikalen Manipulativität gewaschen hat.

Von Beginn an wählt Villeneuve für die Geschichte des Lehrers Adam und seines Doppelgängers Anthony eine suggestiv-surrealistische filmische Form, die auf phantasmagorische Bilder und dräuende Sounds setzt – schnell wird hier klar, dass es nicht wirklich um Realismus geht. Die in einer der unheimlichsten stilisierten Anfangssequenzen der Filmgeschichte erzeugte Atmosphäre von schwüler Erotik, verschwitzter Männlichkeit und schierem nächtlichen Wahnsinn hält er über knackige 90 Minuten aufrecht – Villeneuve selbst sagte in einem seiner seltenen Interviews zu Enemy, dass es hier um einen Ausflug ins Unterbewusste geht.

Eine klare Ansage – und derzufolge erzählt er Adams Geschichte, die unmittelbar nach diesem schwer verdaulichen Prolog beginnt, aus der verzerrten Sicht seines ziemlich gestörten Protagonisten. So zeigt er den gleichförmigen Alltag seines Helden in einer Reihe repetitiv geschnittener Sequenzen, die ihn im Hörsaal, seinem spartanischen Apartment und im Bett beim Sex mit seiner Freundin zeigen als Abfolge zutiefst verstörender Ereignisse, die durch Desaturierung des Bildes und alptraumhafte Traurigkeit des Soundtracks höllische Qualität bekommen. Über diesen Bildern doziert Adam im Off über die Ausübung von Kontrolle in Diktaturen durch Brot und Spiele und den eingeschränkten Zugang zu Bildung und Erziehung.

Wird es in Enemy also um Faschismus gehen? Um Kontrolle? Um Chaos, das, wie das einleitende Zitat postuliert, Ordnung ist, die noch nicht entschlüsselt wurde?

Ja, ja und ja. Adam, der eigentlich nicht auf Filme steht, leiht sich auf Empfehlung eines Kollegen ein seltsam drittklassig fellinieskes Machwerk aus und entdeckt darin zu seinem Entsetzen in einem Statisten das Abbild seiner selbst. Besessen von dieser Entdeckung stellt er Nachforschungen an, in deren Folge er immer nervöser und fahriger wird. Als er den Schauspieler endlich findet und zunächst am Telefon, dann schließlich auch persönlich kontaktiert, wird schnell deutlich, dass sich diese beiden Männer nicht nur äußerlich ähneln. Diese Sequenzen gestaltet Villeneuve auf den Ebenen von Schnitt, Bild und Ton derart gekonnt suspenseful, dass die in den Rezensionen oft zu lesenden Vergleiche mit Lynch, Cronenberg oder gar Hitchcock ausnahmsweise tatsächlich mal angebracht sind; Adam bewegt sich durch ein gelbgefiltertes, von „unheimlicher Architektur“ (Anthony Vidler) geprägtes Toronto, das von brutlistischen Gebäuden geprägt den Science-Fiction-Fantasien Andrej Tarkowskys ähnelt und jagt einem Gespinst nach, einer Abbildung seiner selbst, eines Vertreters von Brot und Spielen, in dem er, der Repräsentant von Bildung und Erziehung irgendetwas zu finden erhofft. Die Wiederherstellung von verloren geglaubter Kontrolle? Die fehlende Spannung in seinem Leben? Oder einfach nur die Erfüllung einer fast schon pathologischen Neugierde?

Jedenfalls stellt sich schließlich heraus, dass Adam und Anthony trotz ihrer unterschiedlichen Professionen einen erstaunlich ähnlichen Frauengeschmack teilen – nicht nur die beiden Männer gleichen sich, auch ihre jeweiligen Partnerinnen sehen sich auffallend ähnlich. Sind diese zwei Bärtigen also ein und dieselbe Person? Ist dies hier ein Fight Club-Szenario? Kann sein, aber so einfach macht es Villeneuve dem Zuschauer nicht. Vielmehr entwickelt er von dem Moment des Zusammentreffens an einen narrativen Sog in den Wahnsinn, in dem sich die Identitäten von Adam und Anthony zunehmend vermischen – beide übernehmen schließlich den Platz des jeweils anderen an der Seite der kühlen blonden Frauen. Und während die Spritztour des impulsiven, lederbejackten Schauspielers nach verstörendem Sex mit Adams Freundin in einem tödlichen Unfall endet, übernimmt der Sakko-tragende Lehrer die Rolle des treusorgenden Ehemanns an der Seite von Anthonys schwangerer Frau. Oder ist eins von beidem reine Phantasie? Oder Traum? Der Schnitt legt dies nahe, denn immer wieder erwacht Adam aus fieberhaftem Schlaf. Aber wer träumt hier wen? Und wieviel Realität ist darin enthalten?

Eins ist jedenfalls klar – irgendjemand hat hier ein echtes Problem mit Frauen. Gleich drei davon spielen eine entscheidende Rolle in Adams Leben – seine hübsche, aber kühle französische Freundin, seine dominante Mutter und die treusorgende schwangere Ehefrau seiner Nemesis. Mit der ersten hat er bedeutungslosen, langweiligen Sex, der sich erst zu aggressiver Leidenschaft entwickelt, als der fordernde Anthony übernimmt, zu der zweiten ein Verhältnis von Unterwürfigkeit und Ausgeliefertsein (wo ist der Vater?), in der dritten schließlich die (scheinbare) Erfüllung des Traums von häuslicher Schwangerschaftsidylle. Und die omnipräsente Spinnen-Metaphorik? Kann viel bedeuten, ist jedoch am wahrscheinlichsten mit genau dieser Frauenproblematik in Verbindung zu bringen. Schließlich basiert das Design der in einer Traumsequenz haushoch über den Dächern Torontos sich erhebenden Riesenspinne bestimmt nicht zufällig auf den „Maman“-Skulpturen der Künstlerin Louise Bourgeois – und das unmittelbar nach Adams Begegnung mit seiner Mutter. Auch in anderen Sequenzen hebt Villeneueve die Grenze zwischen Frau und Spinnentier auf – die an der Decke stolzierende Nackte mit arachnidem Kopf, die sich in eine Tarantel verwandelnde Ehefrau. Geht es hier also letzten Endes um einen Mann und seine verdrängten Ängste vor dem weiblichen Geschlecht?

Zugegeben, das sind ziemlich viele Fragen. Doch am Ende ist es genau das, was Villeneuves Film in allerbester Lynch- und Borges-Tradition macht – er entwirft ein zutiefst süchtig machendes Rätsel, ein Vexierbild, für das es keine klare und einfache Sichtweise gibt. Und wenn am Ende die eigentlich perfekte Idylle für den Protagonisten erreicht ist, dann führt ihn ausgerechnet ein für sein mittlerweile verunglücktes Alter Ego gedachter Schlüssel wieder zurück an den Anfang. Ein Zyklus beginnt von Neuem und in diesem Zusammenhang ist auch die wahrhaft schockierende Schlussszene zu sehen, die nicht nur diesen Rezensenten in ihrer surrealen Horrorhaftigkeit und dem unmittelbar darauf folgenden Abspann, in dem die Credits in grellen gelben Buchstaben mit Walker-Brothers-Untermalung auf Torontos grauenhaften Häuserwänden tanzen, tief verstörte.

Was ist das hier also? Nach Villeneuves Aussage ein sehr freudsches Szenario – die Rückkehr eines Mannes von der Geliebten zur schwangeren Frau und der dabei entstehende Kampf mit sich selbst, in dem er das Objekt seiner sexuellen Begierde zerstört. Dass der kanadische Regisseur es schaffte, daraus einen Film zu machen, der sich in stilistischer Idiosynkrasie, motivischer Stringenz und genuin filmischer Meisterschaft der narrativen Mittel vor großen Vorbildern wie Kubrik, Tarkowsky oder Tykwer nicht verstecken muss, erhebt ihn spätestens jetzt in den Olymp der ganz großen zeitgenössischen Regisseure.

„Enemy“ läuft derzeit im Kino.

Enemy • Kanada/Spanien 2013 • Regie: Denis Villeneuve • Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon

Bilder: Capelight

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.