10. August 2014 2 Likes 1

Die Maschine … tanzt

Romeo Castellucci inszeniert Strawinski mit 40 Maschinen

Lesezeit: 2 min.

Wie übersetzt man ein altes Fruchtbarkeitsritual in zeitgenössisches Tanztheater? Der Regisseur und Choreograf Romeo Castellucci hat sich für die Aufführung von Igor Strawinskis „Le Sacre du Printemps“ auf der diesjährigen Ruhrtriennale dafür entschieden, den Mythos der Fruchtbarkeit ganz auf unsere moderne, hochtechnisierte Beziehung zur Natur in Gestalt der Agrarindustrie zuzuspitzen – und dafür komplett auf die Tänzer zu verzichten. Anstelle eines Ballettensembles lässt Castellucci stattdessen einen unter dem Bühnendach installierten Komplex aus vierzig eigens dafür konstruierten Maschinen „tanzen“. 

Dafür lässt er die Maschinen in einer programmierten Abfolge Tierknochenmehl auf die Bühne streuen lässt. Die Staubwolken aus dem industriell gefertigten Pulver, das (immer noch, ja) dem Tierfutter beigemischt wird, sollen sich somit nicht nur zu einer Choreografie einem „Tanz der Materie in Licht und Luft“, wie Castellucci im Interview (siehe unten) erklärt, überlagern und durchdringen. Sie stellen für ihn auch das Substrat unserer modernen, globalisierten Beziehung zum Konzept der Fruchtbarkeit und der Natur dar. 

Darüber hinaus ist schon im Material selbst, d.h. in den zu Staub zermahlenen Knochen von geschlachteten Tieren, der Gedanke des Opfers enthalten – den Castellucci ganz bewusst nicht als historisierend kostümierten Ritus darstellen will. So allerdings hat ihn Strawinksi wohl imaginiert, als ihm ursprünglich die Idee zu dem Ballett „Le Sacre du Printemps“, also „Das Frühlingsopfer“ kam:

„Als ich in St. Petersburg die letzten Seiten des ,Feuervogels‘ niederschrieb, überkam mich eines Tages – völlig unerwartet, denn ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt – die Vision einer großen heidnischen Feier: Alte weise Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen. Das war das Thema von ,Le sacre du printemps‘.“

Ob der Tanz der Knochenstaubroboter tatsächlich die zeitgenössische Transponierung von Strawinskis „großer heidnischer Feier“ bieten kann, ob es wieder zu einem Premierenskandal kommt wie bei der Uraufführung des Balletts 1913 oder ob Romeo Castellucci lediglich den Totentanz unserer Naturethik aufführt, das wird sich an der Ruhrtriennale zeigen müssen. Ist das die künftige Weiterentwicklung des Tanztheaters? Ist die Salome der Zukunft ein androides Wesen – und wird sie uns dennoch unseren Kopf verlieren lassen? Ich erwäge jedenfalls ernsthaft, im September einen Abstecher in den Ruhrpott zu machen und mir Castelluccis Vorstellung anzusehen.

Die Uraufführung findet am 6. September 2014 in der Jahrhunderthalle in Bochum statt. Weitere Termine: 7., 12., 19., und 20. September. Die Aufführung dauert ca. 1 h 15 min, und jeweils 45 min vor Vorstellungsbeginn gibt es ein erläuterndes Intro. Weitere Informationen auf ruhrtriennale.de.

Bild © Wonge Bergmann für die Ruhrtriennale

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

DAS ist ja mal eine abgefahrene Idee. Hört sich äußerst interessant an. Da ist jede Vorstellung ein Unikat. Allein die kurzen Interpretationen oder Gedanken des Choreographen ziehen mir eine Gänsehaut über.

Sollten Sie wirklich nach Bochum fahren, bitte unbedingt nachher darüber berichten!!!

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