Ein geheimnisvoller Planet
Ein möglicher Exoplanet gibt den Astronomen Rätsel auf – oder handelt es sich um eine Alien-Zivilisation?
Wenn ein kleiner Punkt am Himmel aufblinkt, sind Astronomen normalerweise die letzten, die dabei an Außerirdische denken. Der Sternenhimmel und die darin verborgenen Geheimnisse der Naturwissenschaft sind aufregend genug. Zum Beispiel die Suche nach Exoplaneten, also Planeten, die um fremde Sonnen kreisen. Erst im Oktober 1995 wurde nach mehrjähriger Analyse von Meßdaten erstmals die Entdeckung eines Planeten bekanntgegeben.
Nun hat man allerdings mit dem Kepler-Weltraumteleskop einen Planeten entdeckt, dessen Messdaten so ungewöhnlich sind, dass einige Astronomen trotzdem vorsichtig die Alien-Hypothese ins Spiel gebracht haben. Nicht direkt, wohlgemerkt, und immer noch in streng wissenschaftlicher Manier – aber immerhin. Es geht um den Stern KIC 8462852, dessen Leuchtsignale, vor allem deren starke Schwankungen, für Verwirrung sorgen: weder ein normaler Planet (im Sinne von: ähnlich den bislang entdeckten) noch eine Staubwolke in der Umlaufbahn des Sterns reichen als Erklärung, und Messfehler konnten einwandfrei ausgeschlossen werden, so Tabetha Boyajian von der Yale University, die diese Entdeckungen kürzlich veröffentlicht hat.
Also doch Aliens? Bevor wir uns allerdings auf diesen Stern und die Alien-Hypothese stürzen, werfen wir einen Blick auf die noch junge Geschichte der Exoplanetensuche.
Im roten Kreis: der Stern 51 Pegasus im gleichnamigen Sternbild, Heimat des ersten entdeckten Exoplaneten names „51 Pegasus b“. (Bild: Wikipedia/Cäsium137, Lizenz: Creative Commons Attribution Share Alike 3.0 Unported)
Die Planeten-Jäger
In den letzten zwanzig Jahren konnte die Existenz von insgesamt fast zweitausend solcher Exoplaneten bestätigt werden, und es werden immer mehr. Aber warum finden wir die erst jetzt? Nun, es gibt bislang vor allem zwei Methoden, mit denen man bei einem über tausend Lichtjahre entfernten Stern die Existenz von ihn umkreisenden Himmelskörpern überhaupt nachweisen kann: zum einen die Beobachtung der Radialgeschwindigkeit eines Sterns, und zum anderen die Transit-Methode.
Bei der ersteren macht man sich den Umstand zunutze, dass nicht nur Planeten von der Schwerkraft der Sonne angezogen und auf ihrer Umlaufbahn gehalten werden, sondern dass auch die Planetenmasse ein klein wenig an der Sonne zerrt. Der Stern eiert gewissermaßen wie ein Hammerwerfer um einen leicht außerhalb seiner selbst liegenden Schwerpunkt. Unsere Sonne macht das übrigens auch; allein der Jupiter lässt mit seinem 318-fachen der Erdmasse die Sonne mit einer Geschwindigkeit von ca. 0,748 km/h zittern.
Diese im astronomischen Maßstab doch recht geringe Bewegung reicht aus, um die Frequenzen in den gemessenen Lichtspektren der Sterne zu verändern – bewegt sich der Stern zu uns hin, werden die Lichtwellen leicht gestaucht, und bewegt er sich von uns weg, werden sie gedehnt. Wie bei einem Tanzschritt pulsiert das Sternenlicht also, je nachdem wie sehr der ihn umkreisende Planet an ihm zerrt – und das lässt sich nur mit äußerst genauen Messinstrumenten feststellen, die es vor über zwanzig Jahren schlichtweg noch nicht gab.
Die Messung der Radialgeschwindigkeit von Sternen dient auch als Prüfstein für die neueren Planetenfunde, die mittels der sogenannten Transit-Methode entdeckt wurden, und sie liefert außerdem auch die Planetenmasse – die, wie ein Überblick über die Massen und Sonnenentfernungen zeigt, stark variieren:
Das „Periodensystem“ der nachgewiesenen Exoplaneten (Stand 23. Juli 2014, Quelle: Planetary Habitability Laboratory, University of Puerto Rico at Arecibo)
Die Transit-Methode wiederum liefert nur die ungefähre Größe eines Exoplaneten, und das liegt daran, dass hier tatsächlich die Schwankungen der Lichtstärke eines Sterns gemessen werden, wenn der Planet vor ihm vorbeizieht. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Umlaufbahn des Planeten einigermaßen auf unserer Sichtlinie zum Stern liegt. Außerdem muss dieser Stern eine ganze Weile beobachtet werden – zur Sicherheit mindestens drei Jahre –, um anhand der Abstände und der Häufigkeit der Lichtschwankungen die Umlaufbahn berechnen zu können. In über neunzig Prozent der Fälle, so Jack Lissauer vom Ames Research Center der NASA und Astronom im Kepler-Team, dürften sich diese Lichtschwankungen allerdings als Planeten herausstellen.
Ein Exot unter den Exoplaneten
Zwischen den Sternbildern Schwan und Leier befindet sich allerdings der Stern mit der kryptischen Bezeichnung KIC 8462852, dessen Messdaten die Fachwelt vor ein Rätsel stellen. Das Kepler-Teleskop hat dieses Gebiet zwischen 2009 und 2013 vier Jahre lang beobachtet, bevor ein Defekt die Fortführung dieser Mission unmöglich machte. Seitdem sind Wissenschaftler und Hobby-Astronomen weltweit über das „Planet Hunter“-Programm dabei, die enormen Datenmengen des Teleskops auszuwerten und nach fernen Planeten zu durchkämmen.
Das Kepler-Orarium (als Animation auch auf Youtube): Alle Mehrplaneten-Systeme, die vom Kepler-Teleskop mithilfe der Transit-Methode entdeckt wurden, auf einen Blick – das sind inzwischen schon mehr als die hier gezeigten 3538 Planeten, von denen die meisten Funde erst noch bestätigt werden müssen. (Stand: 04.01.2014)
Normalerweise zeigen sich diese durch den regelmäßig wiederkehrenden und gleichmäßig an- und ausklingenden Abfall der Lichtintensität eines Sterns: Der Planet schiebt sich langsam vor den Stern, verdeckt ihn dann zum Teil eine Zeit lang und schiebt sich dann wieder aus der „Sonnenscheibe“ heraus. Auf den Diagrammen sieht das dann wie ein umgekehrter, symmetrische Tafelberg mit sanften Hängen aus – hier zum Beispiel beim Planeten Kepler 10b, der sich innerhalb von knapp zwei Stunden an seinem Stern vorbeischiebt:
Lichtkurve des Planeten Kepler 10b vom 10. Januar 2011 (Quelle: NASA/Kepler Mission/Wendy Stenzel)
Bei KIC 8462852 ist das allerdings völlig anders. Zum einen sind die Lichtschwankungen, wie der Astroblogger Phil Plait auf seinem Blog Bad Astronomy erklärt, nicht nur unregelmäßig und kaum symmetrisch, sondern die Kurve weist außerdem auch noch verschiedene, ebenfalls unregelmäßige kleinere Schwankungen auf:
Im oberen Diagramm sieht man die Lichtmessungen von KIC 8462852 über einen Zeitraum von gut 1500 Tagen, die beiden unteren Diagramme sind Vergrößerungen der zwei starken Schwankungen. Die durchschnittliche Lichtintensität ist hier als 1,0 auf der y-Achse festgelegt.
Normalerweise würde ein Planet von Jupitergröße lediglich zehn Prozent der Lichtstärke verringern. Bei KIC 8462852 sind es zwischen 15 und 20 Prozent, sodass es sich entweder um ein Objekt von beinahe einem Viertel der Sterngröße handeln muss – oder etwas völlig anderes. Ein Planet erklärt auch weder die unregelmäßigen Kurven noch die anderen, kleineren Schwankungen. Vielleicht ein gewaltiger Komet, der von einem benachbarten Stern mitgerissen und durch das Sternsystem von KIC 8462852 geschleudert wurde?
Das ist im Moment noch die wahrscheinlichste Hypothese, die nur von natürlichen Ursachen ausgeht. Tabetha Boyajian und die „Planet Hunter“-Mitautoren ihres Aufsatzes legen auch großen Wert darauf, darin nur solche Erklärungsversuche streng wissenschaftlich abzuklopfen. Ist es also ein sehr großer Planet? Dafür sind die Unregelmäßigkeiten einfach zu groß. Eine gewaltige Asteroidenwolke ähnlich der Oort’sche Wolke unseres Sonnensystems, wie sie erwiesenermaßen um die meisten Sterne kreist, könnte vielleicht die Menge des verdeckten Lichts erklären, aber nicht die ungewöhnlichen Kurvenmuster. Eine Staubwolke in der Nähe des Sterns wiederum müsste zusätzliches Infrarotlicht abstrahlen, aber KIC 8462852 weist nur so viel Infrarot auf, wie es für einen Stern seiner Größe angemessen ist.
Außerirdische mit Sonnendach?
Keine dieser Hypothesen reicht ganz aus, um die seltsamen Lichtmuster zu erklären, und so äußerte Boyajians Kollege Jason Wright von der Penn State University eine alternative These: Was wäre, wenn eine außerirdische Zivilisation ein System von riesigen Sonnenkollektoren um den Stern herum angeordnet hätte, ähnlich wie es der Physiker Freeman Dyson bereits in den 1960er-Jahren vorgeschlagen hatte? Solch eine Zivilisation müsste folgerichtig nicht nur sehr fortgeschritten sein, sondern auch einen ungeheuren Energiebedarf aufweisen, um diese Weltraum-Solarpaneele bauen zu können. Sind die Aliens mit der Energiewende etwa schon weiter als wir?!
Das klingt alles verdächtig nach Science-Fiction – und sofort kommen einem natürlich Romane wie David Brins „Existenz“ (im Shop), Robert Charles Wilsons „Spin“ (im Shop) oder Greg Bears „Äon“ (im Shop) in den Sinn. Aber selbst Boyajian gibt zu, dass es ein immerhin denkbares Erklärungsmodell wäre. Und Jason Wright? Der plant eine eigene, ergänzende Veröffentlichung zu Boyajians Paper, in dem er die Alien-Hypothese ausführlich darlegen will, zusammen mit Andrew Siemion, dem Direktor des auf die Suche nach Außerirdischen spezialisierten SETI Research Centers an der University of California in Berkeley.
Um diese Hypothese zu überprüfen, plant Tabetha Boyajian gerade, ein Radioteleskop auf KIC 8462852 zu richten, um nach Radiowellen von dem Stern zu suchen und gegebenenfalls Funkmuster künstlichen Ursprungs nachweisen zu können.
Bleibt nur zu hoffen, dass wir in diesem – zugegebenermaßen menschheitsgeschichtlich singulären – Falle nicht gerade das außerirdische Pendant zu unseren Radiocharts-Sendungen der Sechziger und Siebziger aufschnappen. Das könnte fatale Folgen haben …
Zum Weiterlesen:
„The Most Mysterious Star in Our Galaxy“ (Ross Andersen, The Atlantic) – der ursprüngliche Bericht über die verschiedenen Erklärungsmodelle für den Planeten KIC 8462852
„Did Astronomers Find Evidence of an Alien Civilization? (Probably Not. But Still Cool.)“ (Phil Plate, Bad Astronomy/Slate.com) – Astronomie-Blogger Phil Plait erklärt die Besonderheiten, zeigt Messdiagramme und ordnet die Hypothesen zum Planeten ein
„Unter tausend fremden Sonnen“ (Ulf von Rauchhaupt, FAZ.net) – ein großer, doppelseitiger Beitrag in der Frankfurter Sonntagszeitung, der die letzten zwanzig Jahre Planetenentdeckungen ausführlich erklärt; auch online gut aufbereitet
Kepler / Ames Research Center, NASA – die Homepage des Kepler-Astronauten mit vielen Infos und Diagrammen zu den Planetenfunden, samt aktualisiertem Planet-Counter
Titelbild: ESO/L. Calçada (Wikipedia, Lizenz: Creative Commons Attribution 4.0 International)
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