13. November 2015 2 Likes

Ein Marsianer geht seinen Weg

Ein Gespräch mit Andy Weir über „Der Marsianer“, den Film und den besten Doctor Who aller Zeiten

Lesezeit: 18 min.

Von Null auf Lichtgeschwindigkeit – so könnte man beschreiben, was Andy Weir widerfuhr, seit er 2009 das erste Kapitel seines Debütromans „Der Marsianer“ (im Shop) ins Internet stellte. Denn seit die Printausgabe nicht nur alle internationalen Bestsellerlisten stürmte und die Verfilmung von Ridley Scott mit Matt Damon in der Hauptrolle an den Kinokassen durchgestartet ist, steht „Der Marsianer“ für Science-Fiction für Jedermann. Aber wie hat sich diese nicht gerade alltägliche Genre-Karriere angefühlt? Und was hat Andy Weir überhaupt erst dazu bewogen, den Roman zu schreiben? Über diese Themen und vieles mehr spricht Andy Weir in dem folgenden Interview – das in gedruckter Form bereits im Science Fiction Jahr 2015 erschienen ist.

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Andy WeirUwe Kramm: Mr. Weir, warum ist die Menschheit so viele Jahrhunderte nach der Entdeckung des Mars immer noch von diesem Planeten fasziniert?

Andy Weir: Nun, das hängt wohl damit zusammen, dass der Mars für unseren Forscherdrang ganz einfach das nächste logische Ziel ist. Wohin sollten wir sonst als nächstes aufbrechen? Auf dem Mond waren wir schon, und der nächstgelegene Kandidat, die Venus, ist viel zu unwirtlich, als dass wir dort mit der uns zur Verfügung stehenden Technik länger überleben könnten. Es bleibt also: der Mars! Er ist nicht zu weit von der Erde entfernt und eig­net sich hervorragend zur Erforschung. Das ist sozusagen der objektive Grund, warum der Mars unser nächstes Ziel sein wird. Aber vergessen wir auch nicht, dass der Planet durch die vielen Romane, Fernsehsendungen und Spielfilme nie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden ist. Er ist ein alter Bekannter, wenn Sie so wollen.

Ihre persönliche Faszination für den Roten Planeten spürt man bei der Lektüre von „Der Marsianer“ ja in praktisch jeder Zeile. War das auch der Ausgangspunkt der Ge­schichte um Mark Watney? Oder war da zuerst die Idee, dass ein Astronaut bei einem Unfall beinahe getötet wird und anschließend ums Überleben kämpfen muss?

Der Ausgangspunkt war recht simpel: die Idee einer bemannten Mars-Mission. Und nach und nach haben sich dann die einzelnen Puzzleteile zusammengefügt. Wenn Sie eine solche Mission schildern, müssen Sie im­mer im Hinterkopf behalten, was dabei alles schiefgehen kann – und wie die Crew auf solche Zwischenfälle reagiert. Irgendwann wurde mir klar, dass derartige „Fehlerszenarien“ ein prima Grundgerüst für eine Geschichte sein könnten.

„Der Marsianer“ wurde ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte auf Ihrer Website veröffentlicht. Bestand nicht die Ge­fahr, den Handlungsfaden zu verlieren, wenn man eine Episode auf die nä­chste folgen lässt?

Eigentlich nicht. Das hätte vielleicht passieren können, wenn ich die Sa­che schneller angegangen wäre. Aber ich habe drei Jahre an dem Roman gearbeitet – da blieb genügend Zeit, Fehler in der Handlung zu bemerken und sie auszubügeln.

Wie intensiv haben Sie sich mit Mark Watney be­schäftigt, dem absoluten Mittelpunkt der Handlung? Können Sie uns ein bisschen mehr über ihn erzählen? Im Roman selbst offenbart er ja kaum etwas über sein Privatleben.

Um ehrlich zu sein: Allzu tief habe ich nicht in Marks Vergangenheit herumgewühlt, schließlich wollte ich ja keine Biografie über ihn schreiben. Der Ro­man beschäftigt sich in erster Linie mit seinem Überlebenskampf auf dem Mars. Im Grunde genommen weiß ich also auch nicht viel mehr über ihn als die Leserinnen und Leser. Er stammt aus Chicago, so viel steht fest. (Lacht)

Der Marsianer
DER MARSIANER / Bild © Twentieth Century Fox, Inc.

Es kommt ja nicht selten vor, dass etwas von der Persönlichkeit des Autors in seine Figuren einfließt. Wie viel von Ihnen steckt in Mark Watney?

Ja, Sie haben recht, Marks Charakter basiert zu einem guten Teil auf meiner eigenen Persönlichkeit. Aber natürlich ist er viel smarter und mutiger als ich und hat auch nicht die Schwächen, mit denen ich mich herumplagen muss. So gesehen könnte man ihn als den Typen bezeichnen, der ich insgeheim immer sein wollte.

Im Roman ist Mark fast pausenlos damit beschäftigt, irgendwelche Pro­bleme zu lösen und Gefahren abzuwehren, die sein Leben bedrohen. Trotz der fast aussichtslosen Lage verliert er dabei so gut wie nie seinen Optimismus. Aber wenn man tagtäglich ums Über­leben kämpft, muss sich das doch auf die Psyche auswirken, meinen Sie nicht?

Nun, es ging mir eben nicht darum, eine düstere, deprimierende Geschichte über einen Menschen zu erzählen, den die totale Einsamkeit langsam fertig macht und der unter der ständigen Belastung zerbricht. Das war einfach nicht mein Ding. Ich wollte davon erzählen, wie man mit extrem schwierigen Pro­blemen umgeht und Lösungen für diese Probleme findet – mehr nicht. Mark ist einfach aus härterem Holz geschnitzt als wir Durchschnittsbürger. Er wurde unter zehntausenden von Kandidaten für die Mars-Mission ausgewählt, und für eine solche Aufgabe holt man nicht einfach so irgendjemanden von der Straße und steckt ihn in einen Raumanzug – man muss schon besondere Qualitäten mit­bringen.

Dann ist Mark Watney so etwas wie ein Superheld wider Willen?

Als Superheld würde ich ihn nicht bezeichnen, aber es ist klar, dass da etwas gegen seinen Willen geschieht. Was ihm auf dem Mars passiert, hat er sich mit Sicherheit nicht freiwillig ausgesucht. Andererseits: Mark hat sich für den Beruf des Astronauten entschieden – er wusste ganz genau, dass in diesem Job viele Gefahren lauern. Völlig unvorbereitet hat es ihn also nicht getroffen.

Im Roman dreht sich zwar sehr viel, aber nicht alles um Mark. Da sind beispielweise noch die NASA-Leute auf der Erde und die übrigen Mit­glieder der Mars-Mission. Haben Sie hier jemanden besonders ins Herz geschlos­sen?

Wenn ich spontan antworten müsste, würde ich Commander Lewis nennen. Ich finde es toll, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt. Lewis ist eine geborene Führungspersönlichkeit. An ihrer Kompetenz gibt es nichts zu rütteln, sie ist entscheidungsstark und hat das absolute Vertrauen und die uneingeschränkte Loyalität ihrer Mannschaft. Im Gegenzug unternimmt sie wirklich alles, um ihre Leute zu beschützen.

Aber glau­ben Sie wirklich, dass die Bereitschaft da wäre, Millionen von Dollar auszugeben, um einen auf dem Mars gestrandeten Astronauten zu retten, wenn die Chancen praktisch gegen Null tendieren? Schließlich ist er nicht in einer Höhle eingeschlossen oder treibt in einem Rettungsboot auf dem Pazifik, sondern kämpft weit weg auf einem anderen Planeten ums Überleben.

Also, wenn man das hehre Motiv, das Leben eines Menschen retten zu wollen, einmal beiseitelässt, bringt Marks unfreiwilliger Mars-Trip für die Verantwortlichen auf der Erde doch ziemliche Vorteile: Eine auf wenige Tage angelegte Mission verlängert sich so um Wochen und Monate. Stellen Sie sich vor, welche zusätzlichen Erkennt­nisse man dadurch gewinnt – da kann man das gesamte restliche Ares-Programm glatt vergessen. Zynisch gesprochen, ist Marks Odyssee also kein Unglück, sondern im Gegenteil ein Glücksfall. Da kann man schon mal ein ordentliches Sümmchen für seine Rettung springen lassen.

Der Marsianer
DER MARSIANER / Bild © Twentieth Century Fox, Inc.

Im Roman schildern Sie ja auch große Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NASA darüber, was man unternehmen sollte, um Mark zu retten. Auf der einen Seite das Lager der „Bürokraten“, die sich streng an die Re­geln halten, auf der anderen die „Idealisten“, wie ich sie nen­nen würde. Dort ist man offensichtlich bereit, auch größere Risiken ein­zugehen und Vorschriften zu ignorieren, wenn sie im Weg stehen. In der Realität siegt allerdings ziemlich oft das Beharrungsvermögen der Bürokratie …

Hm, ob diese Theorie stimmt oder nicht, lasse ich mal dahingestellt. Aber vergessen Sie nicht den gewaltigen Druck der Öffentlichkeit, wenn bekannt würde, dass ein Mensch lebendig auf dem Mars zurückgelassen wurde. Für die von Ihnen so bezeichneten „Idealisten“ ist die öffentliche Meinung ein überaus starker Verbündeter, der sie letztlich über die Bedenkenträger triumphieren lässt.

Apropos Öffentlichkeit: Der kanadische Astronaut Chris Hadfield ist durch seine YouTube-Videos von der ISS weltberühmt geworden. Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach Menschen wie er, die uns so eindringlich erzählen, was es wirklich bedeutet, in den Weltraum zu fliegen? Muss sich die teure bemannte Raumfahrt nicht zwangsläufig Vermittlern wie ihm bedienen, um weiterhin akzeptiert zu werden?

Ja, da treffen Sie voll ins Schwarze. Es ist enorm wichtig, in der Öffentlichkeit das Interesse an der Raumfahrt wach zu halten. Und jemand wie Commander Hadfield, der einen so hohen Bekanntheitsgrad hat, ist dabei ein ungeheurer Glücksfall. Wir brauchen definitiv mehr Leute wie ihn.

So wie Chris Hadfield auf der ISS zu einer internationalen Crew gehörte, ist auch Ihre Ares-3-Mission kein rein amerikanisches Unter­nehmen. Interessanterweise ist der einzige Nichtamerikaner an Bord der deutsche Navigator Vogel. Wie kam es dazu?

Es ist kaum vorstellbar, dass ein so gewaltiges Projekt wie eine Reise zum Mars von einer Nation allein gestemmt würde. Selbst bei einem Flug, der größtenteils durch die USA geplant, finanziert und durchgeführt wird, wird mindestens ein Europäer dabei sein. Und Deutschland ist, was die bemannte Raumfahrt betrifft, für die Amerikaner eben ein langjähriger, bewährter Partner.

Aber auf die NASA selbst wollten Sie nicht verzichten …

Nein, tatsächlich hatte ich keine große Ambition, mir ein völlig neues Kontrollsystem für die Mission auszudenken. Die meisten Leserinnen und Leser kennen die NASA und haben die Bilder vom Kontrollzentrum in Houston im Kopf. Wenn man hört, dass die gute alte NASA mit im Spiel ist, werden automatisch Erin­nerungen an das Apollo-Programm und die Mondflüge wach. Dieser Hauch von Nostalgie war mir sehr wichtig.

Die Leser überschlagen sich förmlich vor Begeisterung, wenn es um die wissenschaftliche Genauigkeit und die Schilderung der techni­schen Möglichkeiten in „Der Marsianer“ geht. Es scheint alles bis aufs Detail zu stimmen. Wie aufwändig war die Recherche?

Wie viel Zeit mich das gekostet hat, kann ich nicht genau sagen – die Re­cherche und das Schreiben des Romans liefen parallel. Wie ich vorhin sagte, habe ich für die Fertigstellung des Buches drei Jahre gebraucht, und ein großer Teil davon war ausgefüllt mit mathematischen Berechnungen und der Klä­rung entscheidender Grundsatzfragen rund um den Mars.

Wie sahen denn die Recherchen ge­nau aus?

Zum größten Teil bestanden sie darin, endlose Suchanfragen auf Google zu starten. Dazu kamen eine Menge eigener mathematischer Berechnungen, etwa zum Klima auf dem Mars. Eine unschätzbare Hilfe waren aber auch meine Leserinnen und Leser. Wie Sie bereits sagten, habe ich den Roman Kapitel für Kapitel auf meiner Website veröffentlicht, wo er von einem harten Kern von etwa 3000 Le­sern verfolgt wurde. Leute, die eine Menge von Naturwissenschaft und Technik verstehen. Sie haben die Geschichte nicht einfach nur gelesen, sondern sie auseinandergenommen. Und wenn etwas falsch war, haben sie mir das per E-Mail mitgeteilt, und ich konnte den Fehler korrigieren. Das hat super geklappt und war der beste Faktencheck, den man sich vorstellen kann.

Bei aller wissenschaftlichen Genauigkeit muss man ja trotzdem immer wieder Zu­geständnisse an den Plot machen, damit die Handlung vorankommt. Ging Ihnen das auch so?

Natürlich musste ich an der einen oder anderen Stelle der Tatsache Tribut zollen, dass ich einen Roman schrieb und keine wissenschaftliche Abhand­lung. Das fängt mit dem Sandsturm an, der die Crew zur hastigen Abreise zwingt und Marks Unfall auslöst. In Wirklichkeit kann das so nicht passieren. Es gibt zwar Stürme auf dem Mars, aber sie sind nicht stark genug, um irgendetwas zu beschädigen, geschweige denn eine Landungsmission zum Abbruch zu bringen. Und dann die Sache mit der Strahlung. Angeblich schützt das Habitat seine Bewohner vor der gefährlichen kosmischen Strahlung, aber im Buch finden Sie keinerlei Erklärung dafür, wie die Ingenieure auf der Erde dieses Problem gelöst haben. Für bemannte Missionen zu anderen Pla­neten stellt das Strahlungsproblem eine große Herausforderung dar, und es ist noch völlig offen, wie wir es lösen werden.

Ich finde es erstaunlich, dass Sie selbst gar kein naturwissenschaftliches Studium absolviert haben und beruflich auch nie etwas mit Raumfahrt zu tun hatten. „Der Marsianer“ fühlt sich nämlich so an, als hätte ein NASA-Insider das Buch geschrieben. Gab es dort je­manden, der Ihnen unter die Arme gegriffen und Sie bei Detailfragen bera­ten hat?

Nein, ganz ehrlich: Alle Fakten im Roman basieren auf Internetrecherchen und den Berechnungen, von denen ich vorher gesprochen habe. Tatsächlich habe ich erst nach dem Erscheinen des Buches Leute kennengelernt, die etwas mit Raumfahrt zu tun haben. Es gab also keinen Ghostwriter oder so etwas – es ist alles auf meinem Mist gewachsen.

Der Marsianer
DER MARSIANER / Bild © Twentieth Century Fox, Inc.

Was wären denn die Hauptunterschiede zwischen einer tatsächlichen bemannten Mars-Mission und der von Ihnen geschilderten?

Nun, mit großer Wahrscheinlichkeit wäre es ein international breit aufgestelltes Unternehmen, an dem sich etliche Länder beteiligen würden. Also eher vergleichbar mit dem Bau der Internationalen Raumstation als mit dem Apollo-Programm, wie es bei mir anklingt. Bevor nämlich ein Flug zum Mars überhaupt stattfinden kann, muss man erst die dafür notwendige Infrastruktur schaffen, sonst wäre eine solche Mis­sion von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Beispielweise müssen im Orbit De­pots für den Raketentreibstoff eingerichtet werden und so weiter. Der Aufwand wäre in jedem Fall riesig.

Fest steht auch, dass ein Flug zum Mars eine lange und gefährliche Rei­se ist. Kommen wir noch einmal auf das Problem der Strahlenbelastung zurück. Haben Sie eine Idee, wie es gelöst werden könnte? Und dann sind da noch die Auswirkungen eines langen Aufenthalts in der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper.

Im Grunde genommen wäre es gar nicht so schwer, die Crew vor der Strahlung zu schützen. Man müsste das Raumschiff einfach so konstruieren, dass die Wasservor­räte direkt unterhalb der Außenhaut platziert sind. Schon ein Wasser­stand von etwa zehn Zentimeter würde die von der Sonne ausgesandte Strahlung voll­kommen absorbieren. Und um zu verhindern, dass der Körper in der Schwerelosigkeit Muskelmasse abbaut und andere Degenerationserscheinungen auftreten, müsste das Raumschiff zum Rotieren gebracht werden. Dadurch würde eine künstliche Schwerkraft an Bord er­zeugt. Während des Fluges könnte diese von 1 g wie auf der Erde langsam auf 0,4 g wie auf dem Mars abgesenkt werden. So könnten sich die As­tronauten Schritt für Schritt den Bedingungen auf unserem Nach­barplaneten anpassen.

Die technischen Probleme einer bemannten Mars-Expedition wären demnach lösbar. Wann, meinen Sie, wird also der erste Mensch seinen Fuß auf den Roten Planeten setzen?

Sascha Mamczak, Sebastian Pirling (Hrsg.): Der Weg zum MarsDazu braucht es noch einer Menge Geduld. Vor 2050 wird es bestimmt keine bemannte Mission geben. Der Flug zum Mars ist ein extrem teures und äußerst gefährliches Unternehmen, das kann man nicht oft genug betonen. Außerdem braucht man schon eine sehr gute Begründung dafür, Menschen dorthin zu schicken, wenn es bei der Entwicklung von autonomen Robotern weiterhin solche Fortschritte gibt. Verstehen Sie mich aber bitte nicht falsch, ich gehe jede Wette ein, dass eines Tages ein Mensch auf dem Mars landen wird. Aber es besteht keine Eile. Das ist vielleicht der Unterschied zum Wettrennen zum Mond, das wir in den 1960er Jahren erlebt haben.

Dann ist ein derartiger Wettstreit wie damals zwischen den USA und der Sowjetunion heute nicht mehr vorstellbar?

Dass es so etwas nochmal gibt, würde ich doch sehr bezweifeln. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Erfolge in der Erforschung des Weltalls gemeinsamer Anstrengungen bedürfen. Ein Flug zum Mars ist eine Herausforderung, bei der viele Nationen zusammenwirken müssen. Und das werden sie auch tun.

Im Roman spielen die Chinesen bei Marks Rettung eine nicht un­bedeutende Rolle. Derzeit sieht es allerdings so aus, dass sich die Spannungen zwischen den USA auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite immer weiter verstärken. Könnte das Ihrer Meinung nach zu einer Gefahr für die bisher praktizierte Zusammenarbeit in der be­mannten Raumfahrt führen?

Ich glaube, das wird keine großen Auswirkungen haben. Auf der ISS kooperieren die USA und Russland weiterhin ziemlich geräuschlos miteinander. Allerdings wird es den Amerikanern langsam zu teuer, den Russen fast 70 Millionen Dollar für jeden Astronauten zu bezahlen, der mit einer Sojus-Kapsel zur ISS gebracht wird – des­halb wächst bei uns das Interesse daran, wieder eigene Transportkapazitäten aufzubauen. Und was China betrifft: Bisher verweigern sich die USA vollständig, wenn es um eine mögliche Kooperation mit China in Fragen der Raumfahrt geht. Das muss sich irgendwann ändern, wenn wir weiterkommen wollen.

Wäre es am Ende sogar möglich, dass der bemannte Flug zum Mars nicht von Regierungen, sondern von einem privaten Unterneh­men durchgeführt wird? Immerhin ist in den USA ein klarer Trend erkennbar, Teile des Raumfahrtprogramms zu privatisieren.

Nein, ein Flug zum Mars wird – und sollte meiner Meinung nach auch – in der Hand von Regierungen bleiben. Das muss nicht zwangsläufig die amerikanische sein. Wie gesagt, ein Staat, und sei er auch so wohlhabend wie die USA, wird die Kosten für ein solches Un­ternehmen kaum alleine schultern können. Es wird einer internationalen Koope­ration bedürfen.

Das Projekt „Mars One“, das derzeit Freiwillige für einen Flug zum Mars ohne Rückkehrmöglichkeit sucht, hat für einige Schlagzeilen gesorgt. Kann man so etwas überhaupt ernst nehmen?

„Mars One“ ist, wenn man so will, eine gute Denkfabrik. Aber das ist auch das einzige Lob, das ich dem Pro­jekt spenden will. Den Verantwortlichen wird es nie gelingen, auch nur den kleinsten Gegenstand zum Mars zu bringen. Ganz einfach, weil ihnen dazu das Geld fehlt und sie nie im Leben die notwendigen Mittel auftreiben werden.

Von den harten Fakten zurück zur Fiktion. Wenn man sich die Science Fic­tion anschaut, hat der Mars dort immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Haben Sie die Klassiker gelesen, etwa Kim Stanley Robinsons Mars-Trilo­gie „Roter Mars“, „Grüner Mars“ und „Blauer Mars“ (im Shop)?

Kim Stanley Robinson: Roter MarsKlar, Robinsons drei Romane kenne ich natürlich. Aber wenn man es genau nimmt, handelt es sich dabei weniger um Geschichten über den Mars, sondern um Politthriller. Mein Lieblingsroman, in dem es dezidiert um den Roten Planeten geht, ist Ben Bovas „Mars“. Da stimmen die Fakten, auch wenn Bova so wie ich zugunsten der Handlung einige Zugeständnisse machen musste. Außerdem hält die Geschichte einige tolle Überraschungen bereit.

Noch ein Tipp Ihrerseits für einen guten Mars-Roman?

Nun, wenn Sie schon von Klassikern sprechen, dann darf „Der rote Planet“ von Ro­bert A. Heinlein nicht fehlen.

Welche Science-Fiction-Romane und -Autoren waren generell für Sie prägend?

Ich bin mit der klassischen Science Fiction der 1950er- und 1960er-Jahre groß geworden – das hat mich stark beeinflusst. Es dürfte also nicht verwundern, wenn ich Heinlein, Clarke und Asimov als meine Lieblingsautoren nenne. Und wenn Sie mich nach meinem absoluten Lieblingsbuch fragen – das ist „Ich, der Robot“ von Isaac Asimov (im Shop).

Dann ist es also kein Zufall, dass man beim Lesen von „Der Marsianer“ immer wieder an die klassische Science Fiction denken muss, die sich unter anderem durch eine klar strukturierte Handlung auszeichnet. Sollte so ein Gefühl von Nostalgie aufkommen, wenn man den Abenteuern von Mark Watney folgt?

Sie haben mich ertappt. Genau darum ging es mir.

Zwischen dem Genre und dem Rest der Belletristik verläuft ja in der Regel ein tiefer Graben. „Der Marsianer“ ist da eine der wenigen Ausnahmen. Bei so hohen Verkaufszahlen muss er auch das Interesse von zahlreichen Leserinnen und Lesern geweckt ha­ben, die sich ansonsten nicht für Science Fiction interessieren. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Der große Erfolg des Romans hat mich völlig überrascht. Das hatte ich wirklich überhaupt nicht erwartet. Eine Erklärung? Vermutlich liegt es daran, dass viele Leser Mark Watney einfach mögen und ihnen sein Humor gefällt. Wenn man es genau nimmt, ist „Der Marsianer“ ja auch kein reiner Science-Fiction-Roman, sondern man kann ihn genauso gut wie einen Krimi lesen. Damit habe ich wohl den Geschmack ei­nes größeren Publikums getroffen.

Stehen Sie in Kontakt mit anderen Science-Fiction-Autoren? Sehen Sie sich als Teil der SF-Community?

Ehrlich gesagt nicht. Es gibt kaum Kontakte, sieht man einmal von Peter Clines (im Shop) ab, den ich sehr schätze. Wir haben eine lebhafte E-Mail-Korrespondenz.

Es ist ja eigentlich kaum vorstellbar, aber schon Ihr erster Roman wurde zur Vorlage für einen Hollywood-Blockbuster. Unter der Regie von Science-Fiction-Altmeister Ridley Scott ist „Der Marsianer“ diesen Herbst in die Kinos gekommen und hat bereits Hunderte von Millionen Dollar eingespielt. Haben Sie sich das je in Ihren kühnsten Träumen vorgestellt?

Vermutlich träumt jeder Autor insgeheim von so etwas, aber ernsthaft habe ich über diese Möglichkeit nie nachgedacht, ganz ehrlich. Es hat sich nach und nach entwickelt – und plötzlich wurde aus meinem Buch eine Großproduktion mit tollen Schau­spielern. Wow!

Liest man „Der Marsianer“, kann man sich bei vielen Szenen sehr gut vorstellen, wie sie in einem Film aussehen würden. Ist Ihnen beim Schreiben der eine oder andere Schauspieler in den Sinn gekommen, der die Rolle von Mark Watney übernehmen könnte?

Im Film wird Mark von Matt Damon gespielt – ist das nicht absolut cool? Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten es aber auch Leute wie Chris Pratt oder Bradley Cooper sein können.

Hatten Sie überhaupt etwas mit dem Zustandekommen des Films zu tun? Ich stelle mir vor, wie Ridley Scott zum Telefonhörer greift und Sie hier und da um Rat fragt …

Mit Ridley hatte ich während der Dreharbeiten leider keinen Kontakt. Eigentlich bestand meine Hauptaufgabe bei der ganzen Sache darin, die Honorarschecks ein­zulösen. (Lacht.) Aber Spaß beiseite. Immerhin hatten mir die Produzenten vorher das Drehbuch zugeschickt und wollten wissen, was ich davon halte – obwohl sie sich keinen Deut um meine Meinung dazu hätten scheren müssen. Und es war toll, wie sie mich über die Dreharbeiten auf dem Laufenden gehalten haben – ich war sogar einmal am Set! Coole Typen.

Der Marsianer
DER MARSIANER / Bild © NASA/Twentieth Century Fox, Inc.

Zurück zu Ihnen. Hatten Sie schon immer den Wunsch zu schreiben?

Ich glaube, ja. Schon als Kind habe ich mir ständig Geschichten ausgedacht und sie aufgeschrieben. Und „Der Marsianer“ ist nicht mein erster, sondern mein dritter Roman. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach den anderen zwei – die haben wirklich nichts getaugt.

Und können Sie sich noch daran erinnern, wann es mit Ihrer Leidenschaft für die Raumfahrt losging?

Ich hatte ein gutes Vorbild zu Hause. Mein Vater ist Wissenschaftler und ein riesiger Raumfahrt-Fan. Das Thema war in meiner Jugend also immer präsent, und tat­sächlich gab es keine Zeit, in der mein Interesse daran auch nur im Geringsten nachgelassen hätte. Einmal Fan, immer Fan.

Für viele angehende Autoren ist das Internet so etwas wie eine Verheißung. Es verspricht den schnellsten Weg, um als Schriftsteller groß her­auszukommen, ohne bei den Verlagen Schlange stehen zu müssen. In Wirklichkeit sind es aber nur sehr wenige, die es schaffen, auf diese Art bekannt zu werden. Bei Ihnen hat es geklappt. Aber das ging nicht von heute auf morgen, oder?

Wir haben uns ja schon darüber unterhalten, wie der Roman geschrieben wurde. Über drei Jahre hinweg habe ich Kapitel für Kapitel auf meiner Website veröffent­licht. Im September 2012 konnte man dann den ganzen Text als E-Book herunterladen, und sechs Monate später, also im März 2013, wurde ich von einem Verlag angesprochen. Zwischen dem Zeitpunkt, als man den Roman komplett lesen konnte, und dem Zustandekommen der Druckversion ist also eine ganze Weile ver­gangen. Insofern ging es mit dem Erfolg wirklich nicht sehr schnell. Aber ich bin der letzte, der sich beklagt – die ganze Sache ist wirklich wunderbar gelaufen.

Was hat sich für Sie mit dem Erfolg des Romans geändert? Haben Sie Ihren bisherigen Job als Programmierer behalten und schreiben weiterhin in Ihrer Freizeit?

Nein, inzwischen konzentriere ich mich voll und ganz auf meine Karriere als Schriftsteller und habe mit allem anderen aufgehört.

Dann haben Sie ja bestimmt schon ein neues Buch in der Pipeline?

Ja, ich schreibe tatsächlich gerade an einem neuen Roman. Der Arbeitstitel ist „Zhek“. Allzu viel möchte ich noch nicht darüber verraten, aber ich kann sagen, dass er deutlich mehr Science-Fiction-Elemente enthalten wird als „Der Marsianer“: Aliens, Telepathen, Flüge mit Überlichtgeschwindigkeit und so weiter. Außerdem schwebt mir eine Sammlung mit Kurzgeschichten vor, aber dafür habe ich noch nicht genug Material zusammen.

Zum Schluss noch eine Frage, die mich persönlich besonders interessiert. Ich habe gelesen, dass Sie ein großer Fan der britischen Kultserie Doctor Who sind. Also mal nicht die üblichen Verdächtigen wie Star Trek oder Star Wars. Wann sind Sie dem Charme des Doktors verfallen?

Ich glaube, ich war zwölf, als ich die Serie zum ersten Mal gesehen habe. Damals liefen im US-Fernsehen ziemlich viele Sendungen aus Großbritannien, und unter der Woche haben sie abends immer Doctor Who gezeigt. Seither bin ich drangeblieben.

Und wer ist Ihr Lieblingsdoktor?

Eindeutig Peter Davison, der fünfte Doktor. Das liegt vermutlich daran, dass er der erste war, den ich kennengelernt habe. Mit dem Neustart der Serie 2005 kamen eine ganze Reihe guter Doktoren dazu, und wenn ich nur die neuen Folgen nehme, wäre mein Favorit David Tennant. Aber wer einmal seine Wahl getroffen hat, lässt davon nicht so leicht wieder ab. Der beste Doktor aller Zeiten ist und bleibt für mich also Peter Davison!

Vielen Dank für das Gespräch, Mr. Weir.

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Das Interview wurde zuerst im SCIENCE FICTION JAHR 2015 veröffentlicht und hier – in aktualisierter Form – dank freundlicher Unterstützung des Golkonda Verlags zur Verfügung gestellt.

Hannes Riffel und Sascha Mamczak (Hrsg.): Das Science Fiction Jahr 2015 • Golkonda Verlag, Berlin 2015 • 648 Seiten • € 29,90 

 

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