6. Januar 2022 3 Likes

Im Gespräch mit Marion Herzog

Die „Algorytmica“-Autorin spricht über digitale Schubladen, virtuelle Welten und mehr

Lesezeit: 4 min.

Wie leben die Menschen in dreihundert Jahren, wenn die Erde nicht mehr bewohnbar ist? In Marion Herzogs Science-Fiction-Debüt Algorytmica“ (im Shop) hat es die vermeintlich letzten Menschen in unterirdische Archen verschlagen, wo sie ihre Zeit in virtuellen Welten verbringen. Doch es liegt was im Argen im digitalen Paradies – und so liegt es an der jungen Kaja und ihrem Mitstudenten Liam, Licht ins Dunkel zu bringen. Im Interview erzählt Marion Herzog von ihrer Liebe zum Schreiben, den unterschiedlichen Inspirationsquellen und der Faszination von Außenseiter*innen.

 


Marion Herzog. Foto © Patrycia Lucas

Hallo Frau Herzog. Sie haben Literaturgeschichte studiert und viele Jahre Buchprojekte betreut. In wieweit hat das Ihr Schreiben geprägt?

Ich gehöre zu diesen Menschen, die Bücher von Kindheit an lieben. Autorin zu werden, Geschichten zu erzählen, das war immer mein Wunsch, seit ich denken kann. Literatur zu studieren, im Verlag zu arbeiten, das war für mich notwendig, um die Ideen in meinem Kopf mit dem richtigen Werkzeug bearbeiten zu können.

Was war der Auslöser dafür, selbst kreativ zu werden und einen Roman zu schreiben?

Ich schreibe tatsächlich schon viel länger, als ich im Verlag arbeite. Meine digitalen Schubladen sind voller Ideen, Fragmenten von Geschichten und Titelsammlungen, mal mehr, mal weniger ausgearbeitet. Seit Teenager-Zeiten hat sich da einiges angesammelt. Die Figuren aus meinen Fanny Herzog Krimis waren mir so sympathisch, dass ich sie gern mit der Öffentlichkeit teilen wollte.

Bevor Sie „Algorytmica“ schrieben, haben Sie Kriminalromane verfasst. Wie kam es zum Abstecher in die Science-Fiction?

Ich war zu der Zeit schwanger mit meinem zweiten Kind und die Frage, wie die Welt von morgen wohl aussehen könnte, hat mich sehr umgetrieben. Ich habe angefangen Umweltberichte zu studieren, festgestellt, wie viel Zeit wir doch alle in der digitalen Welt verbringen, und diese Bilder waren so klar, dass sie sich zu seiner Geschichte geformt haben.

Was schätzen Sie an beiden Genres, sowohl am Krimi als auch an der Science-Fiction? Sind beide nicht eigentlich wie für einander geschaffen?

Ich denke, der Krimi kann sich tatsächlich in jedes andere Genre schummeln. Das Böse und das Gute, die ewig faszinierenden Kontrahenten in unserem Wesen, brauchen gute Geschichten einfach. In dem Moment, in dem sich eine Geschichte in Richtung Spannung bewegt, tauchen meist auch Elemente aus dem Krimi auf. Ich persönlich mag das sehr gern.

„Algorytmica“ hat mich beim Lesen an einen Klassiker erinnert: E.M. Forsters „Die Maschine steht still“ von 1909. War der Klassiker eine Inspirationsquelle? Oder gab es andere?

Da werde ich Rot vor Freude über so ein schönes Kompliment, vielen Dank! Beim Schreiben ist das ja immer so eine Sache, man erschafft seine eigene Welt, die immer inspiriert ist von tausend Dingen, die man gelesen, gesehen oder erlebt hat. Ich weiß meist vorher nicht, was am Ende rauskommt, da mich mehr Gefühl als Konstruktion leitet. Ich selbst entdecke jetzt beim Lesen viel von E.M. Forster, aber auch Orwell, „Matrix“, „Dune“, „Star Wars“ … die abgeschlossene Welt hat vielleicht auch etwas von Campus Roman, die unendlichen Möglichkeiten eine Prise „Harry Potter“?

In Ihrem Science-Fiction-Debüt sprechen Sie viele aktuelle Themen an, von Algorithmen über den Klimawandel bis hin zur virtuellen Realität. Da stelle ich mir die Recherche recht aufwendig vor …

Ich habe tatsächlich unendlich viel gelesen und recherchiert, IPCC Berichte, Coden, alles, was dazu gehört – und ich bin absolut kein Experte in diesen Themen, letztendlich aber ist das Buch eine fantastische Geschichte, und zwar bewusst. Vieles darin ist so garantiert nicht möglich, soll aber bewusst die Phantasie des Lesers anregen über das Mögliche und Unmögliche nachzudenken.

Das Holovit und seine künstlichen Welten spielen eine zentrale Rolle in „Algorytmica“ – und sind weitaus präsenter als Algorithmen. Welche Faszination geht von erweiterten oder virtuellen Realitäten aus?

Die digitalen Welten im Roman sind ja beinahe magisch: Alles ist möglich, ich kann aussehen, wie ich will, ich kann tun und lassen, was ich will. Es sind Träume, die plötzlich Wirklichkeit werden. Für den Menschen gibt es doch nichts faszinierenderes, als einen Traum wahr werden zu lassen. Die Technik ersetzt hier den Zauberstab J

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, in eine dieser Welten einzutauchen, welche wäre das?

Ein Kapitel, das es leider nicht mehr ins Buch geschafft hat, beschreibt einen Wettkampf der Coder um den Titel für die beste digitale Welt. Ein Teilnehmer kreiert eine Art Nimmerland, in dem die Menschen mit Tieren beinahe paradiesisch zusammenleben, eine Sprache sprechen und sich als große Gemeinschaft verstehen. Das wäre ein Ort, der mir sehr gut gefallen würde.

Der technische Hintergrund allein macht jedoch noch keine gute Geschichte. Mit Kaja und Liam machen Sie zwei Außenseiter*innen zu Protagonist*innen. Was macht diese zu so interessanten Held*innen?

Beide sind auf ihre Art und Weise fremd in der Welt, in der sie aufwachsen. Auch wenn Kaja zunächst zur privilegierten Oberschicht gehört. Sie spüren instinktiv, dass dieses Leben nicht richtig für sie ist. Ein Motiv das viele Menschen in der heutigen Zeit teilen: die Sehnsucht nach Ausbruch und Selbstverwirklichung. Es liegt eine unglaubliche Dynamik in den Situationen, in denen ihre Hoffnungen auf die Realität treffen. Und in diesen Momenten rückt die Geschichte sehr nah an das echte Leben.

„Algorytmica“ hat ein relativ offenes Ende. Gibt es eine Chance auf eine Rückkehr zur „Hope“, zu Kaja und Liam?

Der zweite Band wird im Herbst 2022 erscheinen. So viel sei verraten, dass viele offene Fragen beantwortet werden: Warum sind die Menschen unter der Erde gelandet? Gibt es tatsächlich Leben an der Oberfläche? Und gibt es ein Happy End für Kaja und Liam?

Vielen Dank für das Gespräch!

Vielen Dank für diese tollen Fragen, das hat sehr viel Freude gemacht.

Marion Herzog: Algorytmica • Roman • Heyne, München, 2021 • 432 Seiten • Erhältlich als Paperback und Ebook • Paperback 16,00 € (im Shop)

[bookpreview] 978-3-641-26367-6

 

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