22. Mai 2018

Karibische Science-Fiction-Magie

Rita Indianas interessanter Roman „Tentakel“

Lesezeit: 2 min.

Die 1977 geborene Rita Indiana ist eine bekannte Songwriterin, Sängerin und Autorin aus der Dominikanischen Republik, die bereits 2011 – im Jahr nach ihrem Coming-out – von der Zeitung „El País“ zu den einhundert einflussreichsten Persönlichkeiten Lateinamerikas gewählt wurde. Im Wagenbach Verlag erschien vor Kurzem ihr Science-Fiction-Roman „Tentakel“ auf Deutsch, der 2015 als „La mucama de Omicunlé“ im spanischen Original herauskam und Anfang 2019 auch auf dem englischsprachigen Markt aufschlagen wird.

Die von der ökologischen Apokalypse bedrohe Karibik spielt im Buch eine zentrale Rolle, dazu kommen Kunst, Politik, eine Geschlechtsumwandlung, Drogen, Umweltschutz, Voodoo und ein religiöser Kult um eine heilige Anemone. Die Science-Fiction-Elemente der Geschichte, die in einem konsequent weiter technisierten 2027 einsetzt, handelt Rita Indiana eher unaufgeregt ab, die Wirkung reicht jedoch aus. Wesentlich wichtiger sind ihr die Charaktere sowie die karibischen Mythen als Grundlage ihres krassen magischen Realismus – und natürlich die kritischen ökologischen, sozialen, sexuellen und politischen Aspekte.

Dabei präsentiert sich „Tentakel“ einerseits als überraschend seitenarm, andererseits als ungeheuer ideenreich, und in jedem Fall als typisches Werk der südamerikanischen Fantastik auf den häufig surrealistischen, stets transzendierenden Spuren von Jorge Luis Borges. Die Grenzen von Genres und Subgenres werden nicht nur mutig ignoriert und gekonnt verwischt, Story und Struktur des Romans werden Kapitel für Kapitel zudem immer ambitionierter und abgefahrener, bis nicht einmal mehr die Zeit und die Chronologie der Ereignisse sicher sind und man als Leser ganz genau aufpassen und mitdenken muss.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass „Tentakel“ allzu oft als Science-Fiction-Lieblingsbuch des Jahres genannt wird – dafür ist das schmale Büchlein einfach zu diffizil. Trotzdem handelt es sich bei Rita Indianas magisch-realistischer Herausforderung um einen höchst unkonventionellen, deshalb hochinteressanten Roman aus einer berüchtigten Ecke der internationalen Fantastik, zumal die Dominikanerin wirklich einiges zu sagen hat zu den unterschiedlichsten Themen, die ihre Heimat und die ganze Welt betreffen.

Rita Indiana: Tentakel • Wagenbach, Berlin 2018 • 160 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 18,00 Euro

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