Homer, Genre-Grabräuber und queere Science-Fiction
Phantastik-Comic-Neuheiten im Januar
Jacques Lobs und Georges Pichards „Odyssee“-Adaption aus den 70ern ist moderner als heutige Versuche, Jacques Lamontagne klaut schneller als sein Schatten, und eine Anthologie versammelt queere SF- und Horrorkurzgeschichten.
Jacques Lob, Georges Pichard: Odysseus
In der aktuell erscheinenden, sehr erfolgreichen französischen Konzeptreihe „Mythen der Antike“ werden selbige so bieder aufbereitet, dass sie sich als schuleinsatztauglich erwiesen haben – pädagogisch einwandfrei und nicht nur deshalb fürchterlich langweilig. Für ihren zwischen 1968 und 1974 in mehreren französischen und italienischen Magazinen veröffentlichten „Odysseus“ haben Georges Pichard und Jacques Lob – beide Pioniere des erotischen Comics in Frankreich, letzterer aber auch Autor von Druillets „Lone Sloane“ und Rochettes „Snowpiercer“; ein, nebenbei, im Vergleich zum Sleaze-Strang ratsameres Lesevergnügen – einen modernen Ansatz gewählt. Mehr Zeitgeist, und das bedeutet heute eben: mehr Zeitkapsel. Der Olymp ist ein Götterraumschiff; das irdische Treiben beobachtet man mithilfe eines Telektroskops; Zeus trinkt Afri-Cola und sieht aus wie Che Guevara im Superheldenanzug; Circes ist die Göttin der Drogen, Hermes ihr Dealer usw. usf. Kurzum: Man scheut nicht den gehobenen Unsinn, bleibt zwar an der Vorlage, aber erstarrt deswegen nicht zur Salzsäule und macht aus dem Boat Movie eine psychedelische Erholungskur im Pop-Art-Kittel. Also nix mit „Hefte raus, Klassenarbeit!“, und darum heute und erst recht heute das sachdienlichere, die Zeiten überdauernde Unterfangen.
Jacques Lob, Georges Pichard: Odysseus • Avant-Verlag, Berlin 2024 • 160 Seiten • Hardcover • € 39,00
Silence 1+2: Sci-Fi und Horror
Mit SF- und Horror-Comic-Anthologien wird man hierzulande nicht sonderlich verwöhnt, von Genre-Anthologien, die einen queeren Schwerpunkt setzen, gar nicht erst zu reden. Moom Comics heißt ein noch recht junger Kleinverlag aus Berlin, mit dem Gründer Lukasz Majcher, selbst Zeichner der Superhelden-Serie „Power Bear“, für mehr Sichtbarkeit der LGBTQI+-Community im Comic sorgen will. Die neueste Moom-Veröffentlichung versprüht viel Liebe zur Phantastik: Der Auftaktband der Anthologie „Silence“ enthält sechs Kurzgeschichten aus dem Horror- und Science-Fiction-Genre – ohne Text und paritätisch verteilt – und präsentiert mit Nikolai Solowjow, Isago Fukuda, Lefebul, Frieda Kunert, Bruno Giannori sowie Wilbert van der Steen sechs Künstler*innen aus Deutschland, England und den Niederlanden. Das führt wie immer zu einer vielgestaltige Stil- und Konzeptmischung und reicht inhaltlich von allegorischem Body Horror bis zu mitunter geradezu tröstlichen Postapokalypse-Variationen. Allesamt hervorragende Beispiele für die Kunst der Kurzgeschichte, die sich wegen des fehlenden Textes umso gewissenhafter auf die Grammatik des Comics verlassen müssen – eine Edition, die hoffentlich Schule macht.
Silence 1+2 • Moom Comics, Berlin 2024 • 144 Seiten • Softcover • € 25,00
Jacques Lamontagne, Ma Yi: Sheridan Manor Band 2
Der kanadische Künstler Jacques Lamontagne hat ein gutes Händchen dafür, wonach der frankobelgische Phantastik-Markt verlangt. Er zeichnete Istins Mystery-History „Die Druiden“ und die schelmische Grusel-Krimi-Reihe „Pik-As“. Für die Mini-Serie „Sheridan Manor“ hat er hingegen das Szenario verfasst und wildert recht unverfroren und brachial im Garten der Horrorklassiker. Da wird nicht verschämt ein Pflänzchen hie und da am Wegesrand gepflückt, sondern gleich ein ganzer Wald gerodet. Ein altes Herrenhaus im düsteren Wald, ein gewissenloser Hausherr, ein ahnungsloser Gauner mit (halbwegs) freundlichem Gemüt, eine Maid in Not, okkulte Experimente, ein Zauberbuch und eine von Dämonen bevölkerte Parallelwelt – Aberto! Schon stehen alle Türen offen für einen eklektischen Budenzauber, der die spannende Frage aufwirft, was eine KI eigentlich anders gemacht hätte. Nicht ein einziger eigener Gedanke steckt in dieser Story, die weiland für eine sarkastische EC-Kurzgeschichte genügt hätte, heute aber auf zwei Alben aufgebläht mit einem überschäumend selbstüberzeugten Ernst dem Publikum dargereicht wird, als kündeten diese Seiten vom endgültigen Gottesbeweis. Ein großer Sack voll Diebesgut für „Leute mit Niveau“ – diese Chuzpe ist nicht ohne Komik.
Jacques Lamontagne, Ma Yi: Sheridan Manor Band 2: Zurück in die Hölle • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 56 Seiten • Hardcover • € 17,00
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