Planeten-, Hauptstadt- und Literaturkunde
Phantastik-Comic-Neuheiten im Februar
War and Peas blickt gallig auf den Klimawandel, Francois Schuiten und Benoit Peeters erklären die Spuren Brüssels in den „Geheimnisvollen Städten“, und Justus Jonas versinkt im 70er-Jahre-Low-Budget-Hollywoodsumpf.
War and Peas: Liebe Erde
Das Duo War and Peas, bestehend aus Elizabeth Pich und Jonathan Kunz, macht lustige Comics. Aber hinter dem Humor steckt tiefe Verzweiflung. Jedenfalls im Gros der Strips des Sammelbands „Liebe Erde“, die die Themen Klimawandel und Natur einen. Weder pädagogischer noch pathetischer Anstrich, sondern grundsolide Desillusionierung, Lachen am Abgrund. Fragt der Wolf den Hasen: „Bist du es nicht leid, den ganzen Tag nur Karotten zu essen?“ „Bist du es nicht leid, dass die Menschen deine Nachkommen an die Leine nehmen, während sie dich jagen und dein natürliches Habitat zerstören? Und nein, Karotten sind superlecker.“ Oder die Erde, gefragt, wie es so geht, sagt ganz tiefenentspannt, wie es ist: „Ach, wird schon werden. Aber was euch betrifft…“ Dazwischen gibt es viel Raum für Naturidyllentzauberung. Den Baum macht es offensichtlich geil, wenn er vom Hund angepinkelt wird, der kranke Mond bekommt vom Arzt „Menschen“ diagnostiziert („Sie sind ziemlich gefährlich, sie bespringen ihre Opfer mit kleinen Raketen“), und die kotzende Vogelmutter fabriziert kein Abendbrot, sondern ist einfach nur besoffen. Voller Hybris und Naivität trottet der Mensch in die Szenen: „Was haben denn die Seekühe jemals für uns getan?“, wird die Seekuhretterin gefragt, und die neue Trump-Realität der Dealmaker-Kleptokratie, die die lästige Wissenschaftslogik nur noch so weit duldet, als sie ihrer Bereicherung dient, ist damit doch on point beschrieben.
War and Peas: Liebe Erde • Edition Moderne, Zürich 2025 • 112 Seiten • Klappenbroschur • € 22,00
Christopher Tauber, Marius Pawlitza: Justus Jonas
Über einen Mangel an „Die drei ???“-Comics kann man sich nicht beklagen. Beim Kosmos Verlag erscheint eine Reihe mit kindgerechten Adaptionen der klassischen Romane bzw. Hörspiele, eine weitere mit exklusiven Abenteuern für Fortgeschrittene und seit „Rocky Beach“ (2020) schließlich eine dritte, die die Wege der drei Nachwuchsermittler im Erwachsenenleben als dezente Hardboiled-Stücke nachzeichnet. „Justus Jonas“ ist der zweite Teil dieser Noir-Nostalgie, und Szenarist Christopher Tauber und Zeichner Marius Pawlitza haben sichtlich Spaß daran, den ersten Detektiv in Hollywoods Sündenpfuhl der 70er Jahre zu katapultieren. Dort kommt er mit Müh und Not als recht vergessener Kinderstar der TV-Serie „Die kleinen Strolche“ (eine von Fat Shaming und Mobbing geprägte Erinnerung) über die Runden, bis er auf einer Party die alten Schauspiel-Kolleg*innen wiedersieht und sich ihrem vermeintlichen Avantgarde-Filmkollektiv anschließt. Aber dann folgen Todesfälle unter den Beteiligten der „Strolche“-Serie, ein damit verbundener Popularitätsbooster und viele Nachforschungen im Low-Budget-Hollywood-Milieu, die von Pornosets bis zu den Büroräumen von James H. Nicholsons und Samuel Z. Arkoffs AIP-Studio reichen; dazu Vietnam-Traumata und Post-68er-Stimmung, der Backlash ist spürbar. Eher wie Plot-Silikon wirkt der 90er-Jahre-Handlungsstrang, in dem Peter Shaw und Bob Andrews auf der Suche nach dem seither untergetauchten Justus sind. Aber in den 70ern weidet man sich so schrullig am Skandal, dass für die letzte Ölung nur noch Kenneth Anger gefehlt hätte.
Christopher Tauber, Marius Pawlitza: Justus Jonas. Eine Interpretation • Kosmos, Stuttgart 2025 • 164 Seiten • Hardcover • € 25,00
Mike Alcazaren, Noel Pascual, AJ Bernardo u. a.: Death be Damned
Der kleine Dantes Verlag aus Mannheim verlegt ausschließlich Phantastik-Werke, die sein Inhaber Josua Dantes auf dem hiesigen Markt vermisst, und ist darum stets für eine Überraschung gut. So gibt es seit 2024 einen kleinen Schwerpunkt mit philippinischen Comics, der nun mit „Death be Damned“ erweitert wird. Der abgeschlossene Band ist eine Zombie-Schlachtplatte aus der Romero-Schule. Die Untoten fallen in rasender Geschwindigkeit über die Gäste einer Elite-Party im Hinterland her, einem abstoßenden Trupp aus korrupten Politiker*innen und gewissenlosen Geschäftsleuten, und unschwer ist die Zombiemeute als rasender Sturm der Subalternen konnotiert. Die schwarz-weiß-rote, krude ins Expressionistische neigende Grafik ist nicht immer leicht zu entschlüsseln, und auch die Zombieerzählung als politische Allegorie wird die nächsten Jahre aus gutem Grund erst mal nur noch als Parodie oder Genre-Hybrid funktionieren. Trotzdem ist diese Veröffentlichung – erneut sorgfältig ediert mit einem Glossar des Übersetzers Jens R. Nielsen, in dem landesspezifische Besonderheiten der Text- und Bildebene vermittelt werden – als Kennenlernangebot einer hier nahezu unbekannte Comicindustrie per se interessant und mutig.
Mike Alcazaren, Noel Pascual, AJ Bernardo u. a.: Death be Damned • Dantes Verlag, Mannheim 2025 • 236 Seiten • Softcover • € 25,00
Paul Brizzi, Gaetan Brizzi: Der Untergang des Hauses Usher
Die italienischen, in Paris arbeitenden Gebrüder Brizzi sind im Kanon der Weltliteratur zu Hause. Als Comics haben sie u. a. Balzacs „Tolldreiste Geschichten“, Cervantes‘ „Don Quijote“ und – am erfolgreichsten und optisch besonders eindrücklich – „Dantes Inferno“ verarbeitet. Sie kommen vom Animationsfilm, haben in den 90ern an großen Disney-Produktionen mitgewirkt. Diese leichtfüßige Opulenz konterkarieren sie mit Gustave Dorés stilistischer Extravaganz des Unheimlichen, und dies ist auch das augenscheinliche Charakeristikum ihrer Zeichnungen. Man hat also nur darauf gewartet, dass sie bei Edgar Allan Poes Werken angelangen. 11 Kurzgeschichten wurden für die vorliegende Sammlung mit über 100 Illustrationen versehen, die meisten ein- und doppelseitig und im für Splitter typischen übergroßen DIN A4-Format eingebunden. Nein, kein Comic, aber perfekte Illustrationskunst, die Dorés Faden wieder aufnimmt und sich bestens neben seinem „Raven“ macht.
Paul Brizzi, Gaetan Brizzi: Der Untergang des Hauses Usher und weitere außergewöhnliche Geschichten • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 256 Seiten • Hardcover • € 45,00
Francois Schuiten, Benoit Peeters: Brüssel. Der große Traum
Die Überbauung der Senne, der aus kolonialistischer Selbstbesoffenheit errichtete Justizpalast, der Abriss des Maison de peuple, die geplante Zerstörung des Märtyrerplatzes durch massive Enteignungsversuche – das Album „Brüsel“ war auch Francois Schuitens und Benoit Peeters‘ Kritik an den architektur-historischen Fehlentscheidungen der belgischen Hauptstadt. In „Brüsel“ befindet sich im Justizpalast sogar eine Übergangszone, die das kafkaeske Brüsel der „Geheimnisvollen Städte“ mit dem „realen“ Brüssel verbindet. „Entstellt, geschändet und durchsetzt mit namenlosen Bürotürmen“, und trotz alledem, schreibt Benoit Peeters im Vorwort zu „Brüsel“, „hat dieses Chaos, dieser mannigfaltige Unfug seinen Reiz. Er bleibt dem verborgen, der die Stadt eilig durchquert, und er ist offensichtlich für den, der dort wohnt.“ Das war 2008. 2023 haben Peeters und Schuiten, womöglich etwas altersmilder, mit „Brüssel“ eine Liebeserklärung folgen lassen, die nun auch bei Schreiber & Leser in der „Geheimnisvollen Städte“-Reihe erscheint. Es ist eine Bilder- und Texte-Sammlung aus verschiedenen Zeitspannen und für unterschiedliche Projekte, die als launige architekturhistorische Chronik Brüssels einerseits, als Werkschau, Materialkonvolut und Analysewerkzeug der „Geheimnisvollen Städte“ andererseits fungieren kann. Man bekommt also nicht übel Lust, sowohl durch die „Städte“-Comic-Welten als auch die Metropole Brüssel zu flanieren. Ja, wo gibt’s denn so was?
Francois Schuiten, Benoit Peeters: Brüssel. Der große Traum • Schreiber & Leser, Hamburg 2025 • 128 Seiten • Hardcover • € 29,80
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