21. Januar 2016 4 Likes 1

Neun Planeten?

Wissenschaftler entdecken Hinweise auf einen möglichen neunten Planeten jenseits der Pluto-Bahn

Lesezeit: 5 min.

Eventuell sind wir in unserem Sonnensystem doch zu neunt: Ein Planet größer als die Erde könnte jenseits der Pluto-Bahn seine Kreise um die Sonne ziehen. Direkt beobachtet wurde der mysteriöse Planet 9 bisher nicht, aber das Team um die beiden Caltech-Astronomen Michael Brown und Konstantin Batygin veröffentlichten gestern im Magazin The Astronomical Journal die bisher schlüssigsten Thesen und Simulationen in Sachen „Jagd auf Planet 9“, die vor über hundert Jahren von dem Astronom Percival Lowell eröffnet wurde. Sie kalkulierten, dass dieser Planet – von Wissenschaftlern im Laufe der Zeit auch „Goerge“, „Jehoshaphat“ oder „Planet der Affen“ genannt – etwa dreimal so groß wie die Erde sein müsste. Damit fiele er in die Kategorie „Super-Erde“ oder „Mini-Neptun“; eine Größenordnung, die es im Universum sehr häufig gibt. Solche Planeten wurden bereits um andere Sonnen entdeckt, aber in unserem eigenen Sonnensystem fehlt so ein Himmelskörper. Planet 9 ist wirklich weit, weit weg. Die Simulationen deuten darauf hin, dass er am sonnennächsten Punkt seiner Umlaufbahn – dem sogenannten Perihel – etwa 200 bis 300 Mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde, am sonnenfernsten Punkt sogar 600 bis 1200 Mal. Für eine Umkreisung um die Sonne bräuchte Planet 9 rund 20 000 Jahre, und er wäre aufgrund der riesigen Distanzen der kälteste Planet unseres Sonnensystems. Zum Vergleich: Neptun, der Planet mit der längsten bekannten Umlaufzeit, braucht 164 Jahre. Und er wurde 1846 nur entdeckt, weil Uranus, beeinflusst durch den damals noch unbekannten Neptun, von seiner normalen Umlaufbahn abwich. Die Astronomen berechneten Neptuns Masse und ungefähre Position, ehe sie ihn tatsächlich beobachten konnten. Erleben wir hier also gerade eine sich wiederholende Geschichte?
Alles begann mit der Entdeckung Sednas durch ebenjenen Michael Brown (Caltech), seinen Doktoranden Chad Trujillo vom Gemini Observatorium auf Hawaii und David Rabinowitz von der Yale University am 14. November 2003. Sie fanden heraus, dass sich das neuentdeckte Objekt auf einem extrem exzentrischen Orbit (also einer stark „gestreckten“ Ellipse) in sehr großer Distanz um die Sonne bewegt. Weil es das sonnenfernste und damit kälteste bis dahin bekannte Objekt im Sonnensystem war, beschlossen sie, es nach Sedna, der Inuit-Meeresgöttin, zu benennen, die angeblich auf dem Grund des Ozeans lebt. Sedna braucht rund 11 400 Jahre für einen Umlauf. Am sonnenfernsten Punkt (Aphel) ihrer Umlaufbahn ist Sedna 937 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, am Perihel „nur“ 76 Astronomische Einheiten, das entspricht rund 11 369 438 172 Kilometern.


Sednas Orbit (rot) im Vergleich zu Jupiter (orange), Saturn (gelb), Uranus (grün), Neptun (blau) und Pluto (lila)

Sednas seltsamer Orbit warf sofort Fragen auf, denn kein bekannter Mechanismus konnte ihn erklären. Sie ist zu weit von allen anderen Planeten entfernt, als dass zum Beispiel Neptun einen Einfluss darauf haben könnte. Man vermutete, dass Sedna vielleicht von einem vorbeiziehenden Stern beeinflusst wurde, oder dass es sich gar um einen Himmelskörper handelt, der von einem anderen Planetensystem eingefangen wurde. Oder, dass Sedna von einem großen, bis dahin unbekannten Objekt jenseits der Neptun-Bahn beeinflusst wird. Dann wäre es sehr wahrscheinlich, dass es noch weitere Objekte wie Sedna geben müsse, deren Umlaufbahn ähnlich exzentrisch ist. 2012 entdeckte das Víctor M. Blanco Telescope in Chile 2012 VP113, ein großer Objekt auf einer sednaähnlichen Umlaufbahn, für die es 4 200 Jahre braucht. Am sonnennächsten Punkt befindet sich VP113 noch weiter als Sedna von der Sonne entfernt. Chad Trujillo und sein Kollege Scott Sheppard begannen daraufhin mit der Untersuchung von 13 weiteren Objekten aus dem Kuiper-Gürtel, deren Umlaufbahnen sich signifikant ähnelten. Um diese Ähnlichkeit zu erklären, schlugen sie 2014 die Existenz eines neunten Planeten vor, der in etwa auf der Ebene der Ekliptik (in der sich die restlichen Planeten unseres Sonnensystems befinden) sein und zwischen zwei und fünfzehn Erdmassen haben müsste.


Die untersuchten Kuiper-Gürtel-Objekte (lila) und der hypothetische neunte Planet (gelb)

Das wiederum rief Trujillos Doktorvater Micheal Brown auf den Plan. Er hielt die Existenz eines weiteren Planeten für unwahrscheinlich, war jedoch interessiert und trug die Idee seinem Kollegen Konstantin Batygin vor. Sie erstellten Simulationen vom äußeren Sonnensystem und versuchten, die beobachteten Verhaltensweisen künstlich zu generieren. Die beiden nahmen sich die sechs am weitesten von der Sonne entfernten Objekte aus Trujillos und Sheppards Studie vor (Sedna, 2012 VP113 und die Objekte 2007 TG422, 2004 VN112, 2013 RF98 und 2012 GB174). Schnell wurde klar, dass alle auf elliptischen Umlaufbahnen kreisten, die gewissermaßen in dieselbe Richtung zeigten und alle um etwa 30 Grad nach „oben“ oder „unten“ aus der Ekliptik heraus geneigt sind. Wie kamen diese Orbits zustande? Reiner Zufall? Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt Brown und Batygin zufolge nur 0,007%. Auch gravitative Auswirkungen durch andere große Kuiper-Gürtel-Objekte konnten in den Simulationen ausgeschlossen werden. Also fügten Brown und Batygin ihrem Modell einen neunten Planeten hinzu und veränderten Umlaufbahn und Masse so lange, bis die Simulation zur Realität passte. Das Ergebnis: Ein neunter Planet auf einer sehr exzentrischen, also „ei-förmigen“ Umlaufbahn in etwa auf der Ebene der Ekliptik, der die Beobachtungen von Sedna, VP113 und der anderen Kuiper-Gürtel-Objekte erklärt.

Doch die richtig große Überraschung kam erst noch. Browns und Batygins Modell sagt die Existenz von Objekten vorher, deren Umlaufbahn senkrecht zur der von Planet 9 stehen. Bisher sind fünf solcher Objekte bekannt, deren Orbits man sich jedoch bislang nicht erklären konnte. „Das war der Punkt, an dem wir aufgehört haben, über unsere eigenen Ergebnisse zu lachen“, sagte Batygin dem National Geographic. Planet 9 würde nicht nur zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sondern auch gleich noch eine dritte Fliege, von der man bisher nicht wusste, dass sie da ist, erlegen.


Kuiper-Gürtel-Objekte (lila), Planet 9 (gelb) und die senkrecht dazu stehenden Orbits weiterer Objekte aus dem Kuiper-Gürtel (blau)

Batygin und Brown vermuten, dass sich Planet 9 einst sehr viel näher an der Sonne gebildet hat, aber bereits kurz danach ins äußere Sonnensystem geschleudert wurde, vermutlich von der Gravitation Jupiters. Damals, vor rund 4,5 Milliarden Jahren, war die Sonne noch tiefer in dem Sternencluster, in dem sie entstanden ist, und die sie umgebenden Sonnen hätten Planet 9 in einer Umlaufbahn um die Sonne gehalten. Diese Theorie ist jedoch sehr umstritten.

Wenn es einen neunten Planeten jenseits der Pluto-Bahn gäbe, wäre er sehr, sehr dunkel – kein Wunder also, dass man ihn bisher noch nicht beobachtet hat. Greg Laughlin von der University of California in Santa Cruz erklärte, dass Pluto etwa 10 000 Mal heller sein müsste als Planet 9, und Pluto wurde, unter anderem auch wegen seiner geringen Größe und Albedo, erst 1930 entdeckt. Planet 9 würde vermutlich auch nur extrem wenig Sonnenlicht zurückstrahlen, und auch seine Hitzesignatur würde nicht von den Messinstrumenten, die uns derzeit zur Verfügung stehen, entdeckt werden. So ist es gut möglich, dass selbst ein relativ großer Planet sehr lange unentdeckt bliebe. Astronomen auf der Suche nach Planet 9 bräuchten nicht nur extrem leistungsstarke Teleskope, sie müssten auch noch genau wissen, wo sie die dunkle Nadel im galaktischen Heuhaufen zu suchen hätten. Nichtsdestotrotz hoffen Brown und Batygin – und wir mit ihnen –, dass Planet 9 bald durch Teleskope entdeckt wird. Es wäre das die astronomische Sensation des Jahrhunderts!

Quelle/Bilder: Caltech

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Jetzt wirds aber echt spannend.

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