7. März 2017 2 Likes

Die Geschichte einer Wandlung

Frühwerk der modernen literarischen Transsexualität: „Fundvogel“ von Hanns Heinz Ewers

Lesezeit: 2 min.

„Fundvogel“ erzählt die Geschichte von Andrea Woyland, die auf einem Schloss bei Kleeve am Rhein aufwächst, wo man ihr den Spitznamen Fundvogel verpasst. Anfang des 20. Jahrhunderts legt Andrea eine weite Reise zurück und wird am Ende zu Andreas Woyland. Unterwegs geht es um die Falknerei und die Beiz, unerfüllte Liebe, eine Vergewaltigung, versuchten Selbstmord, Homosexualität, Europa, England und Amerika vor und nach dem Ersten Weltkrieg sowie das Jet-Setting in den 20er-Jahren – und um Transsexualität und die revolutionäre operative Geschlechtsumwandlung einer Frau in einen Mann.

Was nach einem ungewöhnlichen, krassen und vielleicht sogar etwas reißerischen historischen Roman klingt, war und ist in Wahrheit ein erstmals 1928 veröffentlichtes Buch des deutschen Schriftstellers und Globetrotters Hanns Heinz Ewers (1871–1943). Der verfasste auch erfolgreiche fantastische Werke wie „Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens“ und „Der Zauberlehrling“; 1934 bekam Ewers, dessen Bücher zum Skandalösen neigten, von den Nazis dann ein generelles Publikationsverbot erteilt.

Im Kleinverlag MetaGIS Books wurde „Fundvogel“, dessen Verfilmung 1930 zu einer von vielen schmerzhaften, frustrierenden Erfahrungen für den literarischen Grenzgänger, Provokateur und Pionier Ewers wurde, nun neu aufgelegt. Das Cover des Paperbacks stammt von Maran Alsdorf, die den Roman über freie Sexualität obendrein an die Regeln der neuen Rechtschreibung anpasste. Rhythmus und Struktur der gehaltvollen, vielseitigen Story, für die Ewers intensiv in Berliner Kliniken und Instituten recherchierte, sind aus heutiger Sicht sicherlich eigen. Doch die gedankliche und inhaltliche Fortschrittlichkeit – um nicht zu sagen: die beeindruckende Modernität – überraschen und faszinieren angesichts des Entstehungsjahres und des Themas über Gebühr. Umso mehr, wenn man bedenkt, wie aktuell und wichtig die Frage nach der sexuellen Freiheit und Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft und nicht zuletzt in ihrem zukunftsgewandten Zerrspiegel, der Science-Fiction, ist.

Die ungekürzte Neuausgabe von „Fundvogel. Geschichte einer Wandlung“ enthält noch ein Vorwort von Szenekenner und Kurd-Laßwitz-Preis-Gewinner Horst Illmer, der den Roman zeitlich einordnet, eine Ewers-Biografie und einen Anhang mit einem Glossar aus dem Sprachgebrauch gefallener Begriffe, den Übersetzungen fremdsprachiger Textstellen und Infos zu historischen Persönlichkeiten.

Hanns Heinz Ewers: Fundvogel. Geschichte einer Wandlung • MetaGIS Books, Mannheim 2016 • 460 Seiten • Paperback: 17,80 Euro

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