21. Februar 2018 3 Likes

Bilder eines denkenden Planeten

Andrej Tarkowskijs Filmkunstwerk „Solaris“ geht der Frage nach, was Menschsein bedeuten kann

Lesezeit: 4 min.

In der elften Klasse nahm unsere Geschichtslehrerin uns mit ins Programmkino um die Ecke, um uns „einen ganz besonderen Film“ zu zeigen. Es war keine Pflichtveranstaltung, also kamen neben mir nur ein paar andere Interessierte mit. Was ich dann sah, hat mich bis heute nicht verlassen, obwohl ich damals es beileibe nicht verstanden habe: Ich sah einen Film von Andrej Tarkowskij.

Ingmar Bergman hat einmal gesagt: „Die Entdeckung der ersten Tarkowskij-Filme war für mich ein Wunder. Plötzlich stand ich vor der Tür zu einem Zimmer, für das ich bisher keinen Schlüssel hatte. Zu einem Zimmer, von dem ich nur träumen konnte, es einmal zu betreten, während er sich dort ganz leicht bewegt. Ich fühlte mich unterstützt und ermuntert: Irgendjemand konnte bereits ausdrücken, wovon zu sprechen ich immer geträumt hatte, aber nicht wusste, wie. Tarkowskij ist für mich der Größte, weil er dem Kino eine neue, besondere Sprache gegeben hat, die es ihm erlaubt, das Leben als Vision, als ein Traumbild zu erfassen.“

Solaris
Andrej Tarkowskij: Solaris (1972) – Eingangssequenz

Es gibt Filme, die bleiben bei einem, so wie man auch bestimmte Träume nicht vergisst. Genauso geht es mir mit Tarkowskij-Filmen, allen voran Solaris (1972), seiner Verfilmung des gleichnamigen Romans von Stanisłam Lem. Solaris ist einer der ganz großen Filmklassiker, der zwar einen Genreroman als Ausgangspunkt hat, in seiner künstlerischen Umsetzung aber auch über die Science-Fiction hinausweist.

Der Film erzählt die Geschichte des Psychologen Kris Kelvin, den man zu einer Raumstation schickt, die um den Planeten Solaris kreist. Auf der Station passieren seltsame Dinge, die Astronauten werden verrückt, heißt es, und auch eine Forschungskommission konnte die Vorgänge nicht vollständig aufklären. Kelvin trifft auf der Raumstation ein und trifft auf ein Bild des Chaos und der Verwahrlosung. Der Forscher, auf dessen Bitte Kelvin hierhergekommen ist, hat sich inzwischen umgebracht, und auch die anderen Stationsbewohner scheinen den Verstand verloren zu haben.

Solaris
Kris Kelvin (Donatas Banionis) und Harey (Natalja Bondartschuk)

Der Planet selbst besteht aus einem einzigen Ozean, auf dessen Oberfläche sich unablässig Formen bilden und wieder zerfallen. Einige Piloten, die über Solaris hinweggeflogen sind, wollen sogar erkennbare Gestalten ausgemacht haben – den Körper eines Kindes etwa, oder ganze Gebäude. Nach seiner Ankunft auf der Station bemerkt Kelvin die unerklärliche Anwesenheit von zusätzlichen Personen, bis er eines Morgens aufwacht und neben sich seine vor Jahren verstorbene Frau Harey findet – scheinbar lebendig. Irgendwann entdecken Kelvin und Snaut, der Kybernetiker, dass diese „Gäste“ nichts anderes als Projektionen von Solaris sind, mit denen der Ozean die tiefsten Ängste und Sehnsüchte der Menschen sichtbar macht. Diese Konfrontation mit dem Unbewussten ist es, die die Forscher der Station langsam, aber sicher in den Wahnsinn zu treiben droht.

Solaris
Kris Kelvin auf der Solaris-Station

Hatte Lems Roman noch die Unmöglichkeit der Kommunikation mit dem Alien, dem Anderen an sich, thematisiert, so legte Tarkowksij in seiner Verfilmung einen anderen Schwerpunkt: „Vielleicht hat Kelvins Mission auf Solaris in Wirklichkeit nur ein Ziel: zu zeigen, dass die Liebe des anderen unabdingbar für alles Leben ist. Ein Mensch ohne Liebe ist kein Mensch. Das Ziel der ganzen ‚Solaristik‘ ist zu zeigen, dass Menschsein Liebe sein muss.“

Man darf meines Erachtens einen Tarkowskij-Film nicht nach unseren heutigen, vom Hollywood-Unterhaltungskino geprägten Maßstäben beurteilen. Besser, wenn man sich seinen Filmen als einer neuartigen Erfahrung nähert, in die man sich einerseits hineinbegibt, die einen andererseits aber auch mitnimmt und „etwas mit einem macht“. Gerade die Rätselhaftigkeit von Tarkowskijs Inszenierung – die langen Naturbetrachtungen, Traumsequenzen oder die labyrinthischen Kamerafahrten durch gleichsam weglose Räume – hat eigentlich nichts Verschlossenes. Im Gegenteil, diese Inszenierungsweise eröffnet überhaupt erst das Bild, das Lem in seinem Roman entwickelt hat.

Solaris
Solaris, der denkende Planet …

Tarkowskij selbst war ein entschiedener Gegner jeglicher Symbolik: „Interpretieren kann man nur ein Symbol, nicht aber ein Bild. Ein Symbol kann man dechiffrieren, einen bestimmten Sinn daraus ableiten. Ein Bild dagegen können wir nicht verstehen, sondern nur betrachten und annehmen. Denn es bietet unendlich viele Interpretationsmöglichkeiten an, zeigt unendlich viele Brücken zur Welt, zum Absoluten, zur Unendlichkeit.“

Zeit seines Lebens wurde Andrej Tarkowskij, der in der Sowjetunion unter schwierigen Bedingen arbeiten musste, für seine künstlerisch ambitionierten Filme kritisiert. Noch 1983 wurde vonseiten der Filmfunktionäre versucht, die Verleihung der Goldenen Palme für Tarkowskijs Film Nostalghia zu verhindern. Das führte dazu, dass er nach Paris ins Exil ging, wo er 1986 starb.

Solaris - Andrej Tarkowskij
Andrej Tarkowskij (an der Kamera) bei den Dreharbeiten zu Solaris

Jean-Paul Sartres Worte über Tarkowskij, seine Filme und seine Bedeutung sind ein wunderbares Schlusswort: „Nicht der Goldene Löwe sollte die wahre Belohnung für Tarkowskij sein, sondern das Interesse, und sei es polemisch, das sein Film bei denen auslöst, die gemeinsam für die Befreiung des Menschen und gegen den Krieg kämpfen.“ Darum machen Sie sich selbst ein Bild von der Größe dieses Films. Schauen Sie sich unbedingt Solaris an!

Solaris (1972, Mosfilm) ∙ Regie: Andrej Tarkowskij ∙ Drehbuch: Andrej Tarkowskij und Friedrich Gorenstein, nach Motiven des Romans „Solaris“ von Stanisłam Lem ∙ Kamera: Vadim Jussow ∙ Mit Donatas Banionis, Natalja Bondartschuk, Jurij Jarvet u.a.

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