3. Juli 2018

Follow the Goddess

Verstörend, faszinierend und voller verschenktem Potenzial: Das Horror-Game „Agony“

Lesezeit: 5 min.

Schon nach den ersten konkreteren Szenen im Vorfeld seiner Veröffentlichung, durfte sich Agony in die Riege der hoffnungsvollsten Horrortitel dieser Dekade einreihen. Angelegt als Trip durch die Tiefen der Hölle aus der Egoperspektive, in der wir – ähnlich wie bei der Outlast-Reihe - ohne jede Waffe nur auf unser Geschick beim Verstecken oder Austricksen unserer dämonischen Widersacher vertrauen können, sorgte das von Madmind umgesetzte Konzept mit jedem neuen Artwork oder Trailer für offene Münder.

Mit seinen deutlichen Referenzen an die düster verstörende Kunst eines Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel und seiner konsequenten Drastik bei der Umsetzung kontroverser Themen wie Sex und Kindsmord, schlug der hier explizit zelebrierte und höchst bizarre Survival-Horror völlig andere Töne als Resident Evil, Silent Hill und The Evil Within an und ließ vermeintlich vergleichbare Visionen der Hölle wie das vor einigen Jahren erschienene Dante´s Inferno wie einen ungewöhnlichen, aber eigentlich doch ganz netten Kindergeburtstag aussehen.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Trotz dieser herausragenden Startvoraussetzungen, blieb das nun für PS4, Xbox One und PC veröffentlichte Endergebnis leider hinter den Erwartungen zurück, ohne allerdings zum kompletten (von manchen Kritikern als solches schon abgestempelten) Fiasko zu verkommen. Der sprichwörtliche Hase im Pfeffer liegt in den zu hohen (Selbst-)Erwartungen der Entwickler, die sie leider sowohl bei Storytelling wie Gameplay nicht ganz einhalten konnten. Dass dazu auch die Technik dem schaurigen Erlebnis immer wieder die Beine wegzieht, obwohl mehrere Patches die Performance immerhin schon deutlich verbessert haben, sollte der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben.

Zu Beginn unseres Höllentrips wird unser bis kurz vor Ende lange Zeit namenlose Avatar in einer beeindruckend stimmungsvollen Introsequenz in den tiefsten Schlund der Hölle katapultiert, aus dem er als verlorene Seele einen Ausweg zurück ins Leben finden muss. Dabei soll ihm die legendäre Red Goddess behilflich sein, die in der Hölle ein grausam erotisches und in ihren Motivationen nicht ganz durchschaubares Regiment führt. Warum sie uns helfen sollte und wie wir mit ihr näher in Verbindung stehen, entpuppt sich im Verlauf der gut 6-stündigen Spielzeit, die unser Avatar bis auf besagtes Intro stets schweigend und damit ziemlich emotionslos über sich ergehen lässt.

Auf unserem Weg durch die einzelnen Höllenkreise sind wir darauf angewiesen, den umherstreifenden Feinden auszuweichen, uns in meist vorgegebenen Löchern zu verstecken oder mittels Luftanhalten nicht ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Mit überall verteilten Fackeln setzen wir Gestrüpp oder Holztüren in Brand, um in den schlecht beleuchteten Labyrinthen neue Wege freizulegen und Geheimnisse zu lüften. Die meisten Areale verlangen aber die Öffnung eines Tores, das wir nur mithilfe von zuvor entdeckten Symbolen aufbekommen. So weit, so konventionell.

Da uns die meisten Gegner speziell in der ersten Hälfte trotz kleinerer Skill-Verbesserungen (dazu sammeln wir an Vaginas erinnernde Äpfel!) schon mit einem Kontakt töten, muss unser Vorgehen immer sehr vorsichtig vonstatten gehen. Manchmal müssen auch Opfergaben auf Waagschalen gelegt oder geheime Wege mithilfe zuvor betrachteter Gemälde freigelegt werden, doch im Grundsatz werden wir in den verwinkelten Gebieten fast immer darauf reduziert, Feinde zu umgehen und Wege zu finden.

Gelingt uns dies nicht, versetzt uns Agony allerdings nicht sofort zu einem der spärlichen Rücksetzpunkte, sondern lässt uns noch eine Chance: Denn unsere Seele verlässt nach Feindkontakt den jeweils aktuellen Körper und wir können innerhalb eines knappen Zeitlimits einen neuen „beseelen“; genügend Verdammte gibt es in der Hölle schließlich genug. Diesem Feature kommt sogar eine strategische Komponente zu, da wir öfter nur so gefährliche Situationen überstehen können. Da Agony – etwas überraschend – sogar mit einigen waschechten Bosskämpfen (bzw. Bosskonfrontationen) aufwartet, gilt es gerade die mit unseren spärlichen Fähigkeiten besonders konzentriert anzugehen, um nicht als Seelenfutter zu enden.

Ganz fair ist das Gameplay dabei allerdings nicht. Während man die Endbosse in ihrem klar definierten Territorium zumindest in ihren Aktionen einschätzen kann, nerven normale Gegner mit unvorhersehbaren Laufwegen und übersensiblen Reaktionen. Frust ist da leider zu leicht absehbar und da wir häufig trotz manuell einsetzbarem Wegmarker nicht so recht erkennen können, wie es jetzt wo genau und mit welchen Optionen weitergeht, strapaziert der Titel unsere Motivation leider gehörig. Auch wenn es zum Setting passt und das Gefühl einer bedrückenden Isolation so gameplaytechnisch unterfüttert wird – eine bessere Balance wäre zwingend notwendig gewesen! Von mehr spielerischer Abwechslung ganz zu schweigen.

Dazu passt leider die seltsame Teilnahmslosigkeit des Protagonisten. Wie bei so vielen Games, die dem Irrglauben folgen, ein stummer Avatar würde die Identifikation des Spielers erhöhen, bleibt unsere Figur selbst in den krassesten Situationen vollkommen still. Dieses Verhalten färbt auch auf die meisten NPCs ab, die zwar mit eigentlich guten Sprechern wortreich über ihr Leid und die ewige Verdammnis klagen, jedoch nur selten ihr Lamento glaubhaft verkörpern. Im Ergebnis entsteht so eine seltsame Diskrepanz zwischen Spielwelt und Erzählung, die man locker mit mehr Emotion hätte füllen können. Auf der Habenseite verbuchen wir aber die mehreren ziemlich unterschiedlichen Endings, die Agony einen jeweils ganz eigenen Twist spendieren, sowie einige zusätzliche, jedoch nicht wirklich abendfüllende Spielmodi neben der eigentlichen Storykampagne.

Auch die schon angedeuteten Technikmängel drücken den Spielspaß. Tearing und Slowdowns (zumindest in der von uns getesteten PS4-Version) waren ebenso ein ständiger Begleiter wie nicht nachvollziehbare Skript- und Programmierfehler, die zum Beispiel dazu führen, dass wir mit unserer Figur an unsichtbaren „Kanten“ hängenbleiben. Schade.

Im Gegensatz dazu steht allerdings ein Spielwelt-Design, wie es bezogen auf seine Thematik kaum imposanter sein könnte. Immer wieder bleibt man in einer Kombination aus Ekel und Faszination stehen, um sich diese malerische und glaubhaft organische Vision des Höllenschlunds genauer anzusehen und auf sich wirken zu lassen. Das mag zwar oft bei einigen sexuell expliziten Szenen grenzwertig sein; jedoch werden zartbesaitete Spieler ohnehin einen großen Bogen um Agony machen und sich gar nicht lange mit Fragen wie dem etwas zweifelhaften Umgang mit Weiblichkeit oder der Interpretation religiöser Motivik auseinandersetzen.

Fazit

Was für ein Alptraum! Dieser Satz passt im Fall von Madminds Agony wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge; drückt er doch positiv wie negativ aus, was diesen Survival-Horror-Trip ausmacht. Positiv gewendet entwirft Agony das künstlerischste und irgendwie fesselndste Konzept der ewigen Verdammnis und geht bei seinem thematischen Umgang keine Kompromisse ein. Dieser sehr hohen Ambition stehen eine nicht ganz reibungslose Technik, ein wiederholungslastiges (sowie nicht immer ganz faires) Gameplay und ein leider zu passiver Protagonist entgegen.

Aber egal, wie man zu den Mängeln steht: Wer sich auf einen in seiner Grenzwertigkeit letztlich sehr spannenden sowie in Sachen Artdesign regelrecht innovativen Titel einlassen möchte, sollte sich auf PS4, Xbox One und PC auf die Suche nach der Red Goddess begeben.

Agony • Madmind Studio • Survival-Horror

Abb. © Madmind Studio

 

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