13. Juli 2018 5 Likes

Erinnerungen eines Sonnenmörders

Eine erste Teaser-Leseprobe aus Christopher Ruocchios großem Epos „Das Imperium der Stille“

Lesezeit: 4 min.

Christopher-Ruocchio-Countdown

In den großen Epen der Literaturgeschichte zeichnen sich die Helden nicht nur durch ihre herausragenden Fähigkeiten und durch ihre Taten aus. Mindestens genauso wichtig für einen wahren, epischen Helden ist sein Gegenspieler. Was wäre Gilgamesch ohne Enkidu, Achilles ohne Hektor, Siegfried ohne den Drachen oder Cicero ohne Catilina, nicht zu vergessen Luke Skywalker ohne Darth Vader? Oder Roadrunner ohne den Koyoten?

Christopher Ruocchio: Das Imperium der StilleChristopher Ruocchio gelingt es in seinem großen Science-Fiction-Epos „Das Imperium der Stille“ (im Shop), mit seiner Hauptfigur Hadrian Marlowe beides – den Helden und seinen Widersacher – in einer Gestalt zu vereinen. Mit Hadrian hat er einen Protagonisten erschaffen, den man so schnell nicht wieder vergisst. Aber hört selbst – denn Hadrian Marlowe, der berüchtigte „Sonnenfresser“, größter Held und Schurke der Galaxie, erzählt seine eigene Geschichte:
 

Leseprobe
 

Licht.

Das Licht der gemordeten Sonne verbrennt mich noch immer. Ich sehe es durch die Augenlider, wie es an jenem blutigen Tag hell lodernd aus der Geschichte herausbrannte und unbeschreibliche Feuer erahnen ließ. Es wirkte wie etwas Heiliges, als sei es das Licht aus Gottes eigenem Himmel, das die Welt verschlang und dabei Milliarden Leben mit sich riss. Dieses Licht trage ich immer in mir, eingebrannt in die Winkel meines Bewusstseins. Ich will mich für das, was ich tat, weder entschuldigen noch herausreden oder es gar leugnen. Ich weiß, was ich bin.

Die Scholastiker würden vielleicht ganz am Anfang beginnen, bei unseren entfernten Vorfahren, die sich in ihren wackligen Raumschiffen von der Alten Erde aus auf den Weg machten und in mehreren großen Peregrinationen zu neuen, lebenden Welten aufbrachen. Aber nein. Das würde mehr Bände füllen und mehr Tinte kosten, als meine großzügigen Gastgeber mir überlassen haben, und davon abgesehen hätte selbst ich, der mehr Zeit hat als jeder andere, dazu nicht genügend Jahre.

Sollte ich dann also eine Chronik des Kriegs verfassen? Damit beginnen, wie die außerirdischen Cielcin aus den Weiten der Galaxie über uns herfielen, mit Raumschiffen wie Schlössern aus Eis? Die Geschichten dieser Schlachten und die Zahl der Toten sind anderswo zu finden und zu lesen. Reine Statistik. Doch selbst wenn man sie im Kontext betrachtet, lässt sich nicht wirklich vergegenwärtigen, was dieser Krieg gekostet hat. Wie viele Städte dem Erdboden gleichgemacht und wie viele Planeten verbrannt wurden. Wie viele Milliarden unseres Volks aus ihren Welten herausgerissen wurden, um diesen Bleichling-Ungeheuern als Nahrung und Sklaven zu dienen. Familien so alt wie Imperien vergingen in Licht und Feuer. Zahllose Geschichten dieser Art gäbe es, doch so viele es auch sein mögen, auch sie sind nicht genug. Das Imperium hat seine offizielle Version der Ereignisse, und sie endet mit meiner Hinrichtung, wenn Hadrian Marlowe vor den Augen der ganzen Welt am Galgen baumeln wird.

Ich zweifle nicht, dass dieser dicke Band in dem Archiv, in dem ich ihn zurückgelassen habe, lediglich Staub ansetzen wird, eines von Milliarden Manuskripten auf Colchis. Vergessen. Vielleicht ist es auch gut so. Die Welten haben genug von Tyrannen, Mördern und der Vernichtung ganzer Völker gehört.

Aber ihr werdet weiterlesen, denn die Vorstellung, in die Gedanken eines solchen Monsters einzutauchen, wie es aus meinem Bild erschaffen wurde, ist viel zu verlockend. Ihr werdet nicht zulassen, dass man mich vergisst, denn ihr wollt wissen, wie es war, an Bord dieses unmöglichen Schiffs zu stehen und einem Stern das Herz herauszureißen. Ihr wollt wissen, wie sich die Hitze zweier brennender Zivilisationen anfühlt, und ihr wollt dem Drachen begegnen, dem Teufel, der den Namen trägt, den mir mein Vater gab.

Also wollen wir uns nicht mit der Geschichte aufhalten, und auch nicht mit der Politik und dem Stechschritt der Imperien. Vergesst die Anfänge der Menschheit im Feuer und der Asche der Alten Erde und ignoriert die Cielcin, die sich aus Kälte und von Dunkelheit erhoben. All das wurde anderswo in allen Sprachen der Menschheit und ihrer Untertanen festgehalten. Begeben wir uns an den einzigen Anfang, der wahrlich mir gehört: an den Anfang meines Lebens. Geboren als der älteste Sohn und Erbe von Alistair Marlowe, Archon der Meidua-Präfektur, Schlächter von Linon und Herr von Devil’s Rest.

Wahrlich kein Ort für ein Kind, jener Palast aus dunklem Stein, doch eben nun einmal das Heim, in dem ich aufwuchs, umringt von den Logotheten und bewaffneten Peltasten, die im Dienst meines Vaters standen. Aber mein Vater wollte niemals ein Kind. Er wollte einen Erben, jemanden, der den Anspruch auf seinen Teil des Imperiums verteidigen und sein Werk in seinem Sinne fortführen würde. Er wollte keinen Menschen, sondern den Fortbestand unserer Familie. Er taufte mich auf den uralten Namen Hadrian, dem weiter keine Bedeutung innewohnte außer der Erinnerung an jene Männer, die ihn vor mir getragen hatten. Der Name eines Kaisers, ideal für Menschen, die regieren und denen man folgt.

Namen bergen eine gewisse Gefahr. Sie prägen uns von Beginn an, zum Guten oder zum Schlechten, führen uns in eine bestimmte Richtung oder fordern unseren Widerspruchsgeist heraus. Ich hatte ein langes Leben, länger als die genetischen Optimierungsmaßnahmen der Fürstenhäuser es gewähren können, und ich hatte viele Namen. Während des Kriegs war ich Hadrian der Halbsterbliche und Hadrian Ohnetod. Nach dem Krieg war ich der Sonnenfresser. Die armen Menschen von Borosevo kannten mich als einen Myrmidon namens Had. Für die Jaddi war ich Al Neroblis. Für die Cielcin Oimn Belu und Schlimmeres. Ich bin vieles gewesen: Soldat und Diener, Hauptmann und Gefangener, Zauberer und Gelehrter, auch einmal kaum mehr als ein Sklave.

Aber bevor ich all das wurde, war ich zunächst einmal ein Sohn.

*
 

Der Countdown zu Hadrian Marlowes Auftritt im deutschen Buchhandel läuft …

Christopher Ruocchio: Das Imperium der Stille ∙ Originaltitel: Empire of Silence (Sun Eater Cycle) ∙ Aus dem Amerikanischen von Kirsten Borchardt ∙ ca. 992 Seiten ∙ Wilhelm Heyne Verlag ∙ E-Book: 13,99 € (im Shop) ∙ erscheint am 08.10.2018

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