Erschütternd gut
Fantastische, preisgekrönte Endzeit: N. K. Jemisins „Zerrissene Erde“
2015 veröffentlichte die vielfach ausgezeichnete US-Autorin N. K. Jemisin ihren Roman „The Fifth Season“, der 2016 mit dem Hugo Award prämiert wurde. Im amerikanischen Original ist die dazugehörige Trilogie – Band zwei „The Obelisk Gate“ gewann im Folgejahr gleich wieder den Hugo, Band drei „The Stone Sky“ den Nebula und den Locus Award – seit Mitte 2017 abgeschlossen, weshalb man sich als deutschsprachiger Fantastik-Enthusiast langsam schon Sorgen machen musste, dass einem Jemisins preisgekrönter, viel gerühmter New York Times-Bestseller womöglich verwehrt bleiben könnte. Glücklicherweise ist im neu strukturierten Fantasy- und Science-Fiction-Programm von Knaur „The Fifth Season“ nun als „Zerrissene Erde“ in der Übersetzung von Susanne Gerold auf Deutsch erschienen – und wird allen Erwartungen gerecht.
Der Roman der 1972 geborenen Jemisin, die Psychologie und Pädagogik studierte, setzt in einer Welt ein, die eine fünfte Jahreszeit kennt: Die endzeitliche Fünftzeit, die z. B. durch ein heftiges, den einzelnen Kontinent des Planeten zeichnendes Erdbeben ausgelöst werden kann. Hinter der Welt, in deren Innerem der zornige Vater Erde brodelt, liegen bereits einige verhängnisvolle Fünftzeiten, die ganze Zivilisationen auslöschten, weshalb man immer wieder über die Artefakte so genannter Tot-Zivs stolpert. Eine Fünftzeit muss allerdings nicht zwangsläufig natürlichen Ursprungs sein. Denn in Jemisins Science-Fantasy-Szenario haben einige Menschen von Geburt an die Macht, die Kraft der Erde anzuzapfen und zu manipulieren – eine Macht, die auf ihre Gefühle reagiert und die sie unter Umständen auch mit der Lebensenergie anderer speisen können.
Wenn sie Pech haben, werden die so genannten Orogenen – abwertend Rogga – in jungen Jahren verfolgt und getötet; wenn sie auf andere Weise Pech haben, erwartet sie im gefürchteten Fulcrum-Orden in der imperialen Hauptstadt eine strenge, harte Ausbildung, damit sie der Welt, die sie so sehr hasst, zumindest dienen können, indem sie Erdbeben und Vulkanausbrüche in Schach halten und andere Wunder bewirken. Die ziemlich mächtige Essun hat aufgrund ihrer Gabe schon viel gesehen und mehrere einschneidende Neuanfänge hinter sich. Zu Beginn des Romans lebt sie zurückgezogen und unerkannt in einer kleinen Gem, einer sicheren dörflichen Gemeinschaft. Als die nächste Fünftzeit beginnt, hält Essuns Mann ihren kleinen Sohn, der die Fähigkeiten seiner Mutter geerbt hat, für den Auslöser, bringt ihn um und verschwindet mit der gemeinsamen Tochter. Essun verfolgt sie durch die neue Endzeit, die Ascheregen, seltsame Reisegefährten und anderes mit sich bringt …
„Zerrissene Erde“, dessen Grundidee 2009 auf einer NASA-Veranstaltung für Medienleute und Science-Fiction-Autoren geboren wurde, ist jedoch viel mehr als eine packende Endzeit-Geschichte. Die Jagd nach Essuns Mann nimmt vielleicht ein Drittel des Buches ein. Darüber hinaus beschreibt Jemisin die Tätigkeit, den Werdegang, die Erfahrungen und das Schicksal der Orogenen, was genauso viel Spannung und Klasse hat. Der Genre-Mix begeistert zudem jederzeit mit seiner sprachlichen Stilsicherheit und seinen reizvollen Perspektiven (für Essun z. B. nutzt Jesimin die eher selten verwendete ‚Du-Perspektive’). Sexismus und Rassismus arbeitet die u. a. von John Scalzi (im Shop) gepriesene Amerikanerin quasi nebenbei so nonchalant ab, wie sie für Diversity sorgt, und das Wort Magie wird kein einziges Mal gebraucht. Dafür finden sich in ihrem unverbrauchten Setting allerhand moderne Wissenschaften, allerhand moderne Ansätze bei der Ausgestaltung der Bewohner, die im Übrigen nicht alle menschlich sind. Das erschüttert die Konventionen des Genres, rüttelt die Langeweile des fantastischen Klassendenkens durch und lässt die Konkurrenz erzittern. Klar, dass man da als Leser vor Begeisterung bebt.
Wenn man auf kreative Kategorisierungen und bombastische Blurbs steht, könnte man es auch so umschreiben: N. K. Jemisins „Zerrissene Erde“ liest sich, als hätte jemand wie Patrick Rothfuss einen Roman über die X-Men geschrieben, die vor allem seismischen Kräfte haben in einer Fantasy-Welt, die durch gewaltige Erdbeben von Endzeit zu Endzeit katapultiert wird. Aber so was hat „Zerrissene Erde“ gar nicht nötig. Jetzt muss Knaur in der nächsten Programmvorschau nur noch die Fortsetzung zum besten und frischsten Genre-Romane des Jahres ankündigen, und alles ist gut. Das Zittern geht also weiter …
N. K. Jemisin: Zerrissene Erde • Knaur, München 2018 • 494 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 14,99 Euro
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