6. August 2018 2 Likes

Abteilung: Es geht auch anders. Ja. Wirklich!

„The Endless“: Lovecraft würde vor Freude ausflippen!

Lesezeit: 5 min.

Um der Fairness halber eins voranzustellen: Ja, ich bin befangen, denn in der FuturePak-Edition des Films findet sich ein Booklet aus meiner Feder. Das heißt aber nichts, ich hätte „The Endless“ auch so abgefeiert, denn die Filme von Justin Benson und Aaron Moorhead (beide führen nicht nur Regie, sondern sind in unterschiedliche Positionen außerdem für Drehbuch, Kamera, Schnitt etc. verantwortlich) sind für mich vor allem eins: Eine Erlösung.

Vielleicht kann der ein oder andere die Entwicklung nachvollziehen: Man ist in jungen Jahren Horrorfilmfan geworden, hat alles, was gerade irgendwo greifbar war, regelrecht inhaliert und sich dabei in „Tanz der der Teufel“, „Maniac“, „The Texas Chainsaw Massacre“ und andere Standards verliebt. Doch die Lebensjahre nehmen zu und – erst will man es nicht so richtig wahrhaben, muss sich dann aber irgendwann doch der Realität stellen – parallel dazu wächst die Erkenntnis, dass es das irgendwie, irgendwo war. Es kommt nichts mehr Neues. Der Wow-Effekt bleibt aus. Alles dreht sich nur noch um die eigene Achse, fühlt sich erstickt an, erstickt in Routine, noch ein Zombieheuler, ein weiterer Slasher, irgendwie… geht’s nicht weiter. Man hat alles gesehen, was es zu sehen gibt. Die Liebe ist erkaltet.


„The Endless“ – von und mit Justin Benson und Aaron Moorhead

In diesem Moment gibt es drei Optionen:

1. Man macht den Opi und jammert fortan rum, wie toll die Filme früher doch waren

2. Man „geht mit der Zeit“ und gibt sich dem Mittelmaß hin („Ein Neuverfilmung von [bitte x-beliebigen Titel einsetzen] war längst überfällig, das Original ist irgendwie… voll langsam!“)

3. Man beißt John-Rambo-mäßig die Zähne zusammen und kämpft sich weiter durchs Feindesland.

Ich hatte mich für Option drei entschieden und wurde nach einem Kampf gegen eine Übermacht endlich mal wieder reichlich belohnt. Natürlich, die Filme der beiden Allrounder sorgen beim ersten Anschauen sicherlich vor allem für eine gewisse Irritation; es wird viel geredet, das Tempo befindet sich im untersten Drittel und der Effekteinsatz ist minimal. Wer sich aber auf den ungewohnte Stil einlässt, wer in der Lage ist, sich von durchnormierten Erwartungen zu verabschieden und einfach mal mitzieht, wird schnell auf die Erkenntnis stoßen, dass das Gesehene gar nicht so abwegig ist, dass hier vielmehr zwei Ausnahmetalente am Werk sind, die ihre Stoffe ernst nehmen, die ihrem Publikum auf Augenhöhe begegnen und die gleichzeitig dem Horror- sowie dem Science-Fiction-Film wieder ein Stück Würde zurückgeben – und so ganz nebenbei einen komplett eigenen Stil installiert haben. Außerdem dürfte das Duo zu den wenigen, vielleicht sogar einzigen Filmkünstlern gehören, die es nicht nur geschafft haben, H.P. Lovecrafts Cosmic-Horror-Philosophie perfekt auf die Leinwand zu transferieren, sondern ihr auch noch eine eigene Note zu verpassen. Der Gedanke, dass der Mensch im großen kosmischen Zusammenhang praktisch bedeutungslos, lediglich ein Spielball unbekannter, unbegreiflicher und somit auch unbeschreibbarer Kräfte ist, wurde im Debütfilm „Resolution“ (2012) konsequent aufgefangen, in „Spring“ (2014) und nun in „The Endless“ würzen die beiden Lovecrafts indifferentistische Weltanschauung mit einer stark persönlichen und zudem zutiefst humanistischen Note: Denn es ist sind schlichte, menschliche Emotionen, gegenüber denen selbst die Allmacht kosmischer Kräfte nichts ausrichten kann. Das mag man vielleicht als Verrat an Lovecraft werten, hebt sich aber vom momentan nur allzu trendigen Pessimismus wohltuend ab, zumal die filigran gestrickten Drehbücher stets gekonnt alle Klischee-Klippen umschiffen. Außerdem: nach Lovecraft fühlt sich’s trotzdem an. Und wie.


Loch Ness in der Wüste – „The Endless“

In ihrem neusten Werk nehmen die beiden kreativen Köpfe erstmals auch vor der Kamera eine gewichtige Position ein, denn Benson und Moorhead spielen ein Brüderpaar namens Justin und Aaron, das vor einigen Jahren aus den Fängen eines UFO-Todeskults gerettet wurde, seitdem aber strauchelt, einen Platz in der Welt zu finden, weswegen Aron allmählich zur Überzeugung gelangt, dass es damals vielleicht doch nicht so übel war, während Justin die Vergangenheit weiterhin mit skeptischen Augen sieht. Als eines Tages eine Nachricht vom besagten Kult eintrifft, will Aaron den ehemaligen Familienersatz für einen Tag besuchen, Justin willigt in der Hoffnung, dass sein Bruder sich vor Ort eines besseres besinnen wird, ein, doch überraschenderweise scheint tatsächlich alles in Ordnung: Die Mitglieder sind glücklich, es gibt gutes, gesundes Essen, die kreative Entfaltung eines jeden Einzelnen wird gefördert und das Geld stammt nicht von den Bankkonten der vermeintlichen Opfer, sondern von einer eigenen Bierbrauerei. Doch Justin hat nicht ganz Unrecht, es geht wirklich nicht alles mit rechten Dingen zu, allerdings liegt das nicht am Kult, sondern daran, dass tatsächlich eine überirdische Macht ihr Unwesen treibt …


Tauziehen mit dem Unbekannten – „The Endless“

Die beiden überaus sympathischen Jungs, die sich ebenso vor der Kamera nicht die geringste Blöße geben, weichen in ihrer dritten Arbeit keinen Millimeter vom eingeschlagenen Kurs ab und servieren eine verquere Mischung aus Mumblecore-Indie und mit Science-Fiction-Elementen verquickten, angenehm unaufgeregten Horrorfilm, der sich selbstbewusst von der Konkurrenz abhebt: Die Charaktere stehen im Fokus, anstatt Jump-Scares wird mit gezielter Farbgebung und pointiert eingesetzter Musik eine Atmosphäre des Unbehagens heraufbeschwört und die subtil eingestreuten Effekte formulieren keine Sachverhalten aus, sondern regen die Fantasie an: Wenn bei einem Tauziehen das andere Ende des Seil in den dunklen Nachthimmel führt, läuft das Kopfkino heiß und wird bis zum Ende nicht mehr abkühlen, denn Benson und Moorhead begehen – wie schon in den Vorgängern – nicht den Fehler die übernatürlichen Vorgänge auszubuchstabieren und damit zu banalisieren, der Horror bleibt, ganz im Sinne des legendären Schriftstellers aus Providence unbeschreibbar und damit wirklich gruselig.

Natürlich, „The Endless“ setzt sich mit seinem gelegentlich sicherlich nicht ganz runden Stilmix, seiner zurückgenommen, regelrecht minimalistischen Inszenierung und seinem bedächtigen Tempo zwischen alle Stühle, Puristen werden vermutlich das große Gähnen bekommen – aber die können ja alten Zeiten hinterher heulen oder Remakes schauen.

(Kleiner Tip am Rande: Wer ganz besonders viel Spaß haben will, guckt zuerst „Resolution“, denn der ist der Ausgangspunkt eines shared universe, das mit „The Endless“ ausgebaut wurde, allerdings können beide Filme auch für sich stehen, die Verbindung ist eher als vertiefender Bonus gedacht, da die beiden Macher laut Eigenauskunft davon ausgehen, dass „Resolution“ eh kaum jemand gesehen hat.)

„The Endless“ läuft vom 09. – 12.08. im Kino (Termine gibt’s hier!) und ist ab dem 31.08.2018 von Meteor Film als DVD, Blu-ray und FuturePak (Steelbook) erhältlich.

The Endless (USA 2018) • Regie: Justin Benson, Aaron Moorhead • Darsteller: Justin Benson, Aaron Moorhead, Callie Hernandez, Tate Ellington, Lew Temple, James Jordan

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