17. August 2018 1 Likes

Vom Vielschreiber zum Literaten

Uwe Anton führt durch das Science-Fiction-Werk von Robert Silverberg

Lesezeit: 5 min.

Er gehört zu den bedeutendsten Science-Fiction-Autoren und ist zudem noch einer ihrer produktivsten: Robert Silverberg (im Shop), dessen Gesamtwerk rund 1.600 Kurzgeschichten und 600 Bücher umfasst – mehr, als selbst Isaac Asimov (im Shop) für sich in Anspruch nehmen kann. Ein Großteil hiervon gehört zur Science-Fiction, für die Silverberg speziell in seiner „kritischen“ Phase von 1967 bis 1976 viel geleistet hat, aber auch seine späteren Bestseller wie „Krieg der Träume“ haben allemal Qualitäten. Der Schriftsteller und Publizist Uwe Anton legt nun in der Reihe SF Personality einen Werkführer vor, der Silverbergs entsprechende Genrebeiträge umfassend erschließt und dabei auch einen Blick auf seine Krimis und Sexromane wirft.

Uwe Anton: Robert SilverbergWas Quantität betrifft, ist der am 15. Januar 1935 geborene Robert Silverberg von Jugend an ein Phänomen. Mit zwölf Jahren schrieb er seine erste Geschichte, mit vierzehn machte er ein Fanzine, und mit neunzehn konnte er eine erste Story verkaufen. Doch das war nur der Anfang. Binnen kurzem schrieb Silverberg nicht unter fünfundzwanzig Manuskriptseiten am Tag und veröffentlichte in allen gängigen SF-Magazinen Texte, die oft quasi „auf Zuruf“ produziert wurden. Zwischen 1957 und 1959 publizierte er beispielsweise unter zahlreichen Pseudonymen mehr als 220 Kurzgeschichten und elf Romane, von denen die meisten nie einen Nachdruck erfuhren – schnelles Geld für schnelle Arbeit, bei der Qualität eine nachgeordnete Rolle spielte. Silverberg war so flink, dass er einen Kollegen wie Harlan Ellison (im Shop), mit dem er zeitweilig das Büro teilte, hoffnungslos frustrierte, denn während letzterer um jedes Wort rang, ratterte Silverbergs Schreibmaschine ohne Unterlass – um 12 Uhr war Mittagspause, um 17 Uhr Feierabend. Ellison über seinen Auszug nach nur einer Woche: „Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. Ich konnte kein Wort schreiben. Er hätte meine Karriere ruiniert.“

Doch so viel Silverberg in jener Zeit auch schrieb, bemerkenswert ist davon kaum etwas. Uwe Anton hält auf einer zehn Titel umfassenden Leseliste lediglich „Invaders from Earth“ (1958, dt. „Griff nach dem Ganymed“) für herausragend, in dem ein US-amerikanischer Großkonzern die öffentliche Meinung manipuliert, um auf begehrte Ressourcen zugreifen zu können – ein „bedrückend“ aktuelles Thema und ein Frühwerk, das bereits auf die Stärken des Verfassers aufmerksam macht. Ausspielen konnte Silverberg diese allerdings erst ab Mitte der 1960er Jahre, nachdem er finanziell offenbar weitgehend unabhängig war. Hierbei spielten die „schwülstigen Softpornos, mit denen man heute keinen Achtjährigen mehr von der Fleischbeschau im Fernsehen oder Internet fortlocken könnte“, eine große Rolle, denn sie wurden gut bezahlt, und Silverberg schrieb unter dem Pseudonym Don Elliott mehr als 150 davon. Doch kreativ reizte ihn etwas ganz anderes.

Der Bruch erfolgte 1967 nach einer einjährigen Pause mit der Veröffentlichung von „Thorns“ (dt. „Der Gesang der Neuronen“), einem Buch, das einen völlig neuen Silverberg präsentierte, denn der um zwei gegensätzliche Außenseiter kreisende Plot ist „eine fesselnd geschriebene, mitreißende psychologische Studie und zugleich beißende Gesellschaftskritik“. Es folgten sorgfältig komponierte und stilistisch herausragende Titel mit ungewöhnlichen Themen, wie etwa der mit dem Nebula Award ausgezeichnete Roman „A Time of Changes“ (1971, dt. „Zeit der Wandlungen“), in dem eine Gesellschaft beschrieben wird, in der die Pronomen „ich“ und „mir“ verboten sind. Als Höhepunkte dieser Phase benennt Anton „Dying Inside“ (1972, dt. „Es stirbt in mir“, im Shop) und „The Stochastic Man“ (1975, dt. „Der Seher“, im Shop). „Dying Inside“ handelt von einem Telepathen, der seine als Fluch wie Segen gleichermaßen beschriebene Gabe allmählich verliert; „sicher kein autobiographischer, aber von der Lebenserfahrung des Autors geprägter Roman“. Die Kritik lobte das Buch wegen seiner zahlreichen literarischen Bezüge, der ausgefeilten Schreibtechnik und der psychologisch beeindruckenden Charakterzeichnung. Ähnliches lässt sich auch von „The Stochastic Man“ sagen: Hier vermögen es die prophetischen Fähigkeiten der Hauptfigur nicht, ihn daran zu hindern, dem Falschen zur politischen Macht zu verhelfen. Hinter der weitgehend mainstreamkompatiblen Handlung verbirgt sich eine ausgeprägte Suche nach „Bestimmung, Ziel und Sinn des Lebens“, die das Buch zu einem der bedeutendsten Bücher von Silverberg überhaupt macht. 1976 ging die „kritische Phase“ mit „Schadrach in the Furnace“ (dt. „Schadrach im Feuerofen“) zu Ende, und der Autor schien sich – frustriert von einem Markt, der seine ambitionierten Bücher weit weniger als die früheren Fließbandarbeiten akzeptierte – in den Ruhestand zurückzuziehen.

Es wurde dann aber doch nur eine Schreibpause. 1980 erfolgte mit „Lord Valentine’s Castle“ (dt. „Krieg der Träume“) der hoch dotierte Startschuss für die dritte Phase in Silverbergs Schaffen, die sich als das souveräne Verfassen spannender Bestseller bezeichnen lässt; es geht um „umfangreiche, elegante und farbenprächtige SF-Abenteuerstoffe“ – nicht zu tiefgehend, aber dafür umso ansprechender aufbereitet. Neben „Lord Valentine’s Castle“, der die „Majipoor Chronicles“ einleitet, betont Anton den (übrigens von ihm übersetzten) „vorzüglichen“ historischen Roman „Lord of Darkness“ (1983, dt. „Herr der Finsternis“), der ein Afrika auferstehen lässt, wie es ein Engländer des 16. Jahrhunderts gesehen haben muss – „viel phantastischer, fremder und unglaublicher, als es uns heute erscheint“. Auch das im Folgejahr veröffentlichte „Gilgamesh the King“ (dt. „König Gilgamesch“), seine Nacherzählung eines der ersten Heldenepen überhaupt, wird von Anton als „vielschichtig zu lesende und interpretierbare Aufarbeitung“ hervorgehoben. Silverberg legte nunmehr Jahr für Jahr mindestens einen neuen Titel vor, bis nach 2000 seine Neuveröffentlichungen langsam zur Ruhe kamen.

Dem 1956 geborenen Uwe Anton – seit seiner Jugend passionierter Leser von „Perry Rhodan“ und seit 1998 auch Mitautor der Serie – ist für den Silverberg-Werkführer gleich zweifach Respekt zu zollen. Zum einen, weil er sich durch eine Flut von gewiss nicht immer bemerkenswerten Erzählungen und Romanen hindurch gearbeitet hat, zum anderen, da das Ergebnis ebenso kompetent wie unterhaltsam ausfällt und Silverbergs Œuvre auch Novizen mit leichter Hand erschließt. Hierin hat Anton allerdings Erfahrung, da von ihm ebenfalls die Sekundärbände „P. K. Dick – Entropie und Hoffnung“ (1993; unterdessen selbst ein Sammlerstück) und „A. E. van Vogt – Der Autor mit dem dritten Auge“ (2004; ebenfalls bei SF Personality) stammen, deren Linie er hier gewissermaßen fortsetzt. Beim Gebrauch des Buchs hilft ein ausführlicher Index, der alle genannten Werke anführt, sowie eine Bibliographie, die – wie bei Hans Freys „J. G. Ballard – Science Fiction als Paradoxon“ – erneut Joachim Körber zu verdanken ist. Eine 1970 von Silverberg auf der 28. World Science Fiction Convention in Heidelberg gehaltene Rede beschließt den Band, der nicht nur eine Einladung ist, den Autor öfter zu lesen. Letztlich macht Antons engagiertes Werk energisch darauf aufmerksam, dass speziell von Silverbergs Werken der „kritischen Phase“ eine Neuedition überfällig ist.
 

Uwe Anton: Robert Silverberg. Zeiten der Wandlung • SF Personality 26 • Memoranda bei Golkonda • 512 Seiten • € 18,90 • E-Book € 6,99

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.