11. November 2018 2 Likes

Wenn Vampire Trauer tragen

Staffel 2 der Netflix-Serie „Castlevania“

Lesezeit: 4 min.

Das ging aber mal schnell. Im Gegensatz zur langen Wartezeit, die Anime- und Gamingfans nach dem mit schlanken vier Episoden verheißungsvollen Start von Castlevania (hier unser damaliger Review) bis zur mit acht Folgen üppigeren zweiten Staffel zubringen mussten, wurde Staffel 3 bereits bestätigt. Mit Blick auf das, was seit dem 26.Oktober auf Netflix mit der zweiten Staffel geboten und über alle Episoden entwickelt wird, ist das eine erwartbare, dennoch begrüßenswerte Entscheidung. Die sehr erwachsen gehaltene und dank vieler ungemein blutiger Passagen verdientermaßen nur für volljährige Zuschauer geeignete Adaption der seit Jahrzehnten reich befüllten Videospiel-Reihe Castlevania, zog mithilfe ihres Chefautors Warren Ellis viele richtige Schlüsse für eine unterhaltsam dramatische wie für das Genre sehr tief- bis abgründige Fortsetzung. Denn der Auftakt zog zwar einige Fäden; es fehlte ihm jedoch buchstäblich die Zeit, diese auch wirklich lang zu ziehen und einige lahme Klischees (Stichwort böse Kirchenväter) als notwendiges Übel sukzessiv in den Hintergrund zu verbannen.

Im Mittelpunkt des bereits in Staffel 1 angekündigten Feldzuges der Vampire gegen die Menschheit, die sich Obersauger Dracula mithilfe der völlig unnötigen Verbrennung seiner philanthropischen (Menschen-)Gattin Lisa zum verbitterten Erzfeind gemacht hat, steht über weite Strecken dessen Vorbereitung. Die verläuft unter den Vampiren alles andere als reibungslos, da gleich mehrere Untervampire die Marschrute ihres Anführers Dracula anzweifeln und dazu dessen unbeirrtes wie irritierendes Festhalten an seinen zwei – ausgerechnet menschlichen – Generälen Isaak und Hector die Untoten in zwei Lager zu spalten droht.

Warum vertraut Dracula zwei Menschen, wenn er doch angeblich die gesamte menschliche Rasse auslöschen will und obwohl er seine Frau gerade aufgrund ihrer Güte und Mitmenschlichkeit geliebt hat? Und ist es überhaupt klug, sich die gesamte Menschheit zum Feind zu machen und so auch die attraktivste Nahrungsquelle möglicherweise zum Versiegen zu bringen? Hinzu gesellt sich das ambivalente Binnenverhältnis der beiden Generäle, die sich die Macht teilen, Tote wieder zum (monströsen) Leben zu erwecken und so auch einen praktischen Nutzen innerhalb der vampirischen Reproduktionspolitik erfüllen.

Steht der nahezu kühle Isaak ganz zu seinem Meister, plagen Hector trotz seiner ihm von Menschen zugefügten Traumata, die ihn zu den Vampiren führten, Zweifel. Über all dem steht eine überraschend greifbare Trauer des blutsaugenden Witwers Dracula, der entgegen seiner furchtgebietenden Aura scheinbar selbst jeden „Lebensmut“ verloren und zum nach Zuspruch suchenden Nihilisten verkommen ist. Auch eine Sache, die man als Kenner der zahlreichen Games nur im leider etwas unterschätzten Abschluss der seinerzeit auf P3 fulminant gestarteten Lords of Shadows-Trilogie vorfand.

So plakativ die eben genannten Fragen und deren Konsequenzen für das Gleichgewicht der Welt anfangs nur mithilfe des eher einfältigen Vikingervampirs Godbrand aufs Tableau gehoben werden, so vielschichtig und sinister spitzt sich die Problematik um Misstrauen, Macht und Aufbegehren anhand der klug taktierenden wie völlig skrupellosen Femme fatale Carmilla zu. Sie versteht es perfekt, ein Intrigenspiel aufzuziehen, in dem sich auch einer der beiden Generäle verfängt und so den Bruch mit Dracula provoziert. Das vampirisch-menschliche Konfliktpotenzial dominiert vor allem den Mittelteil der Staffel. Action wird nur behutsam eingesetzt, sodass sich speziell die vorletzte Episode als Höhe- und Kulminationspunkt in dieser Hinsicht optimal präsentieren und beweisen kann, wie viel Variationskunst Warren Ellis in Castlevania verpackt hat.

Wer sich als Kenner der Vorlage oder auch der ersten Staffel nun fragt, was denn eigentlich aus den Helden wie Peitschenschwinger Trevor Belmont oder Draculas abtrünnigem Spiegelbild-Sohn Alucard geworden ist, der trifft über die meiste Staffelzeit einen wunden Punkt der Erzählung. Denn wo das Reich der Untoten in den ja nicht mal ganz halbstündigen Episoden hinreichend ausgeleuchtet wird, so abgehakt werden die beiden Helden und ihre Unterstützerin, die Magierin Sypha, über weite Strecken behandelt. Zwar setzt Ellis auch hier einige Pointen, doch bleiben die letztlich zu selten wirklich präsent, um als solche ernst- und angenommen zu werden.

Doch da der ganze Plot in mehrfacher Figurenhinsicht überdeutlich auf Staffel 3 ausgearbeitet wurde und sich trotz eines famos unerwarteten Wendepunktes zum Finale noch viel Spannendes an der Grenze zwischen Mensch und Vampir auftut, kann man darauf vertrauen, dass es in den neuen Episoden auch auf der Seite des Guten mehr tiefergehenden Nachhall zu verzeichnen geben wird. Sowohl bei Alucard als Erbe seines Vaters wider Willen oder natürlich auch bei Trevor in ähnlicher Funktion innerhalb seines Stammbaumes ist definitiv noch viel erzählerisch zu holen.

Stilistisch darüber hinaus ohnehin auf gutem Niveau und weiterhin gerade im englischen Original mit Schauspielstars wie Richard Armitage oder Graham McTavish  gesegnet, ist Castlevania mit seiner melancholisch angehauchten Dracula-Konzeption, seinem jederzeit grimmig düsteren Grundton und seiner eben nicht auf seichte Cartoon-Unterhaltung ausgerichteten Dramaturgie auch nach Staffel 2 eines der spannendsten Animationsprojekte unter der schwarz-roten Netflix-Sonne. Zumindest dann, wenn man nicht vor einigen Bluträuschen zurückschreckt, die es vielleicht nicht immer in dieser Intensität bräuchte, um den thematisierten Affektstrukturen und deren für die Story verbundenen Machtimplikationen Ausdruck zu verleihen. Doch auch wenn die Macher an ihrem eingeschlagenen Intensivkurs festhalten sollten, wird die Fortsetzung dennoch hoffentlich bald im nächsten Jahr erscheinen.

Castlevania – Staffel 2 (8 Episoden) ist seit dem 26. Oktober komplett auf Netflix zu sehen.

Abb. © Netflix

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