1. April 2019 4 Likes

Ruhe in Frieden, Oppy!

Warum uns das Ende des Mars-Rovers so betroffen macht

Lesezeit: 4 min.

Am 13. Februar dieses Jahres gab die NASA offiziell bekannt, dass sie den Kontakt mit dem Mars-Rover Opportunity — liebevoll Oppy genannt — verloren hat. Oppy hatte die Aufgabe, die Oberfläche des Roten Planeten zu erkunden, nach Spuren vergangenen Lebens zu suchen und geologische Daten zu sammeln. Er hat uns Videos von marsianischen Sonnenuntergängen geschickt und den Beweis geliefert, dass es dort einst Wasser gab. Er war der erste Rover, den man vom All aus — über den Mars Reconnaissance Orbiter, einen Erkundungssatelliten der NASA — sehen konnte, und er hält mit 45,16 Kilometern den Rekord für die weiteste auf einem anderen Planeten zurückgelegte Strecke.

Oppys vorhergesagte Lebensdauer betrug nur neunzig Tage, aber am Ende hielt er über vierzehn Jahre durch. Er war eine wirklich bemerkenswerte Apparatur, ein außergewöhnliches Werkzeug der Wissenschaft — und als er starb, trauerte ich um ihn. Da war ich nicht die einzige. Noch vor der offiziellen Bekanntmachung der NASA und des Jet Propulsion Laboratory, das die Satelliten und Raumsonden für die NASA baut und steuert, herrschte in den sozialen Medien große Bestürzung über Oppys „Tod“.

Das Traurige daran war nicht, dass mit Oppy eine Ära und eine bedeutende wissenschaftliche Unternehmung zu Ende ging — sondern die Vorstellung eines kleinen, unverwüstlichen Roboters, der mutterseelenallein auf einer weiten Ebene inmitten eines der heftigsten marsianischen Sandstürme seit Beginn der Aufzeichnungen allmählich für immer einschläft.

Natürlich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass Oppy nie wirklich lebendig war. Aber manchmal kommt unser rationaler Verstand eben nicht gegen unsere Gefühle an.

Weshalb gehen uns einige leblose Objekte so nahe? Warum empfinden wir Mitgefühl für sie?

Der Großteil der Menschheit hat jahrtausendelang geglaubt, dass Objekte Gefühle oder gar eine Seele haben. Im Shintoismus beispielsweise verfügt alles, von Bäumen über Menschen bis zu Felsen oder Glocken, über „Kami“, eine Art göttlicher Lebenskraft.

Auch in Kunst und Literatur sind Anthropomorphismus und Vermenschlichung seit Langem gang und gäbe, und das nicht nur als simple Metapher. Wenn man sich die Kinderliteratur verschiedener Epochen oder das Fernsehprogramm ansieht, wird man schnell feststellen, dass etliche beliebte Figuren eigentlich unbelebte, aber doch irgendwie zum Leben erwachte Gegenstände sind (als Kind war ich zum Beispiel ein absoluter Fan des „Tapferen kleinen Toasters“).

Seltsamerweise gibt es zwar viele Untersuchungen über zwischenmenschliche Emotionen oder Tierliebe, aber nur wenige, die sich mit der menschlichen Eigenart beschäftigen, Gefühle auf unbelebte Objekte zu übertragen. Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen haben jedoch explizit über die Beziehungen zwischen Mensch und Objekt geforscht — das Verhältnis Mensch-Roboter stand dabei ganz besonders im Mittelpunkt. Eine Untersuchung — „An Experimental Study on Emotional Reactions Towards a Robot“ von Astrid M. Rosenthal-von der Pütten et al. — betont die Wichtigkeit der Erforschung der Interaktionen zwischen Mensch und Roboter, da letztere in der Gesellschaft eine zunehmend größere Rolle spielen. Die Folgestudie — „Investigations on Empathy Towards Humans and Robots Using fMRI“ — kam zu dem Ergebnis, dass ein Mensch, der die Misshandlung eines Roboters beobachtet, dieselbe Gehirnaktivität aufweist wie jemand, der die Misshandlung eines Tiers miterlebt. Im Umkehrschluss war es für die Aktivierung bestimmter Regionen im limbischen System egal, ob man ein Tier oder einen Roboter gut behandelt.

Der für diese Studie verwendete, von der Firma Ugobe entwickelte Roboter namens Pleo sieht wie ein kleiner Dinosaurier aus. Die katzengroße Maschine verfügt über Augen, vier Beine und einen Schwanz sowie eine begrenzte Mimik. Der Roboter ahmt also ein kleines Tier nach, man könnte daher schnell zu dem Schluss kommen, dass wir nur deshalb etwas für ihn empfinden, weil uns seine Gestalt „austrickst“.

Oppy allerdings hatte weder menschliche noch tierische Gestalt und auch keine emotive Ausdrucksfähigkeit. Im Gegenteil: Die Emotionen, die ihm durch Comics und andere Interpretationen seiner letzten Botschaften in den sozialen Medien zugeschrieben wurden, hätten sich seine Schöpfer wohl nie träumen lassen. Unsere Gefühle für unbelebte Gegenstände und Roboter sind kein Zufall — wir wollen etwas für sie empfinden.

Wir suchen immer nach emotionalen Verbindungen, auch dort, wo es rein logisch betrachtet gar keine gibt. Unsere Fähigkeit, uns nicht nur in Menschen und Tiere, sondern auch in Gegenstände einzufühlen, ist zum einen der Beweis für unseren hochentwickelten Gemeinschaftssinn und zum anderen die Voraussetzung für jede auf Zusammenarbeit gegründete menschliche Gesellschaftsordnung. Es ermöglicht uns, etwas für jemanden zu empfinden, den wir gar nicht persönlich kennen, weil er am anderen Ende der Welt lebt. Es ermöglicht uns, auch auf emotionaler Ebene für die Umwelt Sorge zu tragen oder uns in die fiktive Figur in einer Geschichte hineinzuversetzen.

Marina Lostetter: Die ReiseEmpathie ist die Brücke, durch die wir trotz aller Unterschiede mit unseren Mitmenschen verbunden sind, und wir sollten sie in all ihren Ausdrucksformen erforschen. Mit dem technischen Fortschritt werden Roboter mehr und mehr Einzug in unseren Alltag halten, womit sich auch für die Sozialwissenschaften eine völlig neue Welt auftut. Je mehr wir über unseren naturgegebenen Drang nach emotionaler Verbindung wissen, desto stärker sind die Netzwerke zwischen Orten, Menschen und Gegenständen, die wir aufbauen.

Mach’s gut, Oppy! Ruhe in Frieden. Du hast uns viel über den Roten Planeten gelehrt. Und über uns selbst.
 

Marina Lostetter, geboren in Oregon, interessiert sich für Kunst, Naturwissenschaft und Geschichte. Ihre Kurzgeschichten wurden in Magazinen wie Lightspeed, InterGalactic Medicine Show und Shimmer Magazine veröffentlicht. Ihr gefeierter Debütroman „Die Reise“ (im Shop) ist im Heyne Verlag erschienen.

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