Interstellare Spurensuche
Wie können wir herausfinden, ob uns Außerirdische bereits einen Besuch abgestattet haben?
Entführt haben sie jedenfalls niemanden, und das werden sie auch nicht. Wozu auch? Eine Zivilisation, die über die Technologie verfügt, die aberwitzige Entfernung bis zu unserem Planeten zu überwinden, hat Besseres zu tun, als heimlich Menschen zu verschleppen, um Militäranlagen herumzuschwirren, mit unseren Kampfjets Katz und Maus zu spielen oder uns mit merkwürdigen Lichtern am Himmel zu verwirren. Wenn Aliens bereits hier sind, wissen sie, wer wir sind und was wir können. Wenn sie uns vernichten wollten, hätten sie das längst getan. Wenn sie mit uns Kontakt aufnehmen wollten, hätten sie das längst getan. Aber sie werden wohl kaum so eine weite Reise auf sich genommen haben, um fünfzig Jahre lang alberne Spielchen mit uns zu spielen.
Zum Glück haben sich über die Frage, was Aliens stattdessen hier tun würden, gerade eine Reihe fleißiger Wissenschaftler Gedanken gemacht und ein Papier mit dem Titel „Möglichkeiten der Technosignaturforschung innerhalb der Planetenforschung anhand der im Zehnjahresüberblick der amerikanischen Wissenschaftsakademien aufgestellten Leitlinien“ veröffentlicht. Darin wird erschöpfend dargelegt, welche Beobachtungen darauf schließen lassen, dass außerirdische Zivilisationen die Erde besucht haben. Oder dass sie zumindest in der Nähe waren.
Nach kleinen grünen Männchen Ausschau zu halten bringt dabei nichts. Stattdessen – so die Wissenschaftler – sollten wir unser Sonnensystem nach viel banaleren Spuren absuchen.
Auch eine technisch hochentwickelte Zivilisation unterliegt nämlich den Gesetzen der Physik. Ein Fortbewegungsmittel, mit dem man eine Reise durchs Weltall unternehmen kann, benötigt einen Antrieb. Je größer das Raumschiff und je länger die zurückzulegende Strecke, desto stärker und leistungsfähiger muss dieser Antrieb sein. Zwangsläufig hinterlässt er dabei eine Energiesignatur, die wir mit unseren Teleskopen erfassen können. Das ist selbst dann der Fall, wenn eine außerirdische Zivilisation herausgefunden haben sollte, wie man durch ein Wurmloch springt oder in einem Wimpernschlag Milliarden von Kilometern zurücklegt.
Noch einfacher wäre es, wenn wir uns auf die Suche nach (von der Wissenschaft so bezeichneten) Artefakten machten. Vielleicht sind die außerirdischen Zivilisationen genauso bequem und fahrlässig wie wir und lassen überall ihren Müll zurück. Klar, es wäre möglich, dass sie gewissenhaft darauf achten, ihre Hinterlassenschaften zu recyclen, aber irgendwie bezweifle ich das. Wenn wir Beweise dafür finden wollen, dass Aliens in der Nähe waren, sollten wir zunächst einmal nach Raumschiffteilen oder anderem Schrott suchen. Theoretisch könnte man solche Artefakte anhand ihrer Wechselwirkung mit Gravitationsfeldern aufspüren oder sie erfassen, wenn sie vor einer Lichtquelle vorbeiziehen.
Es ist außerdem nicht unwahrscheinlich, dass die Außerirdischen vor unserem schon viele andere Planeten besucht haben – Planeten mit Asteroiden. Wir Menschen haben es inzwischen geschafft, auf einem Asteroiden zu landen, und wer weiß, vielleicht finden wir auf einem davon irgendwann Spuren der Aliens, wie etwa ein Maschinenteil. Immerhin gibt es dort keine Atmosphäre, in der das Artefakt verwittern könnte.
Unnötig zu erwähnen, dass ich das alles hochinteressant finde. Die Spuren eines Verbrechers zu untersuchen, die dieser am Tatort hinterlassen hat, ist eine der simpelsten und schnellsten Methoden, ihn zu schnappen. Dies im interstellaren Maßstab zu tun ist die schönste Detektivarbeit, die man sich vorstellen kann. Wir sind zwar nicht in der Lage, andere Planeten zu besuchen (außer vielleicht den Mars), aber wir haben eine Vielzahl von Verfahren entwickelt, um Veränderungen in ihrer physikalischen Zusammensetzung, ihrer Gravitationsfelder und der von ihnen abgestrahlten Wärme zu registrieren und zu analysieren. Das genügt, um sich ein Bild davon zu machen, was da draußen vor sich geht.
Diese Idee ist natürlich alles andere als neu. Die Science-Fiction beschäftigt sich schon lange mit dem Thema, insbesondere die technikaffine, als Hard-SF bezeichnete Strömung innerhalb des Genres. Da ist es umso erfreulicher, dass sich nun auch renommierte Wissenschaftler ernsthaft damit auseinandersetzen. Selbstverständlich haben wir momentan wichtigere Aufgaben – beispielsweise den Klimawandel aufzuhalten und unseren eigenen Planeten vor der Vernichtung zu bewahren –, trotzdem kann ich mir (von der Begegnung mit den Aliens selbst einmal abgesehen) nichts Spannenderes und Interessanteres vorstellen, als die Spuren einer außerirdischen Zivilisation zu entdecken.
Sie etwa?
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.
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