10. Mai 2019

Zukunft noir

„Altered Carbon“ trifft Mars-Trilogie: Richard Morgans neuer Roman „Mars Override“

Lesezeit: 2 min.

Richard Morgan ist nach seinem Ausflug in die Fantasy zur Science-Fiction zurückgekehrt und hat einen brandneuen Antihelden im Gepäck: Overrider Hakan Veil. Der ist ein genetisch und technisch aufgemotzter Sicherheitsmann, dessen Job früher darin bestand, im Kälteschlaf auf den großen Konzernraumschiffen zu liegen, bis ein Problem – Weltraumpiraten, Meuterei und ähnliches – auftrat, das der firsch aufgeweckte Veil dann zu beseitigen hatte. Doch diese Zeiten sind vorbei, und so ist Veil inzwischen auf dem längst terrageformten Mars gestrandet, wo er sich als Bodyguard und Söldner durchschlägt. Eigentlich will er nur eins: zurück zur Erde, seiner Heimatwelt. Doch die Transportaufsichtsbehörde hat extrem strenge Sicherheitsauflagen. Um nach Hause zu kommen, bräuchte Veil jemanden mit Beziehungen, der ihm einen Gefallen schuldig ist. Jemand wie Auditorin Madison Madekwe beispielsweise, die von der Erde gekommen ist, um das Verschwinden eines Lottogewinners aufzuklären. Sie ist Teil eines hundertköpfigen Auditteams, das auf dem von der Gigacorporation COLIN beherrschten Mars nach dem Rechten sehen soll, was nicht nur bei Gouverneur Boyd Mulholland – ein Trump-Verschnitt, dessen Wahlslogan „Harte Bedingungen für Böse Hombres“ ihm seinerzeit den Sieg bescherte – für Aufregung sorgt. Veil wird von Polizistin Nikki Chakana dazu verdonnert, den unbeliebten Gast zu beschützen und ihr bei ihren Untersuchungen zu helfen. Doch was als simple Suche nach einem Vermissten beginnt, entpuppt sich rasch als eine Verschwörung, die sich bis in die höchsten Kreise der Mars-CEOs erstreckt …

„Mars Override“ ist Richard Morgan in Höchstform: ein abgehalfterter, megazynischer Antiheld, der es dank Militär-KI im Hirn ordentlich krachen lassen kann; dazu unvergessliche Nebenfiguren, die Hakan Veil in nichts nachstehen; alles vermengt in einer düsteren, verzwickten Story, in der jeder jeden austricksen will. Morgans große Stärke liegt, wie auch schon bei „Altered Carbon: Das Unsterblichkeitsprogramm“ (im Shop), im Worldbuilding: historische Ereignisse, politische Fraktionen und technische Details werden in Nebensätzen eingeworfen, Orte auf dem Mars mit einem Blick für Details beschrieben, dass man meinen könnte, man stünde selbst im Mariner Valley unter dem paprikafarbenen Himmel. Die kaum verhüllten politischen Allegorien und technischen Extrapolationen machen Morgans Mars zu einem Ort, an dem jeder einen implantierten Tracker hat, der den Behörden und Firmen jederzeit verrät, wo man sich aufhält, während man Speck aus dem Lebensmitteldrucker isst und von winzigen Mücken-Drohnen via Mikroinjektion die neusten Gen-Codes verabreicht bekommt (kein Vergleich zu unseren eher drögen Windows-Updates …). Wer sich vorab schon mal in diese Welt einlesen will: Morgans Roman „Skorpion“ (im Shop) ist im selben Universum angesiedelt, hat davon abgesehen aber mit „Mars Override“ nichts zu tun.

Richard Morgan: Mars Override • Roman • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen • erscheint am 10.06.2019 als Paperback und E-Book bei Heyne • Preis des E-Books: € 12,99 • im Shop

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