Guter Hund
Adrian Tchaikovskys „Im Krieg“
Mexiko in naher Zukunft. In einem Lager im Bundesstaat Campeche ahnt niemand, dass in dem von Krieg gezeichneten Land der nächste Kampfeinsatz bevorsteht. Denn im Dickicht lauert ein Angriffstrupp der besonderen Art. Rex, Dragon, Honey und Bees sind keine gewöhnlichen Menschen, sondern Bioformen: perfekte Soldaten, halb Mensch, halb Tier. Unter ihrem Anführer Rex befeuern sie die Stellung und töten jeden, der sich dort befindet. Freund oder Feind? Irrelevant, wenn Herrchen Murray seinen Züchtungen den Befehl zum Kämpfen gibt. Eines Tages wird die Befehlskette zu Herrchen jäh unterbrochen, und Rex‘ kleines Rudel ist plötzlich frei von menschlichen Fesseln. Doch ist die Welt bereit für die friedliche Koexistenz mit den Monstern, die sie geschaffen hat?
Es ist eine Frage, die so alt ist wie die Science-Fiction selbst. Schon Viktor Frankenstein musste sich damit auseinander setzen, welche Gefahr von seinem Monster ausgeht. Seit Mary Shelley haben sich viele Autorinnen und Autoren an den quälenden philosophischen Fragen abgearbeitet, die die Schaffung künstlichen Lebens mit sich bringt. Nun ist es an Adrian Tchaikovsky, dem Gewinner des Arthur C. Clarke Award 2016, sie zu stellen. Und so gibt er in seinem neuen Roman „Im Krieg“ (im Shop) Bioformen, Menschen und geheimnisvoller Person im Hintergrund gleichsam eine Stimme.
„Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.“ Mit diese Worten stellt sich der Held der Geschichte vor. Schon hier zeigt sich das ganze Dilemma seiner Existenz. Denn welcher Hund möchte kein guter Hund sein, seinem Herrchen (oder Frauchen) nicht gefallen und gelobt werden? Das Lob übernimmt bei Rex ein Biofeedback-Chip. Gehorcht er Murray, sendet dieser ein „Guter Hund“ über den Äther. Und das loyale 2,30 m große Hündchen möchte alles richtig machen und gelobt werden. So abhängig vom menschlichen Schöpfer ist aber nicht jeder in Rex‘ Rudel. Gerade bei der riesigen Bärin Honey scheint aus Sicht von Herrchen einiges schief gelaufen zu sein. Sie hinterfragt die Befehle und die Macht, die Murray über sie und ihre Freunde hat. Außerdem ist sie weitaus intelligenter als Rex. Als seine Beraterin sät sie daher Zweifel bei dem Vierbeiner. Sind die Feinde vielleicht gar keine brutalen Revolutionäre, sondern harmlose Bauern, die Opfer von Murrays sonstigen Kriegsverbrechen wurden?
Für Rex ist es der Beginn eines Reifeprozesses, der aus dem schlichten Hund einen vorausschauenden, echten Anführer macht. Die geistige Entwicklung läuft bei Tchaikovsky quasi nebenbei mit und ist am sich verändernden Schreibstil zu erkennen. Er lässt Rex mit seinen Aufgaben wachsen. Und das ist auch nötig. Denn den zweiten Teil des Romans nimmt die gerichtliche Auseinandersetzung um Murrays Verbrechen und die rechtliche Stellung von Bioformen ein. Nachdem bereits Roboter zu unzuverlässigen Partnern im Alltag erklärt wurden, droht auch Rex, Honey und Co. dieses Schicksal.
Nicht nur an dieser Stelle sind die menschlichen Protagonisten wichtige Freunde und Verbündete. Egal ob Murrays rechte Hand Hartnell, die Ärztin de Sejos oder der Anwalt Aslan, sie alle begleiten Rex auf seinem Weg in ein halbwegs selbstbestimmtes Leben. Daneben gibt es noch eine weitere Person, die ihr eigenes Interesse an der Auseinandersetzung zwischen Schöpfer und Geschöpf hat. Diese Kombination aus verschiedenen Stimmen und Beweggründen machen „In Krieg“ zu einem besonderen Roman, der dem alten Frankenstein-Dilemma neue Aspekte abgewinnt.
Adrian Tchaikovskys neuer Roman „Im Krieg“ könnte dem Ursprung eines Szenarios von Biopunk-Meister Paolo Bacigalupi entsprungen sein. Seine Wesen sind noch roh und grobschlächtig und dennoch Opfer ihres Schöpfers. „Im Krieg“ ist, anders als es der Name vermuten lässt, auch ein echter Antikriegsroman. Die Military-Science-Fiction-Biopunk-Mischung beleuchtet das Grauen, das von dem Einsatz neuer Kriegstechnologien ausgeht. Roboter, KI, Bioformen, sie alle spielen eine Rolle in einem Krieg, der von Menschen geschaffen wurde. Gleichzeitig entsteht beim Lesen Sympathie für diejenigen, die als Waffe missbraucht wurden. Am Ende möchte jeder Rex einfach nur in den Arm nehmen und ihm sagen, was er am meisten hören möchte: „Guter Hund.“
Adrian Tchaikovsky: Im Krieg • Aus dem Englischen von Peter Robert • Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 • 384 Seiten • 14,99 € (im Shop)
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