26. September 2019 1 Likes

Länge ist doch nicht alles

„Midsommar“ - Dicke Hose, aber nix drin!

Lesezeit: 3 min.

Wer in den letzten Wochen die Kinolandschaft aufmerksam verfolgt hat, wird sich sicherlich leicht gewundert haben. Da wird überraschend intensiv ein Film beworben, der weder mit Marvel, Stephen King oder einem sonstigen bekannten (Marken-)Namen zu tun hat, im Gegenteil: Der Titel auf dem Plakat besteht aus einem schlichten schwedischen Wort („Midsommar“, zu deutsch „Hochsommer“) und gezeigt wird, in hellen, freundlichen Farben, eine angstvoll schauende, leicht blutende Frau mit einem Blumengesteck auf dem Kopf. An Namen findet sich nur einer, nämlich Ari Aster, zusammen mit der Erklärung: „Regisseur von „Hereditary“. Das ist verwunderlich, denn der Horrorfilm mit Familiendrama-Einschlag entpuppte sich im letzten Jahr zwar als Überraschungserfolg, allerdings nicht im traditionell eher horrorfilmfeindlichen Deutschland. Warum also der Aufwand beim Nachfolgefilm, der in eine ähnliche Kerbe schlägt? Vielleicht weil in „Midsommar“ das Streber-Gen, das bereits beim Vorgänger vorhanden war, nun endgültig zum Ausbruch kommt und man hofft, dass das vor sich hinwabernde Epos auch Leute anspricht, die Horrorfilme normal nicht mit der Kneifzange anfassen würden, da „zu anspruchslos“.


Dani geht’s nicht gut.

Merkte man bereits „Hereditary“ in seiner verwaschenen Mischung aus Horror und Familientragödie (und leichtem Esoterik-Budenzauber) an, dass hier zwar jemand sein Horrorfilm-Einmaleins kennt, sich aber letztendlich zu fein war, einfach einen zu drehen, platzt „Midsommar“ aus allen Nähten. Asters zweite Arbeit als Regisseur und Drehbuchautor (warum wird letzteres eigentlich nicht auf dem Plakat erwähnt?) ähnelt in seiner Haltung dem „Suspiria“-Remake (ebenfalls vom letzten Jahr), dessen Regisseur Luca Guadagnino auf Biegen und Brechen was „Gehobeneres“ als Dario Argentos kultisch verehrten Farbenrausch von 1977 abliefern wollte, aber in seinem Drang nach maximaler Relevanz letztendlich um einiges dümmer wirkte.


Dani geht’s immer noch nicht gut.

Erzählt wird von Doktorandin Dani (Florence Pugh), die nach mehreren Todesfällen in ihrer Familie im tiefen Jammertal lebt und da nicht mehr so recht raus findet. Erschwerend kommt noch dazu, dass die Beziehung zu ihrem Freund und Kommilitonen Christian (Jack Reynor) eine schwere Schlagseite hat. Der verdruckste Typ hat seine ständig deprimierte und jammernde Freundin im Grunde satt und will lieber mit Freunden nach Schweden düsen, um dort an der Feier zur Sommersonnenwende in einer abgelegenen ländlichen Gemeinde teilnehmen, traut sich anderseits aber nicht seine Noch-Freundin in den Wind zu schießen. Es kommt, wie es kommen muss: Dani fährt mit und die ganze Truppe landet in einem Dorf, dessen Bewohner zwar viehisch gut gelaunt sind, aber nach ganz, ganz eigenen Regeln leben …

Asters zweiter Film will alles sein: Beziehungsdrama, Stoner-Comedy, Mysterythriller und handfester Sektenhorror mit Splatter-Einlagen, sämtliche Komponente fest in eine Kunstfilm-Folie eingewickelt, die sich vor allem durch Bedeutungsoffenheit auszeichnet. Es könnte so, es könnte aber auch so sein. Keine Überraschung jedenfalls, dass momentan immer mehr Texte angespült werden, die die absurd lange Wichtigtuer-Oper (144 Minuten! Ein Director’s Cut mit sagenhaften 171 Minuten ist im Anflug!) mit der Relevanz aufladen, die sich in der Realität wohl nur im Ego des Regisseurs und Drehbuchautoren manifestiert.


Dani hätte eben lieber „Kindsköpfe 3“ gesehen. „Midsommar“

Das Problem ist ganz einfach, dass sich der Film auf keine der Ebenen so wirklich einlassen will: Das Beziehungsdrama scheitert daran, dass man kaum was von den Figuren erfährt. Sie ist halt depressiv und er ein Arsch. Das war’s. Für einen Mystery-Thriller spielt das übernatürliche Element eine viel zu kleine Rolle, der Horrorpart wiederum ist jederzeit vorhersehbar und wird durch viel zu dick aufgetragene Bluteffekte und mäßig amüsante humorigen Einlagen unterminiert. Wirklich inhaltliche Überraschungen irgendeiner Art gibt’s im Grunde keine, das Drehbuch marschiert gradlinig von Anfang bis Ende durch. Tiefe wird vor allem durch allerlei Details wie zum Beispiel die geschmäcklerische und zugegebenermaßen gelungene, bis ins Kleinste durchkomponierte visuelle Gestaltung oder die Umverteilung der klassischen Geschlechterrollen suggeriert: So kann man sich zum Beispiel durchaus fragen, was all die rätselhaften Zeichnungen an der Wand wohl zu bedeuten haben, oder beim Abspann ob hier von weibliche Selbstermächtigung erzählt wurde – man kann’s aber auch sein lassen und einfach Robin Hardys Überklassiker „The Wicker Man“ (1973) einlegen, der hier unübersehbar Pate stand. Und gleich danach den tollen „The Endless“  (ebenso vom letzten Jahr). Beide führen eindrucksvoll vor, was „Midsommar“ alles falsch macht. Und das ist so einiges.

„Midsommar“ läuft ab dem 26.09.2019 im Kino!

Midsommar (USA/Schweden/Ungarn 2019) • Regie: Ari Aster • Darsteller: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, William Jackson Harper, Will Poulter, Ellora Torchia

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