13. Januar 2020

Systemausfall #3

Eine Episode aus Martha Wells’ Roman „Tagebuch eines Killerbots“ als Seriennovelle – 3. Teil

Lesezeit: 46 min.

Martha Wells hat uns in ihrem Hugo-Award-gekrönten Roman „Tagebuch eines Killerbots“ (im Shop) einen Vorgeschmack auf das Innenleben von Robotern gegeben. Martha Wells: Tagebuch eines KillerbotsIn drei Folgen haben Sie nun Gelegenheit, „Systemausfall“, den ersten Teil des Romans, hier kostenlos zu lesen.

Worum geht’s?

In der fernen Zukunft hat sich die Menschheit in der gesamten Galaxis ausgebreitet. Interstellare Megakonzerne haben mithilfe von seelenlosen Kampfrobotern alles unter ihre Kontrolle gebracht. Einer dieser Bots wurde nun ausgemustert und wird als SecurityUnit für Menschen eingesetzt. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt für den Bot, um die eigene Steuerung zu hacken, ein eigenes Bewusstsein zu erlangen und über die eigene Rolle im Universum nachzudenken …

(Lesen Sie hier Teil #1/3 und #2/3

 

SYSTEMAUSFALL
#3/3

 

6

Die Menschen hatten diskutiert, wohin es gehen sollte. Oder jedenfalls nebenbei diskutiert, während der hektischen Kalkulation, wieviel von dem, was sie vielleicht zum Überleben brauchten, sie in die Hopper stopfen konnten. Da die Gruppe, die Ratthi inzwischen EvilSurvey nannte, Zugang zum HabSystem gehabt hatte, kannte sie auch unsere bisherigen Erkundungsgebiete. Wir mussten also woanders hin.

Wir flogen zu einer Gegend, die Overse und Ratthi nach einem kurzen Blick auf die Karte vorgeschlagen hatten. Es handelte sich um eine Kette von Felsenbergen, die aus einem dichten tropischen Dschungel aufragten und schwer von aller möglicher Fauna besetzt waren, was genügte, um die Scanner zu verwirren, die nach Hinweisen auf Leben suchten. Mensah und Pin-Lee gingen tiefer und landeten die Hopper zwischen Felsklippen. Ich hatte ein paar Drohnen hochgeschickt, damit wir uns das Gelände aus verschiedenen Perspektiven ansehen konnten, und wir besserten die Position der Hopper ein paarmal nach. Dann legte ich einen Perimeter fest.

Es kam uns wenig sicher vor, und obwohl wir ein paar Packs mit Notunterkünften in den Hoppern hatten, schlug niemand vor, sie aufzustellen. Die Menschen blieben vorerst an Bord und kommunizierten über Funk und den eingeschränkten Feed der Hopper. Das bot ihnen wenig Komfort (beispielsweise waren nur wenige und kleine Toiletten- und Waschräume vorhanden), aber höhere Sicherheit. Große und kleine Fauna bewegte sich in Reichweite unserer Scanner, neugierig und potenziell so gefährlich wie die Leute, die meine Klienten töten wollten.

Ich ging mit ein paar Drohnen nach draußen, um ein wenig aufzuklären und sicherzustellen, dass es keine Hinweise auf Viecher gab, die groß genug waren, um, sagen wir, den kleinen Hopper mitten in der Nacht wegzuschleppen. Außerdem gab es mir Gelegenheit zum Nachdenken.

Sie wussten über das Chefmodul Bescheid, also über sein Fehlen, und obwohl Mensah versprochen hatte, mich nicht zu melden, musste ich mir überlegen, was ich machen wollte.

Es ist falsch, sich ein Konstrukt als halb Bot und halb Mensch vorzustellen. Das klingt so, als wären die Hälften getrennt, als würde die Bothälfte gern Befehlen gehorchen und ihre Arbeit verrichten, während die menschliche Hälfte auf Sicherheit bedacht war und ihren Hintern schleunigst rausschaffen wollte. Ganz im Gegensatz zur Realität, die so aussah, dass ich ein ganzheitliches, verwirrtes Wesen war und keine Ahnung hatte, was ich eigentlich wollte. Was ich tun sollte. Was ich zu tun hatte.

Ich konnte sie sich selbst überlassen, dann mussten sie alleine klarkommen. Ich stellte mir das vor, stellte mir vor, wie Arada oder Ratthi von ferngelenkten SecUnits umzingelt waren, und mir drehte sich alles um. Ich hasse es, wenn die Realität Gefühle in mir auslöst; das soll doch bloß Waldmond schaffen.

Und was sollte ich denn dann machen? Von diesem leeren Planeten abhauen und einfach leben, bis meine Akkus hinüber waren? Wenn ich das vorhatte, hätte ich besser planen und mehr Unterhaltungsmedien runterladen sollen. Ich bezweifle, dass ich so viel abspeichern könnte, dass es reicht, bis meine Akkus erschöpft sind. Laut Datenblatt bräuchte ich dafür mehrere hunderttausend Stunden.

Und außerdem kam das sogar mir wie eine beknackte Aktion vor.

+

Overse hatte irgendein Fernerkundungsgerät aufgestellt, das uns ebenfalls warnen würde, wenn irgendetwas versuchte, die Gegend zu scannen. Als die Menschen wieder in die beiden Hopper stiegen, zählte ich sie rasch im Feed durch und überzeugte mich davon, dass noch alle da waren. Mensah wartete an der Rampe und bedeutete mir, dass sie mich unter vier Augen sprechen wollte.

Ich stellte Feed und Funk stumm, und sie sagte: „Ich weiß, du fühlst dich mit undurchsichtigem Helm wohler, aber die Lage hat sich geändert. Wir müssen dich sehen können.“

Ich wollte das nicht. Jetzt noch weniger als sonst. Sie wussten zu viel über mich. Aber ich war darauf angewiesen, dass sie mir vertrauten, nur so konnte ich weiterhin meiner Arbeit nachgehen und sie am Leben halten. Also richtig meine Arbeit machen und mich nicht bloß durchmogeln wie bisher, bevor es mit den mörderischen Aktionen gegen meine Klienten losgegangen war. Trotzdem wollte ich das nicht. „Normalerweise ist es besser, wenn Menschen mich als Roboter betrachten.“

„Unter normalen Umständen vielleicht.“ Sie versuchte, Blickkontakt zu vermeiden, und sah leicht an mir vorbei, was ich zu schätzen wusste. „Aber diese Situation ist nicht normal. Es wäre besser, wenn sie dich als ein Individuum betrachten könnten, das zu helfen versucht. Denn so sehe ich dich.“

In mir zerschmolz alles. Anders kann ich es nicht beschreiben. Nach einer Minute hatte ich mein Gesicht wieder unter Kontrolle, machte das Visier durchsichtig und ließ den Helm sich in den Panzer zurückfalten.

„Danke“, sagte sie, und ich folgte ihr hoch in den Hopper.

Die anderen verstauten die Sachen, die vor dem Abflug einfach nur reingeworfen worden waren. „… wenn sie die Satellitenfunktion wiederherstellen“, sagte Ratthi gerade.

„Das Risiko gehen sie erst ein, wenn – falls sie uns haben“, sagte Arada.

Pin-Lee seufzte über Funk, wütend und frustriert. „Wenn wir nur wüssten, wer diese Arschlöcher sind.“

„Wir müssen überlegen, was wir als Nächstes unternehmen.“ Mensah unterbrach das ganze Gerede und setzte sich hinten hin, wo sie die komplette Kabine im Blick hatte. Die anderen setzten sich ebenfalls, mit dem Gesicht zu ihr, und Ratthi drehte einen der mobilen Sitze zu ihr herum. Ich setzte mich auf die Bank an der Steuerbordwand. Der Feed lieferte eine Ansicht der Kabine des kleinen Hoppers, wo der Rest des Teams saß und sich anmeldete, um zu zeigen, dass sie zuhörten. Mensah fuhr fort. „Es gibt auch noch eine Frage, auf die ich gern antworten möchte.“

Gurathin sah mich erwartungsvoll an. Sie redet nicht von mir, Schwachkopf.

Ratthi nickte düster. „Warum? Warum machen die das überhaupt? Was springt dabei für sie raus?“

„Es muss etwas mit diesen ausgestanzten Kartenteilen zu tun haben“, sagte Overse. Sie stellte die gespeicherten Bilder in ihren Feed. „Dort gibt es offensichtlich irgendwas, das sie wollen und das wir genauso wenig wie DeltFall finden sollen.“

Mensah stand auf und ging umher. „Ist in der Analyse schon irgendwas aufgetaucht?“

Im Feed beriet sich Arada kurz mit Bharadwaj und Volescu. „Bis jetzt nicht, aber wir hatten auch noch nicht alle Tests abgeschlossen. Soweit ist nichts Interessantes dabei rausgekommen.“

„Rechnen die sich ernsthaft aus, damit durchkommen zu können?“ Ratthi wandte sich an mich und schien eine Antwort zu erwarten. „Wie es aussieht, können sie die Firmensysteme und den Satelliten hacken und wollen die Schuld den SecUnits in die Schuhe schieben, aber … das wird doch umfassende Ermittlungen nach sich ziehen. Das muss ihnen doch klar sein.“

Es spielten zu viele Faktoren hinein, zu viele unbekannte obendrein, aber ich soll auf direkte Fragen antworten und bin selbst ohne das Chefmodul ein Gewohnheitstier. „Sie gehen vielleicht davon aus, dass die Firma und ihre sonstigen Begünstigten nicht weiter als bis zu den freidrehenden SecUnits schauen. Aber zwei komplette Erkundungsteams können sie nur verschwinden lassen, wenn diese ihren jeweiligen Unternehmen oder politischen Instanzen egal sind. Ist DeltFall wichtig für seine Leute? Und Sie für Ihre Leute?“

Daraufhin starrten sie mich aus einem unerfindlichen Grund an. Ich musste den Blick abwenden und aus der Luke schauen. Ich wollte so dringend meinen Helm schließen, dass meinen organischen Teilen der Schweiß ausbrach, aber ich spielte das Gespräch mit Mensah ein weiteres Mal ab und schaffte es, darauf zu verzichten.

„Du weißt nicht, wer wir sind? Die haben es dir nicht gesagt?“, fragte Volescu.

„Im ersten Download war eine Infodatei.“ Ich starrte immer noch zu dem dichten grünen Gewirr gleich hinter den Felsen hinaus. Ich hatte absolut keine Lust, darüber zu reden, wie wenig Aufmerksamkeit ich meiner Arbeit widmete. „Ich habe sie nicht gelesen.“

Arada fragte sanft: „Wieso nicht?“

Da mich alle anstarrten, fiel mir keine gute Lüge ein. „Hatte keine Lust.“

Gurathin sagte: „Und das sollen wir dir glauben.“

Ich spürte, wie mein Gesicht arbeitete, wie sich das Kinn vorschob. Körperliche Reaktionen, die ich nicht unterdrücken konnte. „Dann will ich versuchen, mich präziser auszudrücken. Ich war desinteressiert und leicht genervt. Glauben Sie mir das?“

„Wieso willst du nicht, dass wir dich ansehen?“, fragte er.

Meine Kiefermuskeln waren jetzt so angespannt, dass sie einen Leistungszuverlässigkeitsalarm in meinem Feed auslösten. „Da gibt es nichts zu sehen. Ich bin kein Sexbot“, erklärte ich.

Ratthi gab einen Laut von sich, halb Seufzen, halb frustriertes Schnauben. Es galt nicht mir. „Habe ich dir doch gesagt, Gurathin. Sie ist schüchtern.“

Overse fügte hinzu: „Sie will nicht mit Menschen interagieren. Und wieso sollte sie? Du weißt, wie Einheiten behandelt werden, zumal in wirtschaftlich-politischen Zusammenhängen.“

Gurathin wandte sich zu mir um. „Also hast du zwar kein Chefmodul, aber wir könnten dich bestrafen, indem wir dich ansehen.“

Ich erwiderte seinen Blick. „Jedenfalls bis zu dem Moment, wo mir einfällt, dass in meine Arme Waffen integriert sind.“

Mit einem ironischen Unterton in der Stimme sagte Mensah: „Da hast du‘s, Gurathin. Sie hat dich bedroht, aber nicht zu Gewaltmitteln gegriffen. Bist du jetzt zufrieden?“

Er lehnte sich zurück. „Fürs Erste schon.“ Also hatte er mich auf die Probe gestellt. Donnerwetter, das war mutig. Und ganz schön dumm. Zu mir sagte er: „Ich wollte sichergehen, dass du nicht unter irgendeinem äußeren Zwang stehst.“

„Das reicht.“ Arada stand auf und setzte sich in meiner unmittelbaren Nähe nieder. Ich wollte mich nicht an ihr vorbeidrängen, also war ich jetzt in der Ecke gefangen. Sie sagte: „Du musst ihr Zeit geben. Sie hat bisher noch nie offen als freies Individuum mit Menschen interagiert. Das hier ist für uns alle eine Lernerfahrung.“

Die anderen nickten, als würde das einleuchten.

Mensah schickte mir über Feed eine Privatnachricht: Ich hoffe, es geht dir gut.

Weil Sie mich brauchen. Keine Ahnung, wo das nun wieder herkam. Na gut, von mir, aber sie war meine Klientin, ich war eine SecUnit. Es gab zwischen uns keinen emotionellen Vertrag. Ich hatte keinen rationalen Grund dafür, zu klingen wie ein weinendes Menschenbaby.

Natürlich brauche ich dich. Ich habe mit alldem keinerlei Erfahrung. Die hat von uns niemand. Manchmal können Menschen es nicht vermeiden, Gefühle durch den Feed sickern zu lassen. Sie hatte Angst, und sie war stinksauer, nicht auf mich, sondern auf die Leute, die so etwas taten, die töteten, die ein ganzes Erkundungsteam hinmetzelten und die Schuld den SecUnits in die Schuhe schoben. Sie kämpfte mit ihrem Zorn, doch ihre Miene zeigte nichts als ruhige Besorgnis. Ich spürte über Feed, wie sie sich wappnete. Du bist hier die Einzige, die nicht in Panik verfällt. Je länger diese Situation andauert, desto mehr werden das die anderen. Wir müssen zusammenhalten und unsere Köpfe benutzen.

Damit hatte sie absolut recht. Und ich konnte helfen, einfach dadurch, dass ich die SecUnit war. Ich allein hatte hier für Sicherheit zu sorgen. Ich verfalle ständig in Panik, ich lasse es mir nur nicht anmerken, erklärte ich ihr. Ich fügte den Textsignifikanten für „Scherz“ hinzu.

Sie antwortete nicht, aber sie senkte den Blick und lächelte in sich hinein.

Ratthi sagte gerade: „Es gibt noch eine andere Frage. Wo stecken sie? Sie sind von Süden her zum Habitat gekommen, aber das besagt gar nichts.“

„Ich habe drei Drohnen beim Habitat zurückgelassen. Mit abgeschaltetem HabSystem haben sie keine Scanningfunktion, aber die Kameras und Mikros funktionieren trotzdem. Vielleicht zeichnen sie irgendwas auf, das Ihre Fragen beantwortet“, erklärte ich.

Eine Drohne hatte ich in einem Baum mit Fernblick aufs Habitat hinterlassen, eine in einem Winkel des ausfahrbaren Dachs über dem Eingang und eine versteckt unter einer Konsole in der Hauptkuppel. Sie waren einen Strich über inaktiv und nahmen nur auf, sodass sie bei einem Scan durch EvilSurvey in der Hintergrundenergie des Habitatumweltsystems untergingen. Ich hatte die Drohnen nicht wie normalerweise für die Datenspeicherung und das Ausfiltern der langweiligen Stellen mit SecSystem koppeln können, denn nach so etwas suchte EvilSurvey natürlich. Deshalb hatte ich die Speicherinhalte von SecSystem ins System des großen Hoppers kopiert und Sec anschließend bereinigt.

Außerdem wollte ich vermeiden, dass sie noch mehr über mich erfuhren, als sie ohnehin schon wussten.

Wieder sahen mich alle an – verblüfft, dass Killerbot sich etwas ausgedacht hatte. Ehrlich gesagt konnte ich ihnen keinen Vorwurf machen. In unseren Lernmodulen fehlte so etwas, aber hier zeigte sich einmal mehr, dass es sich gelohnt hatte, dermaßen viele Thriller und Abenteuergeschichten anzusehen und zu lesen. Mensah zog anerkennend die Augenbrauen hoch. Sie sagte: „Aber ihr Signal kannst du von hier aus nicht empfangen.“

„Nein, ich muss mir die Daten dann holen gehen.“

Pin-Lee beugte sich näher in den Kamerabereich des kleinen Hoppers. „Eigentlich müsste ich eine Drohne mit einem kleinen Scanner ausrüsten können. Sie ist dann natürlich langsam und klobig, aber damit bekämen wir noch etwas anderes als nur Audio und Video.“

Mensah nickte. „Tu das, aber denk an unsere eingeschränkten Mittel.“ Sie tippte mich über Feed an, damit ich wusste, dass sie mit mir redete, ohne dass sie mich ansehen musste. „Was glaubst du, wie lange die andere Gruppe bei unserem Habitat bleiben wird?“

Von Volescu im anderen Hopper kam ein Ächzen. „Unsere ganzen Proben. Wir haben die Daten, aber wenn sie unsere Arbeit vernichten …“

Die anderen stimmten ihm zu und verliehen ihrer Frustration und Besorgnis Ausdruck. Ich stellte sie stumm und antwortete Mensah: „Ich glaube nicht, dass sie lange bleiben. Dort gibt es nichts, was sie wollen.“

Für einen winzigen Moment ließ Mensah ihr Gesicht ausdrücken, wie besorgt sie war. „Weil sie uns wollen“, sagte sie leise.

Und auch damit hatte sie absolut recht.

+

Mensah hatte einen Wachplan aufgestellt, der auch eine Zeit für mich auswies, in der ich auf Standby gehen und eine Diagnose- und Aufladephase durchlaufen konnte. Außerdem wollte ich diese Zeit dafür nutzen, ein bisschen Waldmond zu gucken und meine Fähigkeit aufzuladen, auf engem Raum mit Menschen klarzukommen, ohne durchzudrehen.

Nachdem die Menschen zur Ruhe gekommen waren und entweder schliefen oder sich in ihre persönlichen Feeds vertieften, ging ich den Perimeter ab und überprüfte die Drohnen. Nachts gab es mehr Geräusche als tagsüber, aber bisher hatten sich nur Insekten und einige wenige Reptilien den Hoppern genähert. Als ich durch die Luke des großen Hoppers stieg, hatte Ratthi gerade Wache. Er saß oben im Cockpit und behielt die Scanner im Auge. Ich ging am Besatzungsbereich vorbei und setzte mich zu ihm. Er nickte mir zu und fragte: „Alles in Ordnung?“

„Ja.“ Ich hätte es lieber nicht gefragt, aber mir blieb nichts anderes übrig. Als ich nach Permanentspeicher für all meine Entertainmentdownloads gesucht hatte, war das Infopack eine der Dateien gewesen, die ich rauswarf. (Schon klar, aber ich bin eben den vielen Speicherplatz von SecSystem gewöhnt.) Ich rief mir ins Gedächtnis, was Mensah gesagt hatte, und machte meinen Helm auf. Das fiel mir zu zweit mit Ratthi und nebeneinander Richtung Konsole sitzend leichter. „Warum fanden es alle so seltsam, dass ich gefragt habe, ob Ihre politische Instanz Sie vermissen würde?“

Ratthi lächelte zur Konsole hin. „Weil Dr. Mensah unsere politische Instanz ist.“ Er vollführte eine kleine Geste, eine Drehung der Handfläche nach oben. „Wir gehören zu Preservation Alliance, einer nichtkommerziellen Entität. Dr. Mensah ist die derzeitige Erste Administratorin des Lenkungskreises. Das ist eine gewählte Position mit begrenzter Amtszeit. Aber zu unseren heimatlichen Prinzipien zählt, dass unsere Führungsleute weiterhin ihren regulären Beruf ausüben, egal welchen. Dr. Mensahs regulärer Beruf hat diese Prospektion erfordert, also ist sie hier, und so ist das jetzt eben.“

Da kam ich mir natürlich ein bisschen blöd vor. Ich verdaute das immer noch, als er sagte: „Weißt du, auf dem Territorium der Preservation sind Bots den Menschen gleichgestellt. Das gilt erst recht für Konstrukte.“ Er sagte das im Tonfall eines dezenten Hinweises.

Klar doch. Aber „gleichgestellte“ Bots brauchen immer noch einen menschlichen oder augmentiert-menschlichen Vormund, üblicherweise ihren Arbeitgeber; das hatte ich in den Nachrichten gesehen. In den Serien ebenfalls, wo die Bots allesamt glückliche Diener oder insgeheim in ihre Arbeitgeber verliebt waren. Wenn dort Bots gezeigt worden wären, die den ganzen Tageszyklus über abhingen und Entertainmentfeed gafften, ohne dass jemand sie dazu bringen wollte, über ihre Gefühle zu reden, wäre ich deutlich interessierter gewesen. „Aber die Firma weiß, wer sie ist.“

Ratthi seufzte. „Aber ja, dort wissen sie Bescheid. Du würdest nicht glauben, welche Prozente wir einräumen mussten, um die Finanzierung dieser Prospektion zu sichern. Diese Kommerzdrecksäcke rauben dich aus.“

Das bedeutete, dass die Firma nicht lange fackeln würde, falls wir die Bake je hochgeschossen bekamen. Sie würde uns schleunigst den Transporter schicken; kein Bestechungsgeld von EvilSurvey konnte das verhindern. Vielleicht schickten sie sogar ein schnelleres Securityschiff voraus, um sich des Problems anzunehmen, bevor der Transporter eintraf. Für eine politische Führerin kostete die Finanzierung natürlich extra, aber dafür war die Zahlung, die die Firma leisten musste, falls ihr irgendetwas zustieß, auch jenseits von Gut und Böse. Die horrende Summe, die Herabstufung gegenüber den anderen Finanzierungsgesellschaften und in den Nachrichten … Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und verschloss den Helm, um darüber nachzudenken.

Wir wussten nicht, wer EvilSurvey war, mit wem wir es zu tun hatten. Aber ich wette, dass sie das umgekehrt auch nicht wussten. Mensahs Status stand nur im Securityinfopack, das im SecSystem gespeichert war, auf das sie nie hatten zugreifen können. Die konkurrierenden Ermittlungen, falls uns etwas zustieß, würden zwangsläufig gründlich sein, da die Firma unbedingt die Verantwortung würde von sich weisen und die Begünstigten sie ihr unbedingt würden zuschieben wollen. Keine Seite würde sich lange von dem Ablenkungsmanöver mit den freidrehenden Sec­Units täuschen lassen.

Ich hatte keine Ahnung, wie wir das für uns nutzen konnten, jedenfalls vorläufig nicht. Es tröstete mich nicht, und es hätte bestimmt auch die Menschen nicht getröstet, zu wissen, dass die dämliche Firma sie rächen würde, falls/wenn sie alle ermordet wurden.

+

Also machte ich mich am nächsten Tag bereit, den kleinen Hopper zurück in Reichweite des Habitats zu bringen, um hoffentlich Daten von den Drohnen zu empfangen. Ich wollte allein fliegen, doch da kein Mensch auf mich hört, kamen Mensah, Pin-Lee und Ratthi ebenfalls mit.

Am Vormittag war ich niedergeschlagen gewesen. Ich hatte in der Nacht versucht, ein paar neue Folgen zu gucken, und selbst die hatten mich nicht ablenken können; die Realität stürmte zu sehr auf mich ein. Es war brutal schwer, mir nicht vorzustellen, wie alles schiefging und sie alle starben und ich in Stücke geschossen wurde oder ein neues Chefmodul eingesetzt bekam.

Gurathin kam während der Flugklarkontrolle und verkündete: „Ich komme mit.“

Genau das hatte ich noch gebraucht. Ich beendete die Diagnose der Akkus. „Ich dachte, Sie wären soweit zufrieden.“

Er brauchte einen Moment. „Was ich gestern Abend gesagt habe, ja.“

„Ich erinnere mich an jedes Wort, das je an mich gerichtet wurde.“ Das war gelogen. Wer will denn sowas? Das meiste davon löschte ich immer gleich aus dem permanenten Speicher.

Er sagte nichts. Über Feed erklärte Mensah, dass ich ihn nicht mitzunehmen brauchte, wenn ich nicht wollte oder der Ansicht war, dass es die Sicherheit des Teams gefährdete. Ich wusste, dass Gurathin mich erneut auf die Probe stellte, aber wenn etwas schiefging und er getötet wurde, würde mir das nicht so viel ausmachen wie bei einem der anderen. Ich hätte lieber Mensah, Ratthi und Pin-Lee zurückgelassen; die wollte ich nicht in Gefahr bringen. Und während des langen Flugs kam Ratthi vielleicht auf die Idee, mit mir über meine Gefühle sprechen zu wollen.

Ich sagte Mensah, dass es in Ordnung ging, und wir machten uns zum Abflug bereit.

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Ich wollte in einem großen Kreis nach Westen fliegen, damit EvilSurvey aus meinem Kurs nicht auf die Position der Menschen schließen konnte, falls sie den Hopper orteten. Als wir in Position für die Annäherung ans Habitat waren, ließ das Licht bereits nach. Bei Erreichen des Zielgebiets würde es stockdunkel sein.

Die Menschen hatten in der vorigen Nacht wegen der Überbelegung und der großen Wahrscheinlichkeit zu sterben kaum Schlaf gefunden. Mensah, Ratthi und Pin-Lee waren zu müde gewesen, um viel zu reden, und schließlich eingenickt. Gurathin saß im Copilotensitz und hatte die ganze Zeit über kein Wort gesagt.

Wir flogen im Dunkelmodus, ohne Scheinwerfer, ohne Datentransfer. Ich war in den intern begrenzten Feed des kleinen Hoppers gestöpselt, um mir die Scans noch einmal genauer anzusehen. Gurathin war sich durch sein Implantat des Feeds bewusst – ich konnte ihn da drin spüren –, aber er benutzt ihn ausschließlich dafür, unsere Position zu verfolgen.

Als er sagte: „Ich habe eine Frage“, zuckte ich zusammen. Die bisherige Stille hatte mir ein falsches Gefühl von Sicherheit vermittelt und mich eingelullt.

Ich erwiderte seinen Blick nicht, obwohl ich ihn über Feed mitbekam. Meinen Helm hatte ich offengelassen; mir war nicht danach, mich vor ihm zu verstecken. Nach einem Moment begriff ich, dass er auf meine Erlaubnis wartete. Das war neu. Und befremdend. Es verlockte mich sehr, ihn zu ignorieren, andererseits fragte ich mich, was er sich wohl diesmal für eine Probe ausgedacht hatte. Irgendetwas, das die anderen nicht hören sollten? „Legen Sie los“, sagte ich.

„Bist du für die Toten des Bergbauteams eigentlich bestraft worden?“

Es kam nicht völlig überraschend. Ich glaube, das hätten sie alle gern gefragt, aber vielleicht war er als Einziger ungehobelt genug. Oder mutig genug. Es ist eine Sache, einen Killerbot mit Chefmodul zu provozieren, und etwas völlig anderes, das mit einem freidrehenden Killerbot zu machen.

Ich antwortete: „Nein, nicht, wie Sie denken. Nicht so, wie ein Mensch bestraft werden würde. Sie haben mich eine Zeitlang abgestellt und dann in Intervallen wieder online gebracht.“

Er zögerte. „Ohne dass du es mitbekommen hast?“

Ja, so ließe sich das schönreden, stimmt‘s? „Die organischen Teile schlafen die meiste Zeit über, aber nicht durchgehend. Man merkt, dass irgendetwas passiert. Sie haben versucht, meinen Speicher zu bereinigen. Zum Verschrotten sind wir zu teuer.“

Er sah wieder aus der Luke. Wir gingen gerade im Tiefflug über Bäume hinweg, und ich hatte einen Großteil meiner Aufmerksamkeit auf die Geländesensoren gelegt. Ich spürte im Feed, wie mich Mensahs Aufmerksamkeit streifte. Sie musste aufgewacht sein, als Gurathin gesprochen hatte. Schließlich fragte er: „Du machst den Menschen keine Vorwürfe für das, was du hast tun müssen? Was dir passiert ist?“

Deshalb bin ich froh, dass ich kein Mensch bin. Die kommen auf solches Zeug. „Nein. So etwas machen Menschen. So dumm sind Konstrukte nicht.“

Was hätte ich denn tun sollen, alle Menschen umbringen, weil die für Konstrukte Zuständigen in der Firma gefühllos waren? Zugegeben, ich mochte die imaginären Leute im Entertainmentfeed deutlich lieber als echte, aber du kannst die einen nicht ohne die anderen haben.

Die Menschen fingen an, sich zu regen. Sie wachten auf und setzten sich hin, und er stellte keine weiteren Fragen mehr.

+

Als wir in Reichweite kamen, war es eine wolkenlose Nacht, und der Ring glühte am Himmel wie ein Band. Ich hatte die Geschwindigkeit bereits gesenkt, und wir bewegten uns langsam über die spärlichen Bäume hinweg, mit denen die Hügel am Rand der Ebene geschmückt waren, auf der das Habitat stand. Ich wartete schon eine Weile darauf, dass die Drohnen mich wie vorgesehen anpingten, wenn das Ganze funktioniert und EvilSurvey sie nicht aufgespürt hatte.

Als ich diese erste zaghafte Berührung in meinem Feed spürte, hielt ich den Hopper an und senkte ihn unter die Baumlinie. Ich setzte ihn am Hang auf, und die Landestützen glichen die Schräge aus. Die Menschen warteten nervös und ungeduldig, aber niemand sagte etwas. Von hier aus war nichts zu sehen als der nächste Hügel und haufenweise Baumstämme.

Alle drei Drohnen waren immer noch aktiv. Ich beantwortete die Pings und versuchte, das Senden so kurz wie möglich zu halten. Nach einem Moment der Anspannung kamen die Downloads. Aus den Zeitstempeln konnte ich schließen, dass die Drohnen aufgrund fehlender anderslautender Anweisungen alles komplett mitgeschnitten hatten, vom Moment ihres Ausschickens an bis jetzt. Obwohl der Teil, der uns am meisten interessierte, irgendwo am Anfang sein musste, waren das jede Menge Daten. Ich wollte hier nicht so lange bleiben, bis ich sie selbst durchgegangen war, also schob ich die Hälfte für Gurathin in den Feed. Wieder sagte er nichts, sondern drehte sich nur mit seinem Sessel um, legte sich hin, schloss die Augen und fing mit der Durchsicht an.

Als Erstes überprüfte ich die Drohne draußen im Baum und spielte ihr Video im Zeitraffer ab, bis ich den Moment fand, in dem sie ein gutes Bild des Fahrzeugs von EvilSurvey geschossen hatte.

Es war ein großer Hopper, ein neueres Modell als unserer, und hätte niemanden zu einem zweiten Blick veranlasst. Er umkreiste ein paarmal unser Habitat, wahrscheinlich für Scans, und setzte dann auf unserer leeren Landefläche auf.

Sie mussten wissen, dass wir nicht mehr anwesend waren, da die Luftfahrzeuge fehlten und niemand auf ihre Funkanfragen antwortete, also mussten sie auch gar nicht erst so tun, als würden sie sich Werkzeug leihen oder Gebietsdaten austauschen wollen. Fünf SecUnits eilten aus den Frachtbehältern, alle bewaffnet mit den großen Projektilwaffen für den Schutz von Prospektionsteams auf Planeten mit gefährlicher Fauna wie diesem. Dem Muster auf den Brustpanzern nach zu schließen waren zwei von ihnen die überlebenden DeltFall-Einheiten. Sie mussten in ihre Schlafzellen gesteckt worden sein, nachdem wir aus dem DeltFall-Habitat entkommen waren.

Drei gehörten zu EvilSurvey und wiesen ein quadratisches graues Logo auf. Ich zoomte es näher und schickte es den anderen. „GrayCris“, las Pin-Lee laut.

„Je davon gehört?“, fragte Ratthi, und die anderen verneinten.

Bei allen fünf SecUnits mussten die Gefechtsmodule installiert sein. Sie bewegten sich Richtung Habitat, und fünf Menschen, anonym in ihren farblich gekennzeichneten Feldanzügen, stiegen aus dem Hopper und folgten. Sie waren ebenfalls allesamt bewaffnet, mit den von der Firma gelieferten Handwaffen, die nur dafür gedacht waren, bei faunabezogenen Notfällen eingesetzt zu werden.

Ich konzentrierte mich so intensiv auf die Menschen, wie die Bildqualität es zuließ. Sie verbrachten einige Zeit mit Scannen und der Suche nach Fallen, was mich umso froher sein ließ, dass ich keine Zeit damit vergeudet hatte, welche aufzustellen. Aber irgendetwas an ihnen führte mich zu der Vermutung, dass sie keine Profis waren. Sie waren ebenso wenig Soldaten wie ich. Ihre Sec­Units waren keine Kampfeinheiten, sondern nur reguläre, von der Firma geleaste Security. Eine Erleichterung. Wenigstens war ich nicht die Einzige, die keine Ahnung hatte.

Schließlich betraten sie das Habitat und ließen draußen zwei SecUnits zur Bewachung ihres Hoppers zurück. Ich markierte den Abschnitt, schickte ihn Mensah und den anderen zur Ansicht und beobachtete dann weiter.

Gurathin setzte sich plötzlich auf und fluchte in einer Sprache, die ich nicht kannte. Ich wollte den Spruch speichern, um ihn später im Sprachenzentrum des großen Hoppers nachzuschlagen, aber dann verkündete er: „Wir haben ein Problem.“

Ich stellte meinen Teil des Drohnen-Downloads auf Pause und sah mir den Abschnitt an, den er soeben markiert hatte. Er stammte von der in der Kuppel versteckten Drohne.

Das Video zeigte das unscharfe Bild einer gerundeten Tragstrebe, aber als Ton erklang eine menschliche Stimme. „Ihr habt gewusst, dass wir kommen, daher gehe ich davon aus, dass ihr uns gerade sehen könnt.“ Sie sprach Standardwortschatz mit wenig Betonung. „Wir haben eure Bake zerstört. Kommt zu dieser Zeit zu dieser Position …“ Sie nannte einen Zeitstempel und ein Koordinatenpaar, das der kleine Hopper mir hilfreicher Weise auf der Karte markierte. „… dann lässt sich eine Vereinbarung treffen. Das Ganze muss nicht in Gewalt enden. Wir sind gern zu einem finanziellen Ausgleich bereit oder was ihr euch sonst vorstellt.“

Dann kamen nur noch leiser werdende Schritte und das Zugleiten der Tür.

Gurathin, Pin-Lee und Ratthi fingen alle gleichzeitig zu reden an. Mensah sagte: „Ruhe.“ Sie verstummten. „SecUnit, deine Einschätzung.“

Zum Glück hatte ich eine auf Lager. Bis zum Drohnen-Download hatte meine Einschätzung vor allem Ach du Scheiße gelautet. „Die haben nichts zu verlieren. Wenn wir zu dem Treffpunkt kommen, brauchen sie sich nicht länger den Kopf zu zerbrechen und können uns einfach töten. Wenn nicht, müssen sie uns bis Projektende suchen“, sagte ich.

Gurathin sah sich inzwischen das Landevideo an. Er sagte: „Noch ein Indiz, dass nicht die Firma dahintersteckt. Sie wollen uns offensichtlich nicht bis Projektende jagen.“

Ich konnte es mir nicht verkneifen: „Ich habe doch gesagt, dass nicht die Firma dahintersteckt.“

Bevor Gurathin reagieren konnte, ging Mensah dazwischen. „Die gehen davon aus, dass wir wissen, warum sie hier sind, warum sie das machen.“

„Da liegen sie falsch“, sagte Ratthi frustriert.

Mensah runzelte die Stirn, während sie das Problem für die anderen Menschen zerlegte. „Aber wieso gehen sie davon aus? Weil sie offensichtlich wissen, dass wir zu einer der nicht kartografierten Regionen geflogen sind. Das heißt, die Antwort verbirgt sich in den Daten, die wir gesammelt haben.“

Pin-Lee nickte. „Also wissen sie es inzwischen wirklich.“

„Das gibt uns Handlungsspielraum“, sagte Mensah nachdenklich. „Aber was fangen wir damit an?“

Und in diesem Moment kam mir eine geniale Idee.

 

7

Also flogen Mensah und ich am nächsten Tag zur verabredeten Zeit zum Treffpunkt.

Gurathin und Pin-Lee hatten eine meiner Drohnen um eine begrenzte Scanfunktion ergänzt. (Begrenzt, weil die Drohne für die meisten Komponenten zu klein war, die ein Scanner mit größerer und breiterer Reichweite brauchte.) Am Abend hatte ich sie rauf in die Hochatmosphäre geschickt, damit wir die Stelle von oben sehen konnten.

Sie befand sich in der Nähe ihrer Basis, die nur vielleicht zwei Kilometer entfernt war, ein ähnliches Habitat wie das von DeltFall. Aus der Größe ihres Habitats und der Anzahl der SecUnits inklusive der Einheit, die Mensah mit dem Bergbaubohrer erledigt hatte, ließ sich schließen, dass ihr Team aus dreißig bis vierzig Mitgliedern bestand. Sie waren eindeutig sehr optimistisch, aber andererseits hatten sie Zugang zu unserer Kuppel gehabt und wussten, dass sie es mit einer kleinen, wissenschaftlich orientierten Gruppe und einer einzelnen gebrauchten und kaputten SecUnit zu tun hatten.

Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht wussten, wie kaputt ich in Wirklichkeit war.

Als der Hopper das erste Piepen eines Scannerkontakts empfing, schlug Mensah sofort auf die Funktaste. „GrayCris, lassen Sie sich gesagt sein, dass meine Gruppe Beweismittel Ihrer Aktivitäten auf diesem Planeten gesichert und an verschiedenen Stellen versteckt hat, von denen aus sie zum Abholschiff übertragen werden, sobald es eintrifft.“ Das ließ sie drei Sekunden lang wirken und fügte dann hinzu: „Sie wissen, dass wir die fehlenden Karten­teile gefunden haben.“

Eine lange Pause schloss sich an. Ich bremste und scannte nach herannahenden Waffen, obwohl die Chancen gut standen, dass sie gar keine besaßen.

Der Funkkanal wurde aktiv, und eine Stimme sagte: „Wir können unsere Lage besprechen. Es lässt sich ein Arrangement treffen.“ Es ging so viel Scannen und Antiscannen hin und her, dass die Stimme aus Statik bestand. Das klang gruselig. „Landen Sie Ihr Fahrzeug, und wir können reden.“

Mensah wartete eine Minute, als würde sie es sich durch den Kopf gehen lassen, dann antwortete sie: „Ich schicke Ihnen unsere SecUnit zur Besprechung.“ Sie schaltete den Funk aus.

Im Näherkommen bekamen wir ein Bild vom Treffpunkt. Es handelte sich um ein niedriges, von Bäumen umstandenes Plateau. Im Westen war ihr Habitat sichtbar. Weil die Bäume bis dicht an ihr Basislager heran standen, befanden sich ihre Kuppeln und die Landeflächen auf großzügigen erhöhten Flächen. Das verlangte die Firma als Sicherheitsmerkmal, wenn man sein Habitat irgendwo haben wollte, wo es kein offenes Gelände gab. Es kostete extra, und wenn man ablehnte, kostete es mehr Beteiligung. Unter anderem aus diesem Grund ging ich davon aus, dass meine geniale Idee funktionieren würde.

Auf der Freifläche des Plateaus standen sieben Gestalten: vier SecUnits und drei Menschen in farblich gekennzeichneten Schutzanzügen, blau, grün und gelb. Das bedeutete, dass sie eine Einheit und mindestens siebenundzwanzig Menschen im Habitat zurückgelassen hatten, jedenfalls nach der Faustregel eine geleaste SecUnit auf zehn Menschen. Ich brachte uns auf einen tiefergelegenen Felsen hinter einigen Bäumen und Büschen runter, die ihnen die Sicht versperrten.

Ich stellte die Steuerkonsole auf Standby und sah Mensah an. Sie presste die Lippen aufeinander, als würde sie sich bestimmte Worte verkneifen. Dann nickte sie entschlossen und sagte: „Viel Glück.“

Ich hatte das Gefühl, etwas zu ihr sagen zu müssen, wusste aber nicht, was, und starrte sie einfach ein paar Sekunden lang verlegen an. Dann versiegelte ich meinen Helm und stieg so schnell aus dem Hopper, wie ich konnte.

Ich ging durch die Bäume und lauschte nach der fünften Sec­Unit, die mir vielleicht irgendwo auflauerte, doch im Unterholz waren keine Bewegungen zu hören. Ich kam aus der Deckung und stieg den Felshang zum Plateau hinauf, dann ging ich zu der Gruppe und lauschte dabei dem Knistern im Funk. Sie wollten mich dicht ranlassen, was mich erleichterte. Ich hätte es gehasst, hier falsch zu liegen. Da wäre ich mir ziemlich dumm vorgekommen.

In einigen Metern Entfernung blieb ich stehen, öffnete den Kanal und sagte: „Ich bin die der PreservationAux-Prospektion zugeteilte SecUnit. Ich wurde geschickt, um mit Ihnen über ein Arrangement zu reden.“

In diesem Moment spürte ich den Impuls, ein Signalbündel, das dazu gedacht war, mein Chefmodul zu übernehmen und es abstürzen zu lassen – und damit auch mich. Sie wollten mich offensichtlich lähmen und mir das Gefechtsmodul wieder in den Datenport stecken.

Wie gut also, dass mein Chefmodul nicht funktionierte und ich bloß ein sanftes Prickeln spürte.

Einer der Menschen kam auf mich zu. Ich sagte: „Ich gehe davon aus, dass Sie mir wieder ein Gefechtsmodul einstecken und mich zurückschicken wollen, damit ich sie töte.“ Ich aktivierte die Schießöffnungen in den Armen, fuhr die Waffen aus und ließ sie wieder verschwinden. „Ich rate von diesem Vorgehen ab.“

Die SecUnits gingen in den Alarmmodus. Der Mensch, der auf mich zugekommen war, blieb stehen und zog sich wieder zurück. Die Körpersprache der anderen war nervös, erschrocken. Aus der schwachen Funkstatik schloss ich, dass sie über ihr eigenes System miteinander redeten. Ich fragte: „Möchte jemand etwas dazu sagen?“

Das erlangte ihre Aufmerksamkeit. Es kam keine Antwort. Wenig überraschend. Die einzigen Leute, die mir je begegnet sind, die tatsächlich mit mir reden wollten, waren meine seltsamen Menschen. „Ich habe eine Alternativlösung für unser beider Probleme“, sagte ich.

Der Mensch in dem blauen Umweltanzug fragte: „Du hast eine Lösung?“ Es war dieselbe Frau, die uns in unserer Kuppel das Angebot gemacht hatte. Sie klang außerdem reichlich skeptisch, was zu erwarten gewesen war. Mit mir zu reden war für ihresgleichen dasselbe, wie sich mit einem Hopper oder einem Bergbaugerät zu unterhalten.

„Sie waren nicht die Ersten, die das HabSystem von PreservationAux gehackt haben.“

Sie hatte ihren Funkkanal geöffnet, um mit mir zu reden, und ich hörte einen der anderen Menschen flüstern: „Das ist ein Trick. Jemand aus dem Team sagt ihr, was sie sagen soll.“

„Sie können Ihren Scans entnehmen, dass ich die Funkverbindung geschlossen habe“, sagte ich. Jetzt kam die Stelle, wo ich es aussprechen musste. Obwohl mir gar nichts anderes übrigblieb, weil es nämlich zu meinem blöden Plan gehörte, war es schwer. „Mein Chefmodul arbeitet nicht.“ So, ab hier konnte ich zum Glück wieder lügen. „Mein Team weiß nichts davon. Ich bin zu einem Kompromiss bereit, der für Sie ebenso dienlich ist wie für mich.“

Die blaue Anführerin fragte: „Wissen deine Leute wirklich, was wir vorhaben?“

Das nervte jetzt nur noch, obwohl wir für diesen Teil genug Zeit eingeplant hatten. „Sie haben die SecUnits von DeltFall mittels Gefechtsmodulen dazu gebracht, sich wie freidrehende Einheiten zu verhalten. Wenn Sie glauben, dass eine SecUnit, die tatsächlich freidreht, trotzdem noch Ihre Fragen beantworten muss, dürften die nächsten Minuten sehr lehrreich für Sie sein.“

Die blaue Anführerin schloss mich aus ihrem Funkkanal aus. Langes Schweigen, während sie sich besprachen. Dann machte sie wieder auf und fragte: „Was für ein Kompromiss?“

„Ich kann Ihnen eine dringend benötigte Information liefern. Im Gegenzug nehmen Sie mich mit aufs Abholschiff, listen mich aber als zerstörtes Inventar.“ Was darauf hinauslief, dass mich in der Firma niemand zurückerwartete und ich mich in dem Durcheinander, wenn der Transporter in der Transitstation andockte, davonmachen konnte. Theoretisch.

Wieder Zögern. Vermutlich, weil sie so tun mussten, als würden sie es sich durch den Kopf gehen lassen. Dann sagte die blaue Anführerin: „Wir sind einverstanden. Wenn du lügst, zerstören wir dich.“

Es war nur so daher gesagt. Sie hatten vor, mir ein Gefechtsmodul einzustecken, bevor sie den Planeten verließen.

Sie fuhr fort. „Um welche Information geht es?“

„Streichen Sie mich erst aus dem Inventar. Ich weiß, dass Sie noch immer Verbindung zu unserem HabSystem haben.“

Die blaue Anführerin wies mit einer ungeduldigen Handbewegung auf ihren gelben Gefährten. Dieser sagte: „Dazu müssen wir einen Neustart ihres HabSystems durchführen. Das dauert ein bisschen.“

„Initiieren Sie den Neustart, packen Sie den Befehl in die Warteschlange und zeigen Sie sie mir in Ihrem Feed. Dann gebe ich Ihnen die Information“, gab ich zurück.

Die blaue Anführerin schloss mich aus ihrem Funkkanal aus und redete wieder mit dem Gelben. Nach drei Minuten Warten ging der Kanal wieder auf, und ich bekam begrenzten Zugang zu ihrem Feed. Der Befehl stand in einer Warteschlange, aber ihnen blieb später natürlich noch genug Zeit, ihn zu löschen. Die wichtigen Punkte waren, dass unser HabSystem wieder arbeitete und ich überzeugend so tun konnte, als würde ich ihnen glauben. Ich hatte die Zeit im Auge behalten, und wir befanden uns jetzt im Zielfenster, also gab es nichts mehr hinauszuzögern. Ich sagte: „Da Sie die Bake meines Teams zerstört haben, ist jetzt eine Gruppe zu Ihrer Bake unterwegs, um sie manuell auszulösen.“

Selbst mit begrenztem Zugang zu ihrem Feed war deutlich, wie das einschlug. Ringsum Körpersprache von Verblüffung bis Angst. Der Gelbe bewegte sich unsicher, der Grüne sah zur blauen Anführerin. Sie sagte mit ihrer geringen Betonung: „Das kann nicht sein.“

„Der augmentierte Mensch ist Sys­tem­ingenieur. Der kriegt die Bake hoch. Überprüfen Sie die Daten, die Sie sich aus unserem HabSystem geholt haben. Ich rede von Prospektor Dr. Gurathin“, erwiderte er.

Die blaue Anführerin zeigte Anspannung von den Schultern bis zu den Füßen hinab. Sie wollte definitiv nicht, dass irgendjemand diesen Planeten erreichte, bevor sie ihr Zeugenproblem gelöst hatten.

Der Grüne sagte: „Sie lügt.“

Der Gelbe, mit einer Spur Panik in der Stimme: „Und wenn nicht? Das Risiko ist zu hoch.“

Die blaue Anführerin drehte sich zu ihm um. „Dann ist es machbar?“

Der Gelbe zögerte. „Keine Ahnung. Die Firmensysteme sind alle proprietär, aber wenn sie einen augmentierten Menschen haben, der sich da reinhacken kann …“

„Wir müssen sofort dorthin.“ Die blaue Anführerin drehte sich zu mir um. „SecUnit, sag deiner Klientin, sie soll aus dem Hopper steigen und herkommen. Sag ihr, dass wir uns einig geworden sind.“

Donnerwetter, puh. Das stand nicht im Plan. Sie hatten ohne uns abdüsen sollen.

(Gestern Abend hatte Gurathin gesagt, dass das der Schwachpunkt wäre, der Moment, in dem unser Plan in sich zusammenfiel. Es ärgerte mich gewaltig, dass er recht hatte.)

Ich konnte meinen Funkkanal zum Hopper oder den Feed des Hoppers nicht öffnen, ohne dass GrayCris es mitbekam. Und wir mussten sie mitsamt ihren SecUnits immer noch von ihrem Habitat wegbekommen. Ich sagte: „Sie weiß, dass Sie sie töten wollen. Sie kommt nicht.“ Dann kam mir noch eine geniale Idee, und ich fügte hinzu: „Sie ist schließlich nicht dumm, als planetare Administratorin für eine konzernunabhängige politische Entität.“

„Was?“, entfuhr es dem Grünen. „Für welche politische Entität?“

„Was glauben Sie denn, wieso da ‚Preservation‘ im Teamnamen steht?“, fragte ich zurück.

Diesmal hielten sie sich nicht damit auf, erst ihren Kanal zu schließen. Der Gelbe sagte: „Wir dürfen sie nicht töten. Die Ermittlungen …“

Der Grüne fügte hinzu: „Er hat recht. Wir können sie festhalten, bis alles geregelt ist, und anschließend wieder freilassen.“

Die blaue Anführerin fauchte: „Das funktioniert nicht. Wenn sie vermisst wird, gibt es nur noch gründlichere Ermittlungen. Wir müssen erst mal diesen Bakenstart verhindern, danach können wir das weitere Vorgehen besprechen.“ Zu mir sagte sie: „Geh sie holen. Hol sie aus dem Hopper und bring sie her.“ Sie unterbrach erneut den Funk. Dann setzte sich eine SecUnit von DeltFall in Bewegung. Die Anführerin öffnete die Leitung wieder und sagte: „Diese Einheit hilft dir dabei.“

Ich wartete, bis die Einheit neben mir war, dann gingen wir den Felsenhang hinunter zu den Bäumen.

Was ich als Nächstes tat, beruhte auf der Vermutung, dass die SecUnit Anweisung hatte, mich zu töten. Wenn ich mich irrte, saßen wir in der Scheiße, dann würden Mensah und ich sterben, der Plan zur Rettung des Teams wäre gescheitert, und PreservationAux stünde wieder ganz am Anfang, nur ohne ihre Leiterin, ihre SecUnit und ihren kleinen Hopper.

Als wir den Felsenhang hinter uns hatten und zwischen den Bäumen waren, schirmten uns die Zweige und das Unterholz vom Rand der Ebene ab. Ich schlang der Einheit einen Arm um den Hals, setzte meine Armwaffe an und feuerte ihr seitlich in den Helm, wo der Funkkanal war. Sie ging runter auf ein Knie, schwang ihre Projektilwaffe zu mir herum und fuhr die Energiewaffen ihres Panzers aus.

Da sie ein Gefechtsmodul drinstecken hatte, war ihr Feed abgetrennt, und mit zerschossenem Funk konnte sie nicht um Hilfe rufen. Außerdem konnte sie, je nachdem, wie strikt EvilSurvey ihre freien Handlungen eingeschränkt hatte, vielleicht nur um Hilfe rufen, wenn die Menschen es ihr sagten. Vermutlich war Letzteres der Fall, denn sie versuchte nur, mich zu töten. Wir rollten über Gestein und durch Unterholz, bis ich ihr die Waffe entwand. Danach war es nicht weiter schwer, sie zu erledigen. Also von der Physis her.

Schon klar, ich habe gesagt, dass SecUnits nichts füreinander empfinden, aber es wäre mir lieber gewesen, sie hätte nicht zu DeltFall gehört. Sie war irgendwo dort drinnen, gefangen in ihrem eigenen Kopf, vielleicht bei Bewusstsein, vielleicht auch nicht. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Niemand von uns hatte eine Wahl.

Ich stand gerade auf, als Mensah durch das Unterholz brach, das Bergbauwerkzeug in den Händen. Ich sagte ihr: „Es ist schiefgegangen. Sie müssen so tun, als wären Sie meine Gefangene.“

Sie sah erst mich an und dann runter zur Einheit von DeltFall. „Wie willst du das erklären?“

Ich begann, Panzer abzuwerfen, sämtliche Teile mit dem Logo von PreservationAux, und beugte mich über die DeltFall-Einheit, während die Teile abfielen. „Gleich ist sie ich, und ich bin sie.“

Mensah warf ihr Werkzeug beiseite und packte mit an. Für den Austausch der kompletten Panzer fehlte uns die Zeit. Wir ersetzten rasch auf beiden Seiten die Arm- und Schulterteile, dann die Beinteile mit dem Inventarcode des Panzers und das Brust- und Rückenteil mit dem Logo. Meine übrigen Panzersegmente beschmierte Mensah mit Erde sowie Blut und Flüssigkeit von der toten Einheit; falls wir irgendein Erkennungsmerkmal übersehen hatten, fiel es GrayCris nun vielleicht nicht mehr auf. SecUnits sind in Größe und Bauweise identisch und bewegen sich ähnlich. Das konnte also durchaus funktionieren. Keine Ahnung. Wenn wir jetzt flohen, war der Plan hinfällig; wir mussten sie von dieser Ebene wegbekommen. Als ich den Helm wieder versiegelte, sagte ich zu Mensah: „Wir müssen los …“

Sie atmete schwer, eher aus Nervosität als vor Anstrengung. „Bin bereit.“

Ich nahm ihren Arm und tat so, als würde ich sie zurück zur GrayCris-Gruppe zerren. Sie schrie und wehrte sich den ganzen Weg lang überzeugend.

Als wir bei dem Plateau ankamen, landete bereits ein GrayCris-Hopper.

Als ich sie vor die blaue Anführerin schleifte, legte Mensah als Erste los. „So sieht also das angebotene Arrangement aus, ja?“, fragte sie.

„Sie sind die planetare Administratorin von Preservation?“, wollte die blaue Anführerin wissen.

Mensah blickte nicht zu mir. Wenn die versuchten, ihr wehzutun, würde ich versuchen, sie daran zu hindern, und dann würde alles grässlich schiefgehen. Aber der Grüne stieg bereits in den Hopper. Zwei weitere Menschen saßen im Cockpit. Mensah antwortete: „Ja.“

Der Gelbe kam zu mir und berührte mich an der Helmseite. Es kostete mich eine gewaltige Anstrengung, ihm nicht den Arm abzureißen, und ich möchte bitten, das entsprechend zu würdigen. Er erklärte: „Funk ist aus.“

Die blaue Anführerin sagte zu Mensah: „Wir wissen, dass einer von Ihren Leuten gerade versucht, manuell unsere Bake auszulösen. Wenn Sie mitkommen, geschieht ihm nichts, und wir können unsere Lage besprechen. Dies muss für keine Seite böse enden.“ Sie klang sehr überzeugend. Wahrscheinlich war sie es auch gewesen, die DeltFall über Funk dazu gebracht hatte, ihre Gruppe ins Habitat zu lassen.

Mensah zögerte, und mir war klar, dass sie den Eindruck erwecken wollte, nicht so schnell nachzugeben, aber wir mussten sie schleunigst hier wegbekommen. „Nun gut“, sagte sie.

+

Ich war schon eine Weile nicht mehr im Frachtraum geflogen. Es hätte gemütlich und beruhigend sein müssen, nur war es nicht mein Frachtcontainer.

Dennoch war dieser Hopper immer noch ein Produkt der Firma, und ich konnte auf seinen Feed zugreifen. Ich musste nur sehr behutsam vorgehen, damit sie mich nicht bemerkten, und schon allein dafür hatten sich all die Stunden des heimlichen Medienkonsums gelohnt.

Ihr SecSystem schnitt weiterhin alles mit. Sie wollten das Ganze wohl löschen, bevor der Abholtransporter kam. Klientengruppen hatten in der Vergangenheit immer wieder versucht, Daten vor der Firma zu verbergen, damit sie ihnen nicht einfach unter dem Hintern weg weiterverkauft werden konnten; entsprechend hellhörig würden die Systemanalytiker der Firma in dieser Hinsicht sein, aber das wussten diese Leute ja vielleicht nicht. Die Firma erwischte sie vielleicht sogar dann, wenn wir starben. Keine sonderlich tröstliche Vorstellung.

Als ich Zugang zur laufenden Aufnahme bekam, sagte Mensah gerade: „… wissen von den Reststoffen in den unkartografierten Gebieten. Sie waren so energiereich, dass sie unsere Kartografierfunktionen gestört haben. Haben Sie sie auf diese Weise gefunden?“

Darauf war Bharadwaj gestern Nacht gekommen. Die unkartografierten Regionen waren kein absichtlicher Hack, sondern ein Fehler, verursacht durch unter Erde und Fels begrabene Reststoffe. Dieser Planet war an irgendeinem Punkt seiner Vergangenheit bewohnt gewesen, was bedeutete, dass er unter Schutz gestellt werden und nur noch für archäologische Untersuchungen offenstehen würde. Daran würde sich sogar die Firma halten.

Man konnte einen Haufen Geld mit dem illegalen Ausgraben und Abbauen dieser Reststoffe machen, und genau das hatte GrayCris offensichtlich vor.

„Jetzt darüber zu reden, ist wenig angebracht“, sagte die blaue Anführerin. „Ich möchte gern wissen, zu welchem Arrangement wir kommen können.“

„Dazu, dass Sie uns nicht umbringen wie das Team von DeltFall.“ Mensah achtete auf einen gleichmäßigen Tonfall. „Sobald wir wieder in Kontakt mit unserer Heimatwelt stehen, können wir einen Geldtransfer arrangieren. Aber wie können wir darauf vertrauen, dass Sie uns am Leben lassen?“

Darauf folgte ein kurzes Schweigen. Na super, die wussten es auch nicht. Dann sagte die blaue Anführerin: „Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als uns zu vertrauen.“

Wir bremsten bereits ab und gingen in Landeanflug. Es hatte keine Warnmeldungen im Feed gegeben, und ich war vorsichtig optimistisch. Wir hatten das Feld für Pin-Lee und Gurathin soweit bereitet, wie es in unserer Macht stand. Sie hatten den Perimeter hacken müssen, ohne dass die allerletzte SecUnit es merkte, und dicht genug herankommen müssen, um Zugang zum Feed des HabSystems von GrayCris zu erlangen. (Hoffentlich war es die letzte SecUnit, hoffentlich befanden sich nicht aus unerfindlichen Gründen noch ein Dutzend mehr im GrayCris-Habitat.) Gurathin hatte ausgetüftelt, wie er ihren ursprünglichen Hack unseres HabSystems dazu benutzen konnte, an ihr eigenes HabSystem zu gelangen, aber er musste dicht an ihr Habitat ran, um dann auch ihre Bake auslösen zu können. Deshalb hatten wir ihre anderen SecUnits dort wegbekommen müssen. Soweit jedenfalls die Idee. Vielleicht hätte das Ganze auch funktioniert, ohne Mensah in Gefahr zu bringen, aber für alternative Ansätze war es ein bisschen spät.

Es war eine Erleichterung, als wir eine Landung hinlegten, von der den Menschen die Zähne klappern mussten. Ich kletterte zusammen mit den anderen Einheiten aus der Kapsel.

Wir waren ein paar Kilometer von ihrem Habitat entfernt und befanden uns auf einem großen Felsen über einem dichten Wald. Die harte Landung des Hoppers hatte alle möglichen Vögel und andere Fauna oben in den Bäumen aufgescheucht, die nun auf uns herabkreischten. Regenschwere Wolken waren aufgezogen und verdeckten den Blick auf den Ring. Die Trägerrakete der Bake befand sich in einem vielleicht zehn Meter entfernten Abschussstativ, und das war natürlich viel zu nahe.

Ich schloss mich den drei anderen SecUnits an, und wir bildeten eine Standardformation zur Geländesicherung. Eine Staffel Drohnen stieg vom Hopper auf, um einen Perimeter zu bilden. Ich sah nicht zu den Menschen, als sie die Rampe herunterkamen. Ich hätte Mensah wirklich gern wegen Anweisungen angesehen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich einfach zum Rand des Plateaus rennen können, aber nun musste ich sie hier rausbekommen.

Die blaue Leiterin trat zusammen mit dem Grünen vor; die anderen versammelten sich in einem lockeren Kreis hinter ihr, als hätten sie Angst, plötzlich ganz vorne zu sein. Einer, der offensichtlich die Meldungen ihrer SecUnits und Drohnen reinbekam, sagte: „Keinerlei Hinweise auf irgendwen.“ Die blaue Anführerin antwortete nicht, aber die beiden GrayCris-Einheiten trabten zur Bake.

Okay, wie ich schon sagte, das Problem ist, dass die Firma gern billig arbeitet. Erst recht bei Dingen wie einer Bake, die nur ein einziges Mal im Notfall abgeschossen wird, einen Funkspruch durch das Wurmloch schickt und dann auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Baken haben keinerlei Sicherheitsmerkmale und verwenden die allerbilligsten Trägerraketen. Es hat seinen Grund, dass sie ein paar Kilometer vom Habitat entfernt aufgestellt und aus der Ferne ausgelöst werden. Ich hatte eigentlich GrayCris und ihre SecUnits ablenken und vom Habitat weglocken sollen, anstatt nun zusammen mit Mensah während des Bakenstarts gegrillt zu werden.

Durch die Verzögerung von zuvor kam der Zeitpunkt arg nahe. Die beiden SecUnits umrundeten das Dreibein der Bake auf der Suche nach Hinweisen auf eine Manipulation, und ich hielt es nicht länger aus. Ich setzte mich in Bewegung und ging auf Mensah zu.

Der Gelbe bemerkte mich. Er sagte offensichtlich etwas über den GrayCris-Feed zur blauen Anführerin, denn sie drehte sich zu mir.

Als die verbliebene DeltFall-Einheit zu mir herumfuhr und das Feuer eröffnete, wusste ich, dass ihnen ein Licht aufgegangen war. Ich hechtete weg, rollte mich ab und kam mit meiner Projektilwaffe hoch. Ich bekam am ganzen Panzer Treffer ab, erzielte aber auch welche an der anderen SecUnit. Mensah wich geduckt hinter den Hopper zurück, und ich spürte einen Schlag durch das Plateau vibrieren. Das Haupttriebwerk der Bake war aus seiner Hülle zum Boden des Stativs gefallen und hatte sich zur Zündung bereitgemacht. Die anderen beiden SecUnits blieben stehen; die Verblüffung der blauen Anführerin ließ sie erstarren.

Ich rannte los, bekam einen Treffer in ein schwaches Panzergelenk, der bis zum Schenkel durchdrang, und ackerte trotzdem weiter. Ich schaffte es um den Hopper herum und fand Mensah. Ich stürzte mich mit ihr über den Rand des Plateaus, drehte mich, um auf dem Rücken zu landen, und schlang einen Arm um ihren Anzughelm, um ihren Kopf vor dem Aufprall zu schützen. Wir prallten von Felsen ab und durchschlugen Baumkronen, dann raste eine Feuersbrunst über das Plateau hinweg und zerfetzte meinen …

Einheit off

Verdammt, tat das weh. Ich lag in einer Schlucht, über die Felsen und Bäume ragten. Mensah saß neben mir und hielt sich den Arm, der anscheinend nicht mehr funktionierte. Ihr Anzug war von Rissen und Flecken übersät.

Sie flüsterte gerade jemandem über Funk zu: „Vorsichtig, wenn ihr Scanner euch erfasst …“

Einheit off

„Deshalb müssen wir schnell machen“, sagte Gurathin, der plötzlich über uns stand. Mir wurde klar, dass ich wieder einen Aussetzer gehabt hatte.

Gurathin und Pin-Lee hatten sich zu Fuß im Schutz des Waldes zum GrayCris-Habitat vorarbeiten sollen. Wir hatten sie, wenn alles klappte, mit dem kleinen Hopper abholen wollen. Nun war es schiefgegangen, wenn auch nur zum Teil, also hurra.

Pin-Lee beugte sich über mich, und ich sagte: „Die Funktionsfähigkeit dieser Einheit ist stark eingeschränkt, und es wird empfohlen, sie abzuschalten.“ Es handelt sich um eine automatische Reaktion, die bei katastrophaler Fehlfunktion ausgelöst wird. Außerdem wollte ich wirklich vermeiden, dass sie versuchten, mich zu bewegen, weil es auch so schon genug weh tat. „Ihr Leasingvertrag lässt zu …“

„Halt die Klappe“, fauchte Mensah. „Halt einfach die Klappe, verdammt. Wir lassen dich nicht zurück.“

Das Bild fiel erneut aus. Irgendwie war ich zwar immer noch da, schwebte aber spürbar am Rand eines Systemversagens. Immer wieder kurze Eindrücke. Das Innere des kleinen Hoppers, meine Menschen beim Reden, Arada, die meine Hand hielt.

Dann, wie ich im Hopper war und er aufstieg. Aus dem Fluglärm und den Blitzlichtern vom Feed konnte ich schließen, dass der Abholtransporter den Hopper an Bord nahm.

Das war eine Erleichterung. Es bedeutete, dass sie alle in Sicherheit waren, und ich ließ los.

 

8

Ich kam im vertraut beißenden Geruch und Summen der Systeme einer Schlafzelle zu mir, die mich gerade zusammenflickte. Dann begriff ich, dass es nicht die Zelle im Habitat war. Sondern ein älteres Modell, die stationäre Version.

Ich war wieder in der Firmenstation.

Und Menschen wussten von meinem Chefmodul.

Ich tippte es vorsichtig an. Immer noch außer Funktion. Mein Medienspeicher war auch noch intakt. Hoppla.

Als die Zelle aufging, stand Ratthi davor. Er trug reguläre Stationskleidung für Zivilisten, darüber jedoch die weiche graue Jacke mit dem Logo der PreservationAux-Prospektion. Er sah glücklich und deutlich sauberer aus, als ich ihn vom letzten Mal in Erinnerung hatte. Er sagte: „Gute Neuigkeiten! Dr. Mensah hat dich gekauft, für immer! Du kommst mit zu uns nach Hause!“

Das kam überraschend.

+

Nach wie vor taumelig kümmerte ich mich um meine Wiederaufbereitung. So etwas passierte sonst in den Serien, also ließ ich weiter Diagnosen laufen und überprüfte verschiedene erreichbare Feeds, um sicherzugehen, dass ich nicht immer noch in der Zelle war und halluzinierte. In den Lokalnachrichten der Station gab es einen Bericht über DeltFall und GrayCris und die Ermittlungen. Wenn ich halluzinierte, dann hätten es die Firmenleute doch wohl nicht geschafft, aus dem ganzen Mist als die heldenhaften Retter von PreservationAux rauszukommen.

Ich rechnete mit einer Anzughaut und einem Panzer, aber die Stationseinheiten, die uns nach schwersten Verletzungen aus der Wiederaufbereitung halfen, hielten mir stattdessen die graue Uniform der PreservationAux-Prospektion hin. Ich legte sie an und kam mir komisch dabei vor, während die Stationseinheiten herumstanden und mir zusahen. Wir sind keine Kumpels oder so, aber normalerweise erzählen sie dir, was passiert ist, während du offline warst, und welche neuen Aufträge anstehen. Ich fragte mich, ob sie sich auch so komisch vorkamen. Manchmal werden Sätze von Sec­Units von anderen Firmen erworben, komplett mit Schlafzellen. Noch nie war ein Team je nach einer Prospektion auf die Idee gekommen, seine Einheit behalten zu wollen.

Als ich rauskam, war Ratthi immer noch da. Er nahm mich beim Arm und zog mich an zwei menschlichen Technikern vorbei durch zwei Ebenen von Sicherheitstüren bis in den Ausstellungsbereich. Dort wurden die Leasingexemplare vorgeführt, und er war schöner als der Rest des Ausrüstungszentrums, mit Teppichboden und Sitzecken. Pin-Lee stand mitten im Raum und trug superseriöse Businesskleidung. Sie sah aus wie jemand aus den Serien, die ich gern verfolgte. Die knallharte, aber mitfühlende Anwältin, die uns aus einem unfairen Strafverfahren errettet. Zwei Menschen in Firmenkleidung standen herum, als hätten sie sich gern mit ihr gestritten, doch sie beachtete sie gar nicht, sondern warf beiläufig mehrmals hintereinander mit einer Hand einen Datenchip hoch und fing ihn wieder auf.

Der eine Mensch sah Ratthi und mich und sagte: „Noch einmal, das ist unüblich. Den Speicher der Einheit zu bereinigen, bevor sie den Besitzer wechselt, ist nicht nur Vorschrift, sondern auch am besten für die …“

„Noch einmal, ich habe eine gerichtliche Anordnung.“ Pin-Lee nahm mich beim anderen Arm, und sie führten mich hinaus.

+

Die Menschenregionen der Station hatte ich noch nie gesehen. Wir gingen den großen mehrstöckigen Mittelring hinunter, an Bürogebäuden und Einkaufszentren vorbei, mitten durch das Gewimmel von allen möglichen Menschen, Bots und herumzischenden Flash-Datendisplays, und hundert verschiedene öffentliche Feeds streiften meine Aufmerksamkeit. Es war wie ein Ort im Entertainmentfeed, nur größer und heller und lauter. Und er roch auch noch gut.

Zu meiner Verblüffung starrte uns niemand an. Niemand warf uns auch nur einen zweiten Blick zu. Die Uniform, die Hosen, die langen Ärmel von T-Shirt und Jacke verbargen meine sämtlichen anorganischen Teile. Falls ihnen der Datenport in meinem Nacken auffiel, so hielten sie mich wohl für einen augmentierten Menschen. Wir waren einfach bloß drei Leute mehr, die den Ring hinuntergingen. Schlagartig wurde mir klar, dass ich in einer Menge von Menschen, die einander nicht kannten, genauso anonym war wie in meinem Panzer in einer Gruppe von SecUnits.

Als wir in einen Hotelblock einbogen, streifte ich einen öffentlichen Feed, der Informationen zur Station anbot. Ich speicherte eine Karte und einen Satz Schichtpläne, während wir durch die Türen in die Lobby gingen.

Bäume in Pflanztöpfen wanden sich hinauf zu einem als hängende Glasskulptur gestalteten Springbrunnen, der kein Holo war, sondern echt. Ich war so gebannt, dass ich die Reporter erst bemerkte, als sie schon bei uns waren. Es handelte sich um augmentierte Menschen mit zwei Drohnenkameras. Der eine stellte sich Pin-Lee in den Weg, und ich stieß ihn instinktiv mit der Schulter beiseite.

Er machte ein entsetztes Gesicht, dabei hatte ich ihn nicht einmal umgeworfen. Pin-Lee erklärte: „Wir beantworten im Moment keine Fragen.“ Sie schob Ratthi in die Transportkapsel des Hotels, dann nahm sie meinen Arm und zog mich mit hinein.

Die Kapsel wirbelte uns umher und setzte uns im Eingangsbereich einer großen Suite ab. Ich folgte Pin-Lee hinein, dann kam Ratthi, der mit jemandem über Funk redete. Die Suite war genauso schick wie in den Medien, mit Teppichen und Möbeln und großen Fenstern, die zu dem Garten und den Skulpturen unten in der Lobby hin lagen. Abgesehen davon, dass die Räume kleiner waren. Vermutlich sind sie in den Serien größer, damit die Drohnenkameras bessere Aufnahmeperspektiven bekommen.

Meine Klienten – Exklienten? Neuen Eigentümer? – waren da, sahen jedoch alle in ihrer normalen Kleidung ganz anders aus.

Dr. Mensah trat näher und blickte mich an. „Geht es dir gut?“

„Ja.“ Ich hatte deutliche Bilder von meiner Feldkamera, wie sie verletzt wurde, aber auch ihre Beschädigungen waren komplett repariert worden. Sie trug Geschäftskleidung wie Pin-Lee und wirkte ganz anders. „Ich begreife nicht, was passiert ist.“ Es war stressig. Ich konnte den Entertainmentfeed da draußen spüren, denselben wie im Wiederaufbereitungsbereich, und es kostete mich eine Riesenmühe, nicht dort hinein zu fliehen.

Mensah sagte: „Ich habe dich gekauft. Du begleitest uns nach Preservation. Dort wirst du frei sein.“

„Ich gehöre nicht mehr zum Bestand.“ Das hatten sie mir gesagt, und vielleicht stimmte es. Ich verspürte den Drang, unkontrolliert zu zucken, und hatte keine Ahnung, warum. „Kann ich trotzdem noch einen Panzer tragen?“ Es war der Panzer, an dem die Leute erkannten, dass ich eine SecUnit war. Aber ich war nicht mehr Sec, nur noch Unit.

Die anderen waren total still. Mensah sagte ruhig und gelassen: „Das lässt sich arrangieren, solange du meinst, dass du einen brauchst.“

Ich hatte keine Ahnung, ob ich das meinte oder nicht. „Ich habe gar keine Schlafzelle.“

„Du wirst auch keine brauchen. Niemand wird auf dich schießen. Wenn du verletzt wirst oder deine Teile beschädigt werden, kannst du in einer Klinik repariert werden“, erklärte sie beruhigend.

„Wenn niemand mehr auf mich schießt, was mache ich denn dann?“ Vielleicht konnte ich ihr Leibwächter sein.

„Ich glaube, du kannst lernen, alles zu tun, was du möchtest.“ Sie lächelte. „Darüber reden wir, wenn wir dich nach Hause gebracht haben.“

In dem Moment kam Arada herein und klopfte mir auf die Schulter. „Wir freuen uns sehr, dich bei uns zu haben.“ Sie wandte sich zu Mensah um. „Die Vertreter von DeltFall sind da.“

Mensah nickte. „Ich muss mit ihnen sprechen“, erklärte sie mir. „Mach es dir hier bequem. Wenn du irgendetwas brauchst, sag Bescheid.“

Ich setzte mich hinten in eine Ecke und sah zu, wie verschiedenen Menschen in der Suite ein- und ausgingen, um das Geschehene zu besprechen. Anwälte vor allem. Von der Firma, von DeltFall, von mindestens drei anderen konzerngebundenen politischen Entitäten und einer unabhängigen und sogar von GrayCris‘ Mutterkonzern. Sie stellten Fragen, argumentierten, sahen sich Securityaufnahmen an, zeigten Mensah und Pin-Lee Securityaufnahmen. Und sie sahen mich an. Gurathin beobachtete mich ebenfalls, aber ohne etwas zu sagen. Ich fragte mich, ob er Mensah von meinem Kauf abgeraten hatte.

Ich schaute zum Runterkommen ein bisschen Entertainmentfeed, dann holte ich mir alles Greifbare über die Preservation Alliance aus dem Infocenter der Station. Niemand würde auf mich schießen, weil die Leute dort nicht aufeinander schossen. Mensah brauchte dort keinen Leibwächter; niemand brauchte einen. Es klang nach einem tollen Ort zum Leben, wenn man ein Mensch oder augmentierter Mensch war.

Ratthi kam herüber, um zu prüfen, ob es mir gut ging, und ich bat ihn, mir von Preservation zu erzählen und wie Mensah dort lebte. Er sagte, wenn sie keiner administrativen Arbeit nachging, lebte sie auf einer Farm draußen vor der Hauptstadt in Dreierehe plus ihrer Schwester und ihrem Bruder und deren jeweiligen Eheleuten sowie einer Horde Verwandter und Kinder, über die Ratthi längst die Übersicht verloren hatte. Er wurde weggerufen, um die Fragen eines Rechtsanwalts zu beantworten, was mir Zeit zum Nachdenken gab.

Ich hatte keine Ahnung, was ich auf einer Farm tun würde. Das Haus in Schuss halten? Klang deutlich langweiliger als Security. Aber vielleicht funktionierte es ja. Das war schließlich, was ich nach allgemeiner Erwartung mit meinem Leben anfangen wollte. Darauf waren alle Gespräche hinausgelaufen.

Nach allgemeiner Erwartung.

Ich musste mich dann als augmentierter Mensch ausgeben, und das bedeutete Stress. Ich musste mich verändern, musste mich dazu zwingen, Sachen zu machen, die ich gar nicht machen wollte. Zum Beispiel mit Menschen reden, als würde ich dazugehören. Und keinen Panzer mehr tragen.

Den ich aber vielleicht gar nicht mehr brauchte.

+

Schließlich kehrte Ruhe ein, und sie ließen sich Abendessen bringen. Mensah kam und unterhielt sich noch ein bisschen mit mir, über Preservation, über meine Möglichkeiten dort und dass ich so lange bei ihr bleiben würde, bis ich wusste, was ich wollte. Es lief ziemlich genau auf das hinaus, was ich mir nach Ratthis Erklärungen schon gedacht hatte.

„Sie wären dann mein Vormund“, sagte ich.

„Ja.“ Sie freute sich, dass ich es begriffen hatte. „Dort stehen dir alle möglichen Bildungswege offen. Du kannst machen, was immer du willst.“

Vormund war ein netteres Wort als Besitzerin.

Ich wartete bis weit in die Nachtstunden, als sie entweder alle schliefen oder sich in ihre persönlichen Feeds vertieft hatten und an ihrer Analyse der Materialproben arbeiteten. Ich stand von der Couch auf, ging den Korridor hinunter und schlüpfte aus der Tür.

Ich stieg in die Transportkapsel, fuhr zurück in die Lobby und verließ das Hotel. Dank der heruntergeladenen Karte wusste ich, wie ich vom Ring in die tiefergelegenen Betriebszonen des Hafens gelangte. Ich trug eine Uniform des Prospektionsteams und ging als augmentierter Mensch durch, darum hielt mich niemand auf oder warf mir auch nur einen zweiten Blick zu.

Am Rand der Betriebszone ging ich bis zu den Baracken der Hafenarbeiter durch und betrat dann die Gerätelager. Neben den Werkzeugen hatten die menschlichen Arbeiter dort auch kleine Lagercontainer. Ich brach in den Spind eines Menschen ein und stahl Arbeitsschuhe, Schutzjacke und eine Schutzmaske samt Zubehör. Aus einem anderen Spind nahm ich einen Rucksack, rollte die Jacke mit dem Prospektionslogo zusammen, stopfte sie hinein und sah nun wie ein augmentierter Mensch aus, der gerade irgendwohin flog. Ich verließ die Betriebsgelände und ging den großen Mittelgang hinunter in den Einschiffungsbereich des Hafens, einfach nur einer von vielen hundert Reisenden, die zum Schiffsring wollten.

Ich studierte die Flugplanfeeds und fand unter den Schiffen, die gerade für den Abflug vorbereitet wurden, einen botgesteuerten Frachter. Ich stöpselte mich von der Stationsseite seiner Schleuse her bei ihm ein und begrüßte ihn. Er hätte mich ignorieren können, aber er hatte Langweile und erwiderte meinen Gruß und machte mir seinen Feed auf. Bots, die gleichzeitig Schiffe sind, kommunizieren nicht mit Worten. Ich schob ihm die Vorstellung rüber, dass ich ein zufriedener Servicebot war, der eine Mitfahrt brauchte, um zu seinem geliebten Vormund zurückzukehren, und ob er auf seinem langen Flug gern Gesellschaft hätte? Ich zeigte ihm, wie viele Stunden Serien und Bücher und andere Medien ich bereitwillig mit ihm teilen würde.

Wie sich herausstellte, schauen Frachtbots auch gern Entertainmentfeed.

Ich weiß nicht, was ich will. Das sagte ich, glaube ich, schon. Aber darum geht es eigentlich gar nicht, sondern darum, dass mir niemand sagen soll, was ich will, und niemand Entscheidungen für mich treffen soll.

Deshalb habe ich Sie verlassen, Dr. Mensah, mein Lieblingsmensch. Wenn Sie das hier bekommen, bin ich schon ein ganzes Stück von Corporation Rim fort. Nicht mehr im Bestand und nicht mehr zu sehen.

Killerbot Ende.

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Lesen Sie weiter in:

Martha Wells: Tagebuch eines Killerbots • Aus dem Amerikanischen von Frank Böhmert • Wilhelm Heyne Verlag, 14.10.2019 • 576 Seiten • E-Book: 12,99 Euro (im Shop)

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