13. Mai 2020

Haue mit Hühnchen

Der Retroprügler „Streets of Rage 4“ macht im Test eine überraschend gute Figur

Lesezeit: 5 min.

Ein bisschen Schlucken konnte man durchaus, als bekannt wurde, dass Dotemu tatsächlich die geradezu urige 16 Bit-Prügelikone Streets of Rage reaktivieren würde. Denn anders als viele andere Restarts kultiger Spielereihen aus dem Spritezeitalter, scheint das doch sehr starre Gameplay früherer Beat´em ups nicht unbedingt prädestiniert dafür, mit etwas Frische an aktuelle Geschmäcker herangeführt werden zu können. Schließlich zeichneten sich die drei Streets of Rage-Vorgänger in den 90ern auf diversen Sega-Plattformen vor allem durch eine genretypisch simple Formel aus, wie sie vielen Titeln unterschiedlichster Provenienz wie Golden Axe oder einigen Turtles-Prüglern gut zu Gesicht stand: von links nach rechts durch eher knappe Level hetzen, völlig überzeichnete, in ihren Angriffsmustern aber ähnlich agierende Gegnerwellen vermöbeln und dabei kleinere Waffen und Heilitems wie Hühnchen, Äpfel oder Kuchen aufsammeln, ehe am Ende der Level ein rabiater Bosskampf wartete. Alles meist trashig angehaucht und ohne viel Story, die aufgrund der technischen Einschränkung nur in untertitelten Standbildern „erzählt“ werden konnte.

Das reichte schon, um seinerzeit Zockermassen zu begeistern, aber kann das heute noch funktionieren? Zumal die ersten Trailer und Artworks zu Streets of Rage 4 mit einem eher westlichen Comiclook bei manchen Fans wenig Begeisterung hervorriefen, die hier einen Traditionsbruch mit dem japanischen Ursprung der Reihe beklagten – von der leicht billig wirkenden Animationsqualität der Figuren ganz zu schweigen. Allerdings sollte sich jede Skepsis letztlich am Endprodukt messen lassen, das in diesem Fall seit dem 30. April für PS4, Xbox One, Switch und PC zu haben ist und einen weit besseren Eindruck hinterlässt, als man zunächst vermuten konnte.

Den Machern ist es nämlich äußerst gut gelungen, den Spirit früherer Side-Scroller (wie eben Streets of Rage) in die Gegenwart zu retten, ohne nicht auch altbekannte Schwächen wie ein oft eher unfaires Balancing oder einen Mangel an Abwechslung zumindest in Angriff genommen zu haben. Trotz allem bleibt bei aller Kosmetik festzuhalten, dass Teil 4 – anders als die leider missglückte Revitalisierung der Contra-Reihe (hier unser damaliger Test) – eben nicht versucht, an der eben beschriebenen Beat´em up-Formel grundlegend zu rütteln und sich die Fortsetzung somit ganz klar nur an Spieler richtet, die ein Herz für Old School-Gaming dieser Art mitbringen.

Dessen Gerüst geht dann – völlig überraschungsarm – so los: In einer leicht retrofuturistischen Stadt, wie man sie aus 80er-Jahre Sci-Fi-Streifen kennt, herrscht Anarchie. Denn die Nachfahren von Streets of Rage-Oberschurke Mr. X führen die Clangeschäfte ihres Vaters fort und lassen sich von Polizei und Justiz nicht aufhalten. Daher schließen sich Serienurgesteine wie Axel Stone und Blaze Fielding mit weiteren Mitstreitern zusammen, um dem Syndikat mitsamt all ihrer Schergen die Seele aus dem Leib zu kloppen und dabei insgesamt zwölf Level abzuklappern. Zu Beginn jedes Gebiets wählen wir einen der Mitstreiter aus, die über unterschiedliche Stärken und Schwächen verfügen. Axel ist beispielsweise ein guter Allrounder, während Blaze wesentlich agiler auftritt und Serienneuzugang Floyd dank seiner Muskeln und einiger mechanischer Gadgets den zwar langsamen aber ungemein kräftigen Panzerschrank in der Truppe gibt.

Egal, mit welchem der Kämpfer man unterwegs ist: Überall warten neben Schurken wie messerstechenden Punks, aggressiven Cops mit Schildern und Schlagstöcken, peitschenschwingenden Motorradbräuten, wendigen Kampfsportmeistern oder Bodyguards mit Schusswaffen Gegner auf uns, die zwar auf den ersten Blick mit ihrer ironischen Klischeeüberzeichnung zum Schmunzeln einladen, jedoch mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad (es stehen mehrere zur Auswahl) und Spieldauer definitiv für erhöhten Schweißausstoß sorgen.  Zwar speist sich ihre Gefährlichkeit eher aus der Masse und dem Umstand, dass sie uns von mehreren Seiten gleichzeitig einzukesseln versuchen. Doch nur wer sich möglichst schnell mit allen einfachen und komplexeren Angriffsmuster seiner Recken auskennt, dürfte in den späteren Leveln noch Land sehen.

Das Ende zu erreichen ist aber anders als bei einigen früheren Prüglern dennoch kein Ding der Unmöglichkeit, da uns Streets of Rage 4 u.a. mit Hilfsoptionen wie weiteren Extraleben beim Levelneustart wahlweise unter die Arme greift. Die Steuerung geht mit etwas Übung intuitiv von der Hand und weitere Antifrustfaktoren wie die Anzahl an Items (wie geschmorte Hühnchen als Energieauffrischer) senken den Härtegrad. Dazu sind die mit allerlei Details ausgeschmückten Level zwischen Schrottplatz, Frachtschiff, Polizeistation, Chinatown und Hochhauskomplex gespickt mit offenen Elektroleitungen oder Giftgasströmen, die wir für unsere Zwecke einspannen und die das Getümmel ebenfalls erleichtern können.

Dank mehrerer Spezial- und Komboattacken unserer sogar im Verlauf der Kampagne weiter anwachsenden Kämpferriege kommt beim sich angenehm wuchtig anfühlenden, sehr direkten Handling auch nicht so schnell Langeweile auf. Feinde wie Gebiete wechseln zudem schnell genug, um Streets of Rage 4 nicht in Eintönigkeit versinken zu lassen. Besonders viel Spaß macht der Titel (wie früher) im Koop, den die Entwickler glücklicherweise nicht vergessen haben. Online dürfen wir zu zweit und via lokalem Couch-Koop sogar zu viert gleichzeitig auf die Jagd gehen und so eine Prise Taktik ins hektische Prügelvergnügen hineintragen. Das trägt auch zur längeren Motivation bei, den der Titel eignet sich mit mehreren Zusatzmodi wie Arcade oder einer Levelanwahl bestens dafür, spontan für eine schnelle Runde aus dem (virtuellen) Spieleschrank geholt zu werden.

Wer sich also an der Designausrichtung nicht stört, bekommt ein gut spielbares, solide zwischen Einsteigerfreundlichkeit und Herausforderung austariertes Brawlervergnügen alter Schule. Zu den erwähnten Stärken gesellt sich ein schmissiger Elektropopsoundtrack, eine technisch flüssige Performance (wir spielten auf PS4) und wer in den Levels nach kleineren Gags (z.B. rutschige Böden) und Anspielungen auf die Vorgänger Ausschau hält, wird ebenfalls belohnt. Klar ist aber auch: Auf „Neumodisches“ wie Dialoge mit Sprachausgaben, ausgefeiltem Storytelling oder Erkundungen einer epischen 3D-Spielwelt muss man hier komplett verzichten. Wer aber Freude an kurzweiligeren Spielereien wie ausufernden Komboketten, dem punktgenauen Einsatz bildschirmfüllender Special-Moves und Teamwork mit Freunden ohne lange Trainings- und Eingewöhnungszeiten hat, sollte sich auf diesen Straßen für aktuell rund 25 Euro unbedingt herumtreiben.

Fazit

Eine in sich runde Hommage an die Beat´em up-Ära der 90er, die deren Geist charmant in die Gegenwart trägt. Wer mit Old School-Prüglern allerdings noch nie etwas anfangen konnte, kann auch von Streets of Rage 4 getrost die Finger lassen.

Streets of Rage 4 • Dotemu • Beat´em up • PS4/Xbox One/Switch/PC

Abb. © Sega

 

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