14. Juli 2020

Ein Engel in der Baker Street

„The Angel of Crows“ von Katherine Addison („Der Winterkaiser“)

Lesezeit: 2 min.

Unter ihrem Pseudonym Katherine Addison veröffentlichte die US-Autorin Sarah Monette 2014 „The Goblin Emperor“ alias „Der Winterkaiser“, der mit vielen höfischen Intrigen und ein paar Steampunk-Elementen in Elfenland, starken Charakteren und himmlischer Prosa begeisterte. Für ihr Buch in der Tradition der „Gormenghast“-Serie, die z. B. auch Tamsyn „Ich bin Gideon“ Muir (im Shop) inspirierte, gab es völlig zurecht den Locus Award und Nominierungen für den Hugo, den Nebula und den World Fantasy Award. Nun ist mit „The Angel of Crows“ Addisons neuer Roman auf Englisch erschienen, und der überrascht auf so vielen Ebenen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.

„The Angel of Crows“ begann sein Leben als geflügelte Fanfiction zur Fernsehserie „Sherlock“ – und wurde am Ende der ungewöhnlichste und interessanteste fantastischste Sherlock Holmes-Pastiche seit Neil Gaimans preisgekrönter Erzählung „Eine Studie in Smaragdgrün“. Addison präsentiert uns ein viktorianisches London und eine Baker Street, wie wir sie kennen und lieben, und doch lauert hinter jeder Ecke eine ungewöhnliche Abweichung oder verblüffende Überraschung. Die Elemente des Episodenromans scheinen stets vertraut, aber am Ende ist „The Angel of Crows“ ganz anders – und doch alles, was ein guter Holmes-Pastiche sein soll. Je weniger man an dieser Stelle verrät, desto größer werden Staunen und Freude beim Lesen sein.

Deshalb nur so viel: Statt John Watson berichtet Afghanistanveteran J. H. Doyle, und Doyles Mitbewohner heißt nicht Sherlock Holmes, sondern Crow und ist einer der vielen Engel in einem übernatürlichen, okkulten London, wo viele Gebäude einen Engelswächter haben. Zudem gibt es Höllenhunde, gefallene und namenlose Engel, Vampire, Werwölfe, Hexen, Luftschiffe und anderes. Während Addison die vier Kanon-Romane „Eine Studie in Scharlachrot“, „Das Tal der Angst“, „Im Zeichen der Vier“ und „Der Hund der Baskervilles“ sowie ein paar der Kurzgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle famos durch die Mangel dreht, lässt sie ihr Ermittlergespannt außerdem noch Jack the Ripper jagen, mit Moriarty interagieren und Gender-Fragen klären. Bei all dem ist Addisons „The Angel of Crows“ ein einziges Vergnügen, weil es sowohl durch seine eigensinnige Holmes-Neuinterpretation wie durch seine fantastische Weltenschöpfung überzeugt.

Hier kann man in den Roman reinlesen, von dem man sich nur schwer vorstellen kann, dass er ins Deutsche übersetzt wird.

Katherine Addison: The Angel of the Crows • Tor Books, New York • 448 Seiten • Sprache: Englisch Hardcover: $ 27,99

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