18. Juli 2020 2 Likes

„The Last of Us Part 2“: I hurt myself today

Naughty Dogs Action-Adventure erweist sich im Test als erwartet polarisierendes wie unwiderstehliches Meisterwerk

Lesezeit: 6 min.

Keine Frage: Über dieses Spiel zu schreiben, ist nach all der Kakophonie, die The Last of Us Part 2 seit Langem begleitet, durchaus eine Herausforderung. Mehrere Verschiebungen, die Frage nach der Rolle von (Ex-)Hauptfigur Joel aus Teil 1, ein selbst in unserer Zeit krasser Leak essentieller Storydetails weit vor Release und eine teils unsäglich plump geführte Debatte über eine vermeintlich im Spiel dominante LGBT-Ideologie – und das sind nur die lautesten Streitpunkte rund um diese Fortsetzung, die seit dem 19. Juni exklusiv für PS4 erhältlich ist. Dass schon Stunden nach Release teils vernichtende Metacritic-Werte kursierten, obwohl man die Kampagne dieses Endzeit-Abenteuers nicht mal annähernd so schnell auch nur halbwegs abschließen konnte, bewies leider mal wieder, dass das Netz häufig mehr Unschönes über sich preisgibt, als über das, worüber sich Communities empören müssen. Dass The Last of Us Part 2 in Rekordzeit zum Millionenseller avancierte, ist dann eigentlich die nur logische Pointe.

Über all diese Nebenkriegsschauplätze, ist (nicht nur im Netz) zuletzt viel geschrieben worden und so soll es an dieser Stelle nur um das gehen, was wirklich relevant ist, wenn man sich Naughty Dogs Action-Adventure-Fortsetzung in ihrem Kern annähert. Nämlich eine in ihrer Intensität bisher kaum so dagewesene Achterbahnfahrt der Emotionen zu würdigen, die als zeitgenössisches Monument des Mediums Videospielblockbuster begeistern und manchmal zutiefst verstören kann. Und um die vielleicht größte Qualität schon jetzt zu benennen: In seinen besten Momenten gelingt Part 2 natürlich beides.

Kenner des bereits formidablen ersten Teils von 2013 erinnern sich: Nach einer verheerenden Pilzepidemie verwandeln sich die USA in typischer Walking Dead-Manier in eine archaische Gesellschaft, in der Überleben eine Frage von Stärke, Kooperation und stetem Misstrauen gegen Fremde ist. Denn während sich die vom Pilzerreger befallenen Menschen in rasende Bestien verwandeln, muss der Rest um knappe Ressourcen kämpfen und einen Weg finden, sich ohne Staat und Vaterland eine dauerhafte Existenz aufzubauen. In dieser von unserer Zeit gar nicht mal so fernen Epoche, lernten wir, seinerzeit noch auf der PS3, im ersten The Last of Us den von Trauer um seine Familie eigentlich zerstörten Joel und das junge Mädchen Ellie kennen, die sich im Verlauf einer mitreißenden Kampagne zu einem symbolisch aufgeladenen Vater-Tochter-Gespann zusammenrauften und denen dabei kaum ein menschlicher Missstand fremdblieb.

Gerade das Ende löste bereits damals heftige Kontroversen aus. Schließlich traf Joel eine harte, sehr egoistische, aber in sich sogar irgendwie nachvollziehbare Entscheidung, die viel Spielraum für eine Fortsetzung ließ (und die wir hier auch nicht spoilern wollen). Angefasst nicht nur durch das Ende, waren Millionen Spieler weltweit höchst gespannt, was Creative Director Neil Druckmann und Co. wohl aus Teil 1 machen würden, als Jahre später  endlich feststand, dass Naughty Dog seinem auch von Kritikern in den Adelsstand des Meisterwerks emporgehobenen Postapokalypse-Abenteuer noch auf der „alten“ Konsolengeneration der PS4 weiterführen würde.

Die wichtigste Änderung zu Teil 1 besteht zweifelsohne in der Fokussierung auf Ellie als spielbarer Protagonistin. War sie in Teil 1 hauptsächlich der zu beschützende, wenn auch zunehmend selbstständigere Sidekick (was die Vater-Tochter-Thematik spielmechanisch auch unterstrich), ist sie nun, fünf Jahre nach den Ereignissen des Vorgängers, nicht mehr auf männliche Hilfe irgendeiner Art angewiesen. Wir begegnen einer jungen, von ihrem Leben abgehärteten Frau, die anders als ihre Kollegin Lara Croft weder mit dem goldenen Löffel geboren wurde noch zur überhöhten Superwoman taugt.

Stattdessen ist Ellie ein durchwegs greifbarer, sensibler, widersprüchlicher und ja, auch grausamer Charakter, wie wir ihn so (mit Abstrichen eventuell vergleichbar mit Jodie aus Quantic Dreams Beyond Two Souls) noch nie in einem Spiel hatten und der eben nicht darauf ausgerichtet ist, männlichen Spielern zu imponieren oder billigste Stereotype zu bedienen. Oder anders gesagt: Sie ist – genau wie alle anderen, teils ebenfalls spielbaren Charaktere - ein Komplex, keine austauschbare Funktionspuppe oder nur ein variiertes Abziehbild aus der oft genug beobachtbaren Hölle sexistischer Character-Datenbanken. Dank famoser Motion Capture-Technik und der speziell im Original von Schauspielerin Ashley Johnson (auf Deutsch ebenfalls sehr ordentlich: Luisa Wietzorek) hervorragend vertonten Stimme, fühlen wir buchstäblich mit bei Ellies Erlebnisklaviatur, die natürlich wie bei jeder guten Postapokalypse das Glück nur zeitweise borgt, um es dann umso grausamer wieder zu entreißen.

Motiviert von einem unvorhersehbaren Verlust, entspinnt sich eine düstere, mit jeder Faser der Unerbittlichkeit gestrickte Rachestory, die überraschenderweise mit einer Spiegelfigur zu Ellie aufwartet, die einem im Verlauf der gut 35 Stunden Spielzeit fast (oder sogar mehr) ans Herz wachsen kann als Ellie selbst. Über den Plot und dessen teils wirklich fiese Wendungen, die fast nie mit positiven Gefühlen im Verbund stehen, mehr zu verraten, würde Hochverrat an Neil Druckmanns aufwühlendem Erzählstil bedeuten. Kurzum: So viel Konsequenz hat man zuletzt wirklich nur in früheren Walking Dead-Tagen gesehen.

Spielerisch wandelt Ellies Abenteuer auf weitgehend bekanntem Naughty Dog-Terrain. Wer die Uncharted-Reihe um Gute-Laune-Abenteurer Nathan Drake oder den Vorgänger gespielt hat, fühlt sich sofort heimisch. Wir durchstreifen zu Fuß, auf Pferden oder im Boot weitläufige, aber in sich überschaubar abgeschlossene Gebiete voller Gebäude und Ecken, die wir nach Gegenständen, Erweiterungen oder Hinweisen absuchen und wo uns meist gut agierende Gegner auflauern. Während sich die Infizierten eher in schummrig verpilzten Innenräumen aufhalten und bei Sichtkontakt auf uns zu stürzen, agieren die menschlichen Patrouillen im Freien wesentlich taktischer, da sie beispielsweise mit Spürhunden unsere Fährte verfolgen oder uns mittels Absprachen flankieren oder mit Sprengsätzen aus der Reserve locken können. Daher ist flexibles Vorgehen zwischen Verstecken im Gras, Anschleichen hinter Objekten wie Wänden und Autos oder auch mal der offene Einsatz unseres anwachsenden Schusswaffen- und Bastelarsenals vonnöten, um nicht in blutigen Cutscenes unser Leben auszuhauchen.

Wie gewohnt aus Teil 1, erweitern wir unsere Fähigkeiten durch überschaubare Skilltrees in verschiedenen Sparten und Craften uns unsere Ausrüstung wie Medikits, Schalldämpfer oder Extramunition im handlichen Schnellmenü. Fünf jederzeit wechselbare Schwierigkeitsgrade stehen zur Verfügung, wobei die unteren drei bereits ein recht entspanntes Genießen des Abenteuers erlauben und uns dazu jederzeit reichlich Items spendieren. Die Steuerung funktioniert tadellos und auch der schnelle Inventarwechsel geht selbst in kritischen Situationen gut von der Hand. Nur das etwas zu ausgiebige Herumsuchen nach Items kann manchmal fast nerven, da man irgendwann fast automatisch dazu übergeht, wirklich jeden Raum nach Schubladen und geheimen Tresoren (inklusive der Suche nach dem Code) durchzukämen, um weitere Items für Waffenverbesserungen an verstreuten Werkbänken zu sammeln.

Die grafisch stimmungsvoll präsentierten Areale gefallen über die komplette Spielzeit mit viel Abwechslung (wir besuchen von der Natur zurückeroberte Städte ebenso wie ein Schiff, ein Krankenhaus, eine Waldsiedlung, einen TV-Sender oder verschneite Wetterstationen) und die Macher achteten stets auf ein ausgewogenes Timing bei der Länge ihrer Kapitel, die sehr gut zwischen harten Survivalpassagen und reinen Storyabschnitten changieren. Technisch ist das Ganze über jeden Zweifel erhaben, wobei speziell die herausragenden Gesichtsanimationen, das Zusammenspiel aus Sound und Bild (wie bei den wirklich grausigen Monsterlauten) und die selbst bei Dauerregen und vielen Gegnern nicht einbrechende Bildrate als nur einige der Sahnestücke hervorzuheben wären.

Ein ebenfalls kontrovers diskutierter Punkt darf in diesem Kontext nicht unerwähnt bleiben, nämlich der extrem hohe Gewaltgrad. Klar, ein Spiel mit diesem Thema und Kontext kann kein Kindergeburtstag sein und das sollte es auch nicht. Glücklicherweise verquickt The Last of Us Part 2 aber Gewaltgrad und Aussage sehr klug miteinander und lässt uns stets mit einem flauen Gefühl im Magen unsere völlig unheroischen Tötungen vollziehen. Hier ist der Tod nicht nur eine wahllose Aneinanderreihung von Abschüssen, denn unsere Gegner – denen wir z.B. gnadenlos die Kehle durchstechen – wimmern um ihr Leben, trauern sogar um von uns getötete Kammeraden und Wachhunde und markieren so immer deutlich, dass unsere Taten Konsequenzen haben. So macht Gewalt im Spiel (und auch deren Vermeidung) wirklich Sinn.

Das wiederum spiegelt sich auch auf der Ebene der doppelbödigen Rachestory wider und trägt so seinen Teil dazu bei, The Last of Us Part 2 trotz so manch spielerischer Redundanz (Stichwort Naughty Dog-Formel) und dem Mangel an storyrelevanten Entscheidungen bis zum diskutablen Abschluss als das vielleicht bestinszenierte Action-Adventure seiner Generation zu adeln. Dieses Spiel ist nichts weniger als ein Heart of Darkness, eine finstere, tief klaffende und absolut schonungslose Postapokalypse, die menschliche Abgründe und Widersprüche bis zum Letzten grandios ausagiert. Letztlich also das nach Teil 1 völlig erwartete Meisterwerk, das der ganzen Aufregung im Vorfeld und danach ganz erhaben trotzt und ab sofort als Großreferenz moderner Videospiele gelten muss.

Fazit

Eine fantastisch inszenierte, erzählerisch aufwühlende und spielerisch ausgewogene Tour de Force als Abschiedsgeschenk an die PS4-Ära. Wer nicht völlig durch ist mit harten Postapokalypsen voller „Zombies“, muss diesen Meilenstein der Videospielgeschichte einfach durchlebt haben.

The Last of Us Part 2 • Naughty Dog • Action-Adventure • PS4

Abb. © Sony Interactive Entertainment

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