4. Januar 2019 2 Likes

Zeit für einen nuklearen Neubeginn

„Fallout 76“: Multiplayer-Ödland mit etlichen Macken

Lesezeit: 5 min.

Wenn sich Kult-Regisseur John Carpenter zu einem Videospiel äußert, dann muss ja was dran sein. Besagtes Spiel sei ein „Glitch-athon“ seinesgleichen, es friere ständig ein, stürze ab, Missionen punkteten entweder voll oder gingen in die Hose, das Ganze würde aber trotz der ganzen Verfehlungen großen Spaß in der nuklearen, postapokalyptischen Open-World machen. Da kann ja nur die Rede von Bethesdas „Fallout 76“ sein!

„Fallout 76“ wurde erneut von der traditionellen Rollenspiel-Firma Bethesda Game Studios entwickelt, wie auch seinerzeit „Fallout 3“ und „4“, bedient diesmal aber eine etwas andere Nische, denn bei „Fallout 76“ handelt es sich um kein Singleplayer-RPG mehr, sondern um ein MMO, das sich zumindest auf dem Papier auch alleine spielen lässt, so Bethesda selbst. Zeitlich handelt es sich bei „76“ um das früheste Fallout, das gerade mal 25 Jahre nach dem Großen Krieg spielt, der die Welt in ein nukleares Ödland verwandelt hat. Den Spielern bleibt es dabei überlassen, die Ländereien um Virginia neu zu besiedeln, nachdem sich die Tore des Vault 76 öffnen und uns in die Welt hinaus entlassen.

Schnell wird aber ersichtlich, dass sich eigentlich nicht viel verändert hat, selbst wenn es der vermeintlich „erste“ chronologische Teil ist. Supermutanten, wilde Ghoule, gewaltige Rieseninsekten und weitere Raider bevölkern das Ödland und wollen uns allen an den Kragen. Es gilt weiterhin eine endlose Liste an Kleinigkeiten zu sammeln, Quests zu erledigen, Waffen zu schmieden und zu modden, währenddessen aufzuleveln und neue Skills freizuschalten und sich nebenbei mit anderen, lebendigen Spielern zusammenzutun oder gerade diesen das Licht auszublasen. Und egal ob im Team oder alleine, das Hauptziel bleibt: Loot, Loot, Loot. Besagte Loot teilen wir uns übrigens auch nicht mit Teamgefährten, denn jeder Spieler hat da seinen eigenen Screen, es sei denn, es handelt sich um Items, die frei in der Welt herumliegen, denn diese sind zeitlich für einige Stunden servergebunden und für jeden frei zugänglich, der zuerst an Ort und Stelle ist.


„Fallout 76“ ist zwar vollgestopft mit kleinen Geschichten, fühlt sich aber trotzdem ungelebt an.

Jeder Spieler, der schon einmal „Fallout 4“ gespielt hat, weiß exakt, was sie oder ihn hier erwartet. Denn es handelt sich um ein traditionelles Bethesda-RPG mit all seinen bekannten Macken, jedoch weniger Stärken, die mit einem Multiplayer-Aspekt abgerundet werden sollen und etlichen Schwächen. Es fühlt sich toll an mit Freunden durch das Ödland zu streifen und gemeinsam in skurrile Situationen zu rutschen und diese zu meistern. Jedoch fühlt sich „Fallout 76“ alleine deutlich leerer und einsamer an, als es noch „Fallout 4“ tat, denn das Land wird lediglich von Roboterhändlern oder künstlichen Quest-Gebern bevölkert. Die hanebüchene Erklärung seitens Bethesda sei natürlich, dass die Bewohner des Vault 76 die ersten seien, die in das Ödland ausziehen und somit könne es keine menschlichen Figuren oder Auftraggeber geben. Beim ersten Aufeinandertreffen mit den Fraktionen der Brotherhood of Steel oder der verschlagenen Enclave, die sich ja 25 Jahre unterirdisch bedeckt hielten, fällt das Kartenhaus jedoch sofort in sich zusammen, und dem Spieler fehlen die Interaktionen mit den „menschlichen“ NPCs spürbar. Somit wird aus jeder einzelnen Quest gefühlt eine To-Do-Liste, die einen immer und immer wieder kreuz und quer über die gigantische Map schickt.

Das wird einem besonders schmerzlich bewusst, wenn man sich einmal allein auf sich gestellt der Hauptquest zuwendet, ohne Ablenkungen. Dann gilt es bei jedem noch so kleinen Quest-Schritt einmal quer über die Karte zu huschen und wieder zurück, nur um von dort wieder an ein anderes Ende geschickt zu werden. Dies fällt besonders ins Gewicht, wenn einem bewusst wird, dass die Schnell-Reisen von Ort zu Ort seltene Kronkorken in „Fallout 76“ kosten. Und um für jeden Quest-Teil manuell von A nach B zu laufen dauert es etliche Minuten und kostet Nerven. Das fühlt sich gewaltig nach Zeitstreckung an und selten warten Quests tatsächlich mit erinnerungswürdigen Momenten oder Sequenzen auf. Natürlich gibt es etliche skurrile Begebenheiten und Quests, wie einen Golfclub von passend gekleideten Ghoul-Golfern zu säubern, jedoch spielt sich das meiste im Kopf des Spielers ab, da alles komplett unnarratiert bleibt und es keine Verknüpfung zu charmanten Quest-Figuren gibt. So verschwimmt dann schnell alles in einem Einheitsbrei.


Das erste Treffen mit der Enclave gehört zu den wenigen, seltenen Highlights des Spiels.

Um das Ganze etwas aufzulockern, schalten Spieler mit jedem Level zufällige Perk-Karten frei, die sich aufleveln und ausrüsten lassen und Spielern diverseste Skills verleihen, vom leichteren Schlösserknacken bis hin zu Waffenspezialisierungen. Diese lassen sich dann auch per Charismawert mit den Teamgefährten online teilen. Auch das Beitreten und Ausscheiden aus der Gruppe ist kinderleicht und einfach. Auf dem Socialscreen lassen sich alle Spieler per Einladung in die Gruppe fügen und teilen sich dann auch gemeinsame Erfahrung und Quest-Fortschritte. Wenn ein Spieler jedoch einen anderen Nicht-Gefährten-Spieler angreift, muss dieser zustimmen und es entbrennt ein PVP-Kampf, dessen Gewinner zwar die Loot des anderen erhält, aber auch ein Kopfgeld auferlegt bekommt. Somit wird der Killer vogelfrei und für alle menschlichen Spieler auf der Karte zum Abschuss freigegeben. Das kann in so mancher Situation zu unerwarteter Spannung führen, während sich Spieler in Gegnerhorden befinden und sich dann auch noch gleichzeitig mit einem menschlichen Gegner messen müssen.


Auch die angsteinflössenden Scorch-Bestien wirken mit der Zeit eher wie Zeitstrecker.

Seit dem Release am 14. November 2018 ist nun schon etwas Zeit im virtuellen Ödland vergangen und Bethesda bemüht sich redselig eingangs erwähntes Einfrieren und Stottern zu beseitigen, bekämpft die größten Schwächen des MMO-Ablegers jedoch nicht. Der Großteil der Quests bleibt öde und auch die den „Skyrim“-Drachen ähnelnden Scorch-Bestien, gewaltige, fliegende Ungetüme, sind nicht der Endgame-Content, der zeitig bei Laune hält. Auch die Zündung einer Atombombe auf dem Server bietet bloß kurzzeitiges Neuland und wirkt nach dem dritten Mal eher wie Routine. Und trotzdem macht das Looten und Aufleveln irgendwie Spaß und übt einen gewissen Suchtfaktor aus. Besonders, wenn man ihn mit Freunden teilen kann.

So langsam stellt sich jedoch trotzdem die Frage, wie oft Bethesda ein und dasselbe Spiel noch machen kann, denn neben dem Multiplayer-Aspekt fühlt sich „Fallout 76“ beinahe exakt so an wie die Vorgänger, und in den bisherigen vier Spielen seit Bethesdas Übernahme der Marke hat sich im Ödland grafisch oder auch vom Look nicht viel verändert. Während „Fallout“ und „Fallout 2“ noch auf diverseste, handgemalte Hintergründe mit äußerst großer Abwechslung setzten, fühlt es sich an als ob die Zeit für Bethesdas „Fallout“ so langsam dem nuklearen Ende entgegen geht. Zeit für einen Neuanfang.

Fallout 76 • Bethesda Softworks • MMO-Action-RPG • PC, Xbox One, Playstation 4

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