12. November 2020 2 Likes

Netflix’ „Das Damengambit“ nach Walter Tevis

Der neue Netflix-Darling oder: Schach, Sucht und Science-Fiction

Lesezeit: 2 min.

Zwischen Corona-Lockdown und Trump-Eskapaden nimmt man derzeit jede gute Ablenkung, die man kriegen kann. Dabei ist nicht nur Stephen King (im Shop) von der neuen Netflix-Serie „Das Damengambit“ alias „The Queen’s Gambit“ begeistert, die seit Ende Oktober gestreamt werden kann. Das moderne Serienmärchen über Schach und Sucht wurde von Scott Frank entwickelt, der 2017 bereits den Western-Geniestreich „Godless“ auf Netflix präsentierte (wer ihn nicht kennt: anschauen). „Das Damengambit“ erzählt nun in einer ganz eigenen Anmutung und Geschwindigkeit die Geschichte der jungen Beth, die nach dem Unfalltod ihrer Eltern in den 1950ern in einem Waisenhaus aufwächst und trotz Drogensucht und Obsession als Wunderkind und Meisterin die Männerwelt des Schachspiels aufmischt, das sie vom Hausmeister und aus einem Buch lernt. Die Performance von Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy („Emma“, „Peaky Blinders“) ist alleine schon sehenswert.

Eine wirklich außergewöhnliche und tolle Serie, die allerdings auch für Science-Fiction-Fans noch einen interessanten Zug bereithält: Denn „The Queen’s Gambit“ beruht auf dem gleichnamigen Roman von US-Autor Walter Tevis (1928–1984), den dieser 1983 veröffentlichte – nach „Der Mann, der vom Himmel fiel“, der mit David Bowie legendär-prominent verfilmt wurde, sowie den Zukunftsromanen „Die Letzten der Menschheit (um einen Androiden mit Selbstmordgedanken), der für den Nebula Award nominiert war, und „Steps of the Sun“ (über eine Energiekrise im Morgen, wo China zur obersten Supermacht wurde). Dabei hat „The Queen’s Gambit“ allerhand autobiografische Züge, angefangen bei Tevis’ eigenem Suchtproblem, das wie bei seiner Figur Beth ebenfalls auf Medikamentierung im Kindesalter zurückzuführen ist, woraus Poolbillard und Schach ihm eine Flucht boten.

Tevis, der als Erwachsener gegen seine Alkoholabhängigkeit kämpfte und u. a. mit „Blumen für Algernon“-Autor Daniel Keyes Pool und Schach spielte, schrieb nach seinem Romandebüt „Haie der Großstadt“ von 1959 über den Billardspieler Fast Eddie Felson und „Der Mann, der vom Himmel fiel“ von 1963 fast zwei Jahrzehnte lang kein neues Buch mehr und rang hauptsächlich mit seinen persönlichen Dämonen. Er unternahm und überlebte sogar zwei Selbstmordversuche, über die er später sagte: „Veränderung ist für viele schwieriger als der Tod. Bekloppt, wenn man drüber nachdenkt. Es ist doch so: mach weiter und ändere dich, und wenn das nicht klappt, kannst du dich später immer noch umbringen.“ Doch dann nahm Tevis selbst voller Begeisterung an Schachwettkämpfen teil und verarbeitete seine Erfahrungen schließlich im Schreiben eines weiteren Romans. Ab Anfang der 1980er publizierte er neue Bücher, 1983 kam schließlich „The Queen’s Gambit“ heraus.

Daraus wurde fast vier Dekaden später nun einer der besten Fernsehserienstoffe des Jahres 2020, das einen emotional schon schachmatt setzen konnte. Eine überzeugende Schach- und Coming-of-Age-Serie auf Netflix, die jedoch nicht einfach so vom Himmel fiel, wie ein Blick auf Walter Tevis’ Leben zeigt.

Abb. ganz oben: Anya Taylor-Joy in „Das Damengambit“, © Phil Bray/Netflix

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.