4. März 2021

Todeswelten, eine Stahlratte und „Soylent Green“

Hardy Kettlitz und Christian Hoffmann porträtieren Harry Harrison

Lesezeit: 4 min.

Er gehört nicht zu den Aushängeschildern des Genres, aber es dürfte kaum jemanden innerhalb der Science-Fiction-Leserschaft geben, der nicht schon einmal ein Buch von Harry Harrison gelesen hat. Gerade seine humoristisch unterfütterten Abenteuerromane wie die um Jim DiGriz, die „Stahlratte“ (im Shop), erfreuen sich auch hierzulande großer Beliebtheit; dazu kommt noch die Vorlage für den Charlton-Heston-Film Soylent Green, der unterdessen als Klassiker gilt und auch außerhalb der Science-Fiction-Szene bekannt ist. Mehr als genug Gründe für Hardy Kettlitz und Christian Hoffmann, um im Rahmen der verdienstvollen Reihe SF Personality einen Blick auf das Gesamtwerk von Harry Harrison zu werfen.

Der US-Amerikaner wurde am 12. März 1925 als Henry Maxwell Dempsey geboren; allerdings änderte sein Vater kurz nach der Geburt des Sohns den Familiennamen. Harry Harrison begeisterte sich früh für Science-Fiction, veröffentlichte 1951 seine erste Kurzgeschichte und erfand 1957 mit James Bolivar „Slippery Jim“ diGriz seine wohl bekannteste Figur; der erste ihr gewidmete Sammelband The Stainless Steel Rat (dt. Stahlratte zeigt ihre Zähne, im Shop) erschien 1961. Weitere sollten folgen; Harrison hat die ebenso bildhafte wie temporeiche Serie voller absurder Einfälle bis 2010 und damit auf insgesamt elf Titel ausgebaut. Allerdings nicht ohne Verlust bei der Qualität, und so schreibt John Clute in seinem ebenso kenntnisreichen wie persönlichen Vorwort: „Dieses nachlassende Interesse an erfolgreichen Reihen, die auf Insistieren seiner Verleger fortgesetzt wurden, war ganz und gar typisch für Harrison.“ Es geht in jedem Schriftstellerleben natürlich auch um Rechnungen, die bezahlt werden müssen. Dies gilt auch für die Serie um den unfreiwilligen Weltraumhelden Bill, dessen erster Band Bill, the Galactic Hero (1965; Der unglaubliche Beginn!) noch als ernsthafte Satire auf das Militär und entsprechende SF angelegt war. Der Spott galt insbesondere Starship Troopers (1959) von Robert A. Heinlein, was dazu führte, dass dessen Autor „nie wieder ein Wort mit Harrison sprach“.

Harrisons zweiter Schaffenszweig sind spannende Abenteuerromane wie etwa die vielbeachtete „Todeswelten“-Trilogie (1960–68; dt. als Die Todeswelt, Die Sklavenwelt und Die Barbarenwelt), die in Russland so erfolgreich war, dass dort lokale Autoren eigene Fortsetzungen ersannen. Grundsätzlich geht es in diesen Büchern um spannende Unterhaltung, doch Hoffmann und Kettlitz bescheinigen dem Autor, mit „Gedanken zu Ökologie, Moral, Gesellschaft und Geschichte“ durchaus zum Nachdenken anzuregen. Gerade die Frage „Was wäre, wenn …?“ hat Harrison immer wieder neu beschäftigt, etwa in Form der Alternativwelt-Trilogie Eden (1984–88; dt. als Diesseits von Eden, Winter in Eden und Rückkehr nach Eden), die mit Originalität, Exaktheit und Schlüssigkeit besticht. Allerdings gilt auch hier: „Zumindest der erste Roman ist unbedingt lesenswert, was auf die beiden Folgebände nur bedingt zutrifft.“

Vielleicht werden daher von Harrison vor allem seine kritisch-dystopischen Einzelromane bleiben, von denen Make Room! Make Room! (1966; dt. New York 1999, im Shop) der bekannteste und wichtigste ist. Das Buch nutzt einen eher vordergründigen Krimiplot, um die Folgen von Umweltzerstörung, Nahrungsmittelmangel und insbesondere Überbevölkerung vorzuführen; mit der Verfilmung Soylent Green (1973; dt. Jahr 2022 – Die überleben wollen) war Harrison nicht einverstanden, weil sie sehr viel drastischer ausfiel als seine Vorlage, aber das muss bei diesem Thema keineswegs von Nachteil sein. Andere wichtige Romane wären etwa Captive Universe (1969; Welt im Fels) – ein origineller Beitrag zum Thema Generationenraumschiff – und Skyfall (1976; dt. Das Prometheus-Projekt) über eine Raumstation, die eigentlich den Energiemangel auf der Erde beheben soll, dann aber auf selbige zu stürzen droht. Ein clever konzipierter Science-Fiction-Thriller – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Doch Harrison war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Herausgeber. In dieser Rolle ist er besonders zu würdigen, da er – nicht selten zusammen mit der britischen Science-Fiction-Ikone Brian W. Aldiss, mit dem er eng befreundet war – wichtige Kurzgeschichten zugänglich machte, die in literarischer Hinsicht seine eigenen Hervorbringungen meist deutlich hinter sich ließen. (Hierin zeigt er sich seinem Landsmann Michael Moorcock verwandt.) Dazu gehören etwa die Jahresanthologie Best SF (neun Bände, 1967–75), die Serie SF: Author’s Choice mit unveröffentlichten Erzählungen, die vom jeweiligen Verfasser selbst vorgeschlagen wurden (vier Bände, 1968–74) sowie Nova (ebenfalls vier Bände, 1970–74), die betont unkonventionelle Science-Fiction – etwa von Philip José Farmer, Barry N. Malzberg und Naomi Mitchinson – in den Fokus stellte. Bedeutend ist auch die zusammen mit Aldiss realisierte Zusammenstellung von sechs biografischen Essays, die 1975 unter dem Titel Hell’s Cartographers erschien und im Taschenbuch erst unlängst wieder neu aufgelegt wurde. Von diesen Sammlungen sind leider nur sehr wenige – etwa Nebula Award Stories 1967 als Der Tag Million – ins Deutsche übersetzt worden, wobei zumeist Kürzungen bei der Anzahl der Geschichten hinzunehmen waren.

Harry Harrison starb am 15. August 2012. Clute nennt ihn einen schwer fassbaren Autor, der einerseits SF-Abenteuerromane schrieb und diese andererseits parodierte; für ihn ließ Harrison „einer absurden Welt die ihr gebührende Achtung zukommen“. Der insgesamt 28. Band der Reihe SF Personality stellt Harrisons Werk kritisch vor und wird noch durch ein amüsantes Interview (Arno Behrend) und eine exakte Bibliographie seiner deutschsprachigen Arbeiten (Joachim Körber) abgerundet. Mit dem Resultat wäre Jim diGriz sicher auch zufrieden gewesen.

Hardy Kettlitz & Christian Hoffmann: Harry Harrison. Weltenbummler und Witzbold • SF Personality 28 • Memoranda • 300 Seiten • € 18,90 • E-Book € 7,99

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