29. September 2021

„Unvermögen“ von Andreas Kiener

Cyberpunk mit Robo-Teddy: Ein Science-Fiction-Comic aus der Schweiz

Lesezeit: 2 min.

Andreas Kiener ist ein Comiczeichner, Illustrator und Siebdrucker aus Luzern, aber auch Mitherausgeber des Schweizer „Ampel Magazins“ für Independent Comics. Nach seinem historischen Comic „Odysseus“ von 2018, in dem er die antike Sagenwelt durch die Augen von Odysseus’ Diener betrachtete, liegt in der Edition Moderne mit „Unvermögen“ nun ein 160 Seiten starkes Science-Fiction-Album des 1986 geborenen Künstlers vor.

Die Geschichte setzt im 23. Jahrhundert ein, in dem sich die Erde und das Leben der Menschheit stark verändert haben. Einerseits kann nicht allein das Wetter genauer denn je vorhergesagt werden – andererseits herrschen ziemlich ungleiche und dystopische Verhältnisse in den verschiedenen Ebenen der Stadt sowie der Gesellschaft. Nach dem Tod ihrer Großmutter will die junge Ali auf eigene Faust ihre lange verschwundene Mama finden. Begleitet wird sie von Rob, einem großen, starken Teddybären, bei dem es sich um einen fortschrittlichen Androiden handelt. Rob beschützt Ali, wo er kann, jedoch ist er an gewisse Robotergesetze gebunden, die seinem Handlungsspielraum Grenzen setzen. Auch kann er nichts tun, wenn Ali etwa auf die Idee kommt, einen Teil ihres gewaltigen Erbes einfach zu verschenken. Oder wenn sie gemeinsam einem arroganten, gut bewachten Wissenschaftler auf die Pelle rücken, für den Alis Mutter gearbeitet hat und der die Natur von künstlichen Geschöpfen wie Rob gern noch weiter pushen würde …

Reden wir nicht lange drumherum: „Unvermögen“ sieht wunderschön aus. Die sanften und weichen, oft großzügig proportionierten Bilder, die Kiener mit Tusche, Farbstift und blassen Aquarellfarben erschaffen hat, sind äußerst gelungen. Regelmäßig muss man beim Lesen zudem innehalten, weil die futuristische Cyberpunk-Kulisse einem Panel für Panel so viel Details und Stimmung anbietet. Und natürlich bestechen Ali und Rob, entsprechend niedlich illustriert, als süßes Gespann und liebt man speziell den großen Teddy-Beschützer trotz oder gerade wegen der Asimov-Robotergesetz-Ketten von Anfang an. Allerdings übernimmt sich „Unvermögen“ ein wenig beim Worldbuilding. Das will Kiener im Prolog und später eher nebenbei erledigen, um der luftigen Handlung um sein sympathisches Duo nicht zu sehr in den Weg zu kommen. Das funktioniert mit Blick auf Ali und Rob, aber am Ende ist der Weltenentwurf zu hochgegriffen, um ihn so abzufrühstücken. Das schmälert das Lesevergnügen nie, doch frag man sich, ob die Geschichte überhaupt diesen ambitionierten Kontext gebraucht hätte.

Ansonsten bietet das Album konzeptionell noch ein paar Nettigkeiten. Der Prolog startet auf Seite -13. Erst mit Alis Auftauchen auf Seite 1 setzt dann die positive Paginierung ein. Das ist ein ebenso charmanter formaler Kniff wie die letzte Comicseite auf dem Anpappblatt, das hinten in die Innenseite des Buchdeckels geklebt wurde. Das suggeriert, dass die offene Handlung direkt jenseits des Hardcover-Bandes weitergeht. Andreas Kieners schöne Science-Fiction-Bildergeschichte überrascht und verzaubert also oft genug, um über das nicht immer perfekt ausbalancierte Setting hinwegzusehen.

Andreas Kiener: Unvermögen • Edition Moderne, Zürich 2021 • 160 Seiten • Hardcover: 32 Euro

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