11. Dezember 2014 1 Likes

Apokalyptischer Western trifft auf dystopische Science Fiction

Jonathan Hickmans neue Comicreihe „East Of West”

Lesezeit: 4 min.

Tod, einer der vier Reiter der Apokalypse, wird von seinen Geschwistern verraten und sinnt auf Rache – und das alles in einem komplexen Sci-Fi/Western-Mix, in einer Welt, in der der US-Bürgerkrieg völlig anders verlief, als wir es gewohnt sind. Das und noch so viel mehr ist Jonathan Hickmans Epos in spe „East Of West“, erscheinend beim Panini-Verlag.

Wir schreiben das Jahr 2064. Drei Reiter der Apokalypse erwachen aus ihrem Schlaf an der Stelle eines Kometeneinschlags, der den US-Bürgerkrieg vor fast 200 Jahren zu einem verfrühten Ende gebracht hat. Unter ihnen fehlt jedoch der vierte Mitstreiter, Tod, der den Kreis der Wiedergeburt offensichtlich durchbrochen hat und nach einem zu Anfang nicht näher spezifizierten Verrat durch die anderen Reiter, die amerikanische Landschaft durchstreift und nach Vergeltung dürstet. Und alle Reiter und diverse Figuren der Welt in „East Of West“ richten sich nach den Worten der „Botschaft“, einer ominösen Prophezeiung, die auch noch das Ende der Welt voraussagen soll.

Jonathan Hickman, in Deutschland hauptsächlich bekannt für seine grandiose Arbeit an Marvel-Titeln wie „Secret Warriors“ oder auch aktuell an den „Avengers“ sowie „New Avengers“, baut in der Creator-owned Serie „East Of West“ zusammen mit Zeichner Nick Dragotta eine vielschichtige Story um Liebe, Rache und Intrigen auf.

Die Handlung beginnt quasi in medias res und der Leser wird Stück für Stück behutsam (und zunächst sehr kryptisch) über frühere Geschehnisse aufgeklärt, während zeitgleich die gewaltige Welt und ihre zahlreichen Spieler darin aufgezeigt werden. Hickman selbst sagte dazu, dass er mit „East Of West“ eine Story erzählen wollte, die sozusagen mit ihrem zweiten Akt beginnt. Und erst nach und nach wird enthüllt, was sich im ersten Akt abspielte, während die Geschichte fortgeführt wird. Dem Leser bleibt dann nur übrig auf den Zug aufzuspringen oder es sein zu lassen. Wer sich jedoch auf die wilde Fahrt begibt, dem eröffnet sich eine zunehmend frische Welt des Sci-Fi/Western-Ungetüms, das sogar Einschläge von H.P. Lovecraft aufweist.

Die Erzählung besticht durch ihren ausgeklügelten Aufbau und ihre tollen Charaktere, allen voran die sarkastisch-bösen drei Reiter der Apokalypse – mit Ausnahme von Tod selbst –, die nach ihrer Wiedergeburt zunächst alle noch in Kindeskörpern gefangen sind. Jede neue Figur wird nach und nach in den einzelnen Kapiteln vorgestellt und in den Fokus gerückt, ohne dass dabei die große Handlung in Vergessenheit gerät. Und man kann nur staunend abwarten, wie sich das Gesamtbild am Ende zusammenfügen wird, wenn die Vielzahl der Charaktere aufeinander trifft. Ebenso bleibt dem Leser unvermeidlich das Gefühl, dass Jonathan Hickman seine offensichtlich langlebige Serie bereits komplett geplant hat, bevor auch nur das erste Heft in den USA erschienen ist. Er ist ein methodischer Autor mit einem gewaltigen Plan, den er auch umsetzen will.

Sein Kollaborateur bei diesem Epos ist der Will Eisner-Award-Nominierte Nick Dragotta, der bereits zum zweiten Mal mit Jonathan Hickman zusammenarbeitet. Dragotta hat einen unnachahmlich eigenen Stil und man spürt die Liebe in jedem einzelnen einzigartigen Panel, sei es der Winkel oder die Komposition der Figuren. Besonders eine gewaltige Schlacht gegen Ende des ersten Bandes veranschaulicht an nur einer Seite das Genie Nick Dragottas: Während sich Tod mit seinen Gefährten durch eine Armee der Volksrepublik des Hauses Mao fräst, zeigt der Zeichner in vielen kleinen Panelen, wie er Jonathan Hickmans Skript eindrucksvoll in Szene setzen kann. Und zeitgleich wird ein kurzer aber wirksamer Eindruck in die Seele des Hauses Mao gewährt, einer wichtigen Partie der Welt von „East Of West“ – alles auf einer perfekt komponierten Seite, die man mit eigenen Augen gesehen haben muss. Man bemerkt beim Lesen dieses Augenschmauses gar nicht, dass der Bleistiftschwinger genau das gar nicht ist – ein Bleistiftschwinger – denn der Comic entstand fast ausschließlich am digitalen Zeichenbrett. Nur ausgewählte Seiten und Cover entstehen noch durch Feder und Tusche. Der Preis eines monatlich erscheinenden Comics, den man aber in der Form gar nicht als Mängel bemerken würde! Und zu Recht wurde Nick Dragotta dieses Jahr eben für sein Werk an „East Of West“ für den Eisner-Award nominiert.

Zu guter Letzt bleibt zu sagen: Man merkt den Comic Jonathan Hickmans bereits nach wenigen Seiten an, dass es als gewaltiges Biest geplant wurde und man kann den Versuch nur honorieren. Er ist keine bloße Wiedergabe einer Apokalypse oder einer alternativen Dystopie unserer Zeitgeschichte. Dafür ist die Welt zu neuartig und dynamisch. Das Einzige, das man „East Of West“ ankreiden kann, ist, dass es zu high-concept für den durchschnittlichen Leser sein könnte. Was aber nicht heißen soll, dass nicht jeder Interessent der Serie zumindest einen Versuch geben sollte. Alleine schon wegen der herausragenden Übersetzung unseres hauseigenen Bernd Kronsbein.

Band 1 von „East Of West“ ist bereits auf Deutsch erhältlich und der zweite Band sollte ab sofort überall im Pressefachhandel erhältlich sein.

Jonathan Hickman, Nick Dragotta: East Of West #1, #2 • Panini, Stuttgart 2014 • 144 Seiten • € 16,99

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