Fotografie: „Unsere Erde vorher und nachher“
Benjamin Grants und Timothy Doughertys Buch mit 250 Satelliten- und Luftbildern zeigt, wie wir die Welt verändern
Haben Sie schon Stunden mit dem Suchen und Scrollen auf den Satellitenkarten von Google Earth verbracht? Oder zuletzt schockiert die Aufnahmen aus dem All betrachtet, die den durch Diamantenminen grellrot-vergifteten Fluss Tshikapa in der Demokratischen Republik Kongo gezeigt haben? Dann ist der Bildband „Unsere Erde vorher und nachher“ von Benjamin Grant und Timothy Dougherty, der gerade bei DuMont erschienen ist, definitiv das Richtige für Sie. Doch auch alle anderen sollten sich diesen spektakulären Blick aus der Flugzeug- und Weltraum-Perspektive auf unseren Planeten nicht entgehen lassen, der in imponierenden aktuellen Bildern bzw. in effektvollen Vorher-Nachher-Aufnahmen aus großer Höhe die zumeist menschengemachten Veränderungen auf der ganzen Welt einfängt.
2013 begründete Benjamin Grant das Projekt Overview (benannt nach dem Overview-Effekt, also dem Blick eines Astronauten aus dem All auf die Erde), durch das er auf die Situation unseres Planeten aufmerksam machen will. Inzwischen gehören zu diesem Unterfangen u. a. ein Blog, ein Instagram-Account mit über 1 Millionen Abonnenten, Fotoausstellungen rund um den dargestellten Globus und eben mehrere Bücher. „Unsere Erde: vorher und nachher“ hat Benjamin Grant mit Timothy Dougherty zusammengestellt, der sich seit 2016 um die Content-Strategie von Overview kümmert. Die 250 Fotos in der vorliegenden Sammlung machen auf 288 Seiten in extremer Draufsicht deutlich, wie sehr zivilisatorische Faktoren und Entwicklungen (Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, Rohstoffabbau, Logistik, Technisierung, Entwaldung, etc.) unseren Planeten verwandeln – und das, wenig überraschend, in vielen Fällen keineswegs zum Besseren. Das Overview-Projekt, unterstützt von NASA, ESA, Airbus und anderen, portraitiert und dokumentiert mittels Aufnahmen von Flugzeugkameras und Satelliten letztlich das Anthropozän: jenes gegenwärtige Zeitalter, in dem wir, die Menschheit, der massivste Einfluss auf die Erde sind.

Manchmal denkt man, ein modernes bis abstraktes Kunstwerk zu sehen, bevor einem klar wird, dass man da eine mehrspurige Schlange bunter Sattelschlepper im Hafen von Los Angeles vor Augen hat. Noch drastischer ist es, wenn z. B. die Austrocknung des Aralsees über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren anhand von 18 Aufnahmen eingefangen wird (die man teilweise auf dem Cover des Bandes sehen kann). Doch wuchernde Großstädte, Windradfabriken, Hyperloop-Teststrecken und Solarkraftwerke oder natürliche Konsequenzen wie Algenblüten, Waldbrände und Polarwirbel geben in diesem Abstand und Maßstab ebenfalls eindrucksvolle Motive ab, die mindestens faszinieren oder verstören, meistens sogar nachdenklich machen. Hin und wieder präsentiert der Katalog ein paar Positivbeispiele, die Hoffnung machen und Schönheit vermitteln – etwa der Aufbau und dann rückstandlose Abbau des Burning Man-Festivals in der Wüste von Nevada, oder die atemberaubende Tulpenblüte in Holland.
Die Perspektive in „Unsere Erde vorher und nachher“ ist einmalig und eindringlich, und sie ermöglicht ein Stück weit einen düsteren Blick in die Zukunft – ob das genügt, um die letzten Kipppunkte nicht auch noch zu verpassen, ist allerdings selbst von dieser besonderen Warte aus kaum absehbar. Doch es heißt ja, dass man die Dinge manchmal sehen muss, um sie wirklich zu verarbeiten und zu begreifen. Das sollte mit Grants und Doughertys Bildband jedem möglich sein.
Alle Bilder stammen aus dem Buch „Unsere Erde vorher und nachher“, DuMont Buchverlag 2021.
Benjamin Grant, Timothy Dougherty: Unsere Erde vorher und nachher • DuMont Verlag, Köln 2021 • 288 Seiten • Hardcover: 38 Euro

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