23. November 2022

„Megathreats“ – Apokalyptische Zukunftsvisionen

Der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini gefällt sich in der Rolle des Dr. Doom

Lesezeit: 3 min.

Dass die heile Welt der westlichen, liberalen, kapitalistischen Demokratien mehr und mehr aus den Fugen gerät, das spürt wohl jeder. Migrationsströme, das Erstarken populistischer Politiker, die Corona-Pandemie, ein heißer Krieg zwar nicht mitten, aber doch am Rand von Europa, eine Inflationsrate, die so hoch ist wie seit 40 Jahren nicht mehr. Alles nicht gut, aber wie schlimm ist die Lage wirklich?

Zartbesaitete Gemüter sollten vielleicht nicht unbedingt das neue Buch des in Istanbul geborenen, iranischen Ökonomen Nouriel Roubini lesen, das den betont reißerischen Titel Megathreats“ (im Shop) trägt, also Megabedrohungen. Schon mit diesem Titel bestätigt Roubini seinen Ruf als Dr. Doom, den er sich spätestens als einer der wenigen Ökonomen erarbeitet hat, die die Finanzkrise von 2008 vorausgesagt haben. Ein Claim to Fame, der nicht nur auf dem Cover angepriesen wird, sondern in den ersten Seiten ein wenig penetrant betont wird, so als würde diese richtige Prognose Roubini zu einer Art modernem Nostradamus machen, der stets richtig liegt. Das tat er in der Vergangenheit nicht immer, was seine Ausführungen zu potentiellen Krisen nicht weniger interessant macht, aber eben auch zu nicht mehr als Überlegungen und Vermutungen.

Zehn Konfliktherde hat Roubini ausgemacht, von explosionsartig wachsender Staatsverschuldung, bis zur Gefahr der Stagflation. Wirtschaftswissenschaftliche Bereiche, in denen Roubini, der jahrelang an amerikanischen Spitzenuniversitäten lehrte und in der Clinton-Administration als Wirtschaftsberater tätig war, sich auskennt. Doch als wären diese Felder nicht genug, geht es weiter mit der Möglichkeit, dass durch die Entwicklung von Künstlichen Intelligenzen und Robotern zahlreiche menschliche Arbeitsplätze überflüssig werden könnten. Was nicht nur zu sozialen Verwerfungen führen könnte, sondern auch die demographische Lage noch schwieriger machen würde: Die westlichen Gesellschaften sind zunehmend überaltert, immer weniger Arbeitnehmer müssen für Rente und Pensionen von immer mehr Menschen sorgen, eine Schieflage, die zwangsläufig irgendwann zusammenbrechen muss.

Und dann ist da noch der drohende Konflikt zwischen der aktuellen Supermacht USA und der zukünftigen China, die sich schon jetzt belauern. Die Geschichte zeigt, dass solch ein Konflikt zwischen großen Mächten fast immer auf eine militärische Lösung zuläuft, was im aktuellen Fall einen Krieg zwischen zwei Atommächten bedeuten würde. Keine rosigen Aussichten, allein dass weite Teile von „Megathreats“ im Konjunktiv geschrieben sind, das neben Krise und Konflikt die am häufigsten verkommenden Wörter könnte, würde, möglicherweise sind, macht Hoffnung.


Nouriel Roubini. Foto © Peter Lueders

Auch wenn Roubini fraglos ein bemerkenswerter Ökonom ist, ein Prophet ist er nicht. Dennoch sollte man seine Analyse schon existierender und zukünftiger Problemfelder nicht einfach als Ruf einer unverbesserlicher Kassandra abtun. Gerade die Anhäufung von Krisenherden macht die aktuelle Lage so schwierig: Sich nur mit der Corona-Pandemie auseinanderzusetzen ist eine Sache, praktisch zeitgleich auch noch die Folgen des Ukraine-Krieges abzufedern eine ganz andere. Und über allem schwebt das Damoklesschwert des Klimawandels, vielleicht das Megaproblem dieser und folgender Generationen.

Man mag bedauern, dass Nouriel Roubini sich darauf beschränkt, Probleme aufzuzeigen, aber kaum Lösungsansätze anbietet. Vielleicht wäre das angesichts der Komplexität der Probleme aber auch zu viel verlangt. Was Roubini auf gut 350 Seiten gelingt, ist einen Überblick über die existenziellen Fragen der Menschheit zu geben, die zwar bisweilen abstrakt wirken, aber jeden Einzelnen betreffen.

Nouriel Roubini: Megathreats • Sachbuch • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer • Ariston, München 2022 • 384 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 24,00 • im Shop

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