30. November 2022

Cixin Liu: „Zu einer anderen Zeit in einem anderen Universum“

Das Vorwort zur großen Prachtausgabe von Cixin Lius Trisolaris-Trilogie

Lesezeit: 4 min.

Mit seinem Roman „Die drei Sonnen“ hat Cixin Liu nicht nur den renommierten Hugo Award gewonnen, sondern auch die Welt mit der chinesischen Science-Fiction bekannt gemacht. Seine Trisolaris-Trilogie – „Die drei Sonnen“, „Der dunkle Wald“ und „Jenseits der Zeit“ – wurde ein internationaler Bestseller, und auch hierzulande haben Hunderttausende mit Cixin Liu die Science-Fiction und moderne Genreliteratur aus China kennengelernt. Cixin Liu: Trisolaris - Die TrilogieJetzt hat der Heyne Verlag mit „Trisolaris – Die Trilogie“ (im Shop) alle drei Romane in einer großen, aufwendig gestalteten Hardcover-Prachtausgabe versammelt. Cixin Liu hat eigens dafür ein Vorwort verfasst.
 

In den Augen von Chinesen ist Deutschland ein Land der Philosophen, ein Land, in dem man es liebt, sich tiefsinnige Gedanken zu machen. Das ist vermutlich eine etwas einseitige Wahrnehmung, aber zahlreiche meiner Landsleute sehen Deutschland tatsächlich so. 2018, an einem unvergesslichen Abend in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche, dieser hundertdreißig Jahre alten Kirche, in der unzählige dunkelrote Lichter eine Stimmung wie das Nachglühen nach dem Urknall schufen, sprach ich mit mehreren Hundert deutschen Leserinnen und Lesern über Science-Fiction und das Verhältnis zwischen Mensch und Universum; ein fraglos sehr philosophischer Abend.

Mir scheint, dass Philosophie sehr viel mehr mit Science-Fiction zu tun hat als die Naturwissenschaften. Während uns die Naturwissenschaften ein singuläres Bild von der Welt bieten, eröffnet uns die Philosophie zahlreiche unterschiedliche Sichtweisen darauf. Gerade die große Diskrepanz zwischen diesen Sichtweisen ist es, die uns gerne glauben lässt, dass sie ein und dieselbe Welt beschreiben. Und das erinnert sehr an Science-Fiction-Romane. Aus diesem Grund freut es mich besonders, dass Die drei Sonnen in Deutschland veröffentlicht wird.

Seit dem Erscheinen des dritten Bands der Trilogie in China sind bereits zwölf Jahre vergangen, und innerhalb dieser kurzen Zeitspanne hat der Roman eine Menge Leserinnen und Leser gefunden. Seither treibt mich vor allem eine Frage um: Was genau sieht meine Leserschaft eigentlich in diesem Roman? Ist es die darin beschriebene Realität, die sie fasziniert, oder das, was über die Realität hinausgeht? Ist es die ausgedachte beziehungsweise weitergedachte Technologie oder das genuin Wissenschaftliche? Sind es die Außerirdischen oder das, was der Blick der Außerirdischen über die Menschheit verrät? Ist es das moralische Gesetz in mir oder der bestirnte Himmel über mir? Ich weiß es wirklich nicht.

Wenn ich an die Zeit vor mehr als einem Jahrzehnt zurückdenke, in der ich an diesem Roman schrieb, beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl: Es kommt mir vor, als hätte ich keinen Roman, sondern einen Teil der Geschichte neu geschrieben, wie sie sich ungefähr so zu einer anderen Zeit in einem anderen Universum zugetragen hat, und sie lediglich in eine für die Leserschaft akzeptable Form gebracht. Ich schätze mich glücklich, diesen Roman fertig geschrieben zu haben, bevor Außerirdische unseren Planeten überfallen. Wir können nicht wissen, ob die Ankunft von Außerirdischen auf unserem Planeten ein Glück oder ein Unglück bedeutete, aber für diesen Roman wäre es eine Katastrophe, denn damit würde sein ganzer Inhalt mit einem Mal ziemlich einfallslos wirken. Wollte ich die Frage beantworten, welches Thema der Science-Fiction am nächsten an der Realität ist, würde ich ohne Zögern sagen: Außerirdische. Verglichen mit anderen Themen der Science-Fiction, sind Außerirdische das Undefinierbarste. Sie entspringen unseren ältesten Fantasien, die jederzeit wahr werden können; ehe wir es uns versehen, verändern sich unser Leben, unsere Kultur und Philosophie von Grund auf, und was uns heute noch besonders wichtig erscheint, wird mit einem Mal irrelevant. Gegenwärtig jedoch schenken wir – ob als Weltgesellschaft, Staaten oder Individuen – diesen Dingen nicht die geringste Beachtung. Für mich war die Ignoranz der Menschheit gegenüber der Frage nach der Existenz von intelligenten außerirdischen Zivilisationen schon immer vollkommen unverständlich.

Science-Fiction ist eine Literatur des Möglichen, sie imaginiert das Universum und die Zukunft. In Trisolaris – Die Trilogie geht es auch um mögliche Formen von intelligentem Leben im Universum, um die düsterste, den Menschen zur Verzweiflung treibende Form. Aber auch das ist nur eine von unzähligen Möglichkeiten.

Ich möchte dem Verlag, den Übersetzerinnen und den Leserinnen und Lesern dieses Romans meinen großen Dank aussprechen.

Cixin Liu

 

Cixin Liu: Die Trisolaris-Trilogie · Die Romane „Die drei Sonnen“, „Der dunkle Wald“ und „Jenseits der Zeit“ in einem Band · Aus dem Chinesischen von Karin Betz und Martina Hasse · Mit einem Vorwort und Nachwort des Autors und ausführlichen Anmerkungen · Wilhelm Heyne Verlag · Hardcover: 40,– Euro (im Shop) · Auch als E-Book erhältlich

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